Unvergessene Starthilfe:737.000 Euro an den Adventskalender vererbt

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Die Starthilfe, die sie einst vom "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung" erhielt, hat Elisabeth Fehre nicht vergessen.

Von Sven Loerzer

Leicht dürfte ihnen dieser Entschluss nicht gefallen sein. Kurz vor dem Bau der Berliner Mauer 1961 sind Elisabeth und Otto Fehre aus der damaligen DDR geflüchtet und auf Umwegen nach München gelangt. Obdachlos, mit nicht viel mehr als der Kleidung auf dem Leib, bekamen sie ein Zimmer zugewiesen.

Die Starthilfe, die sie damals vom "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung" erhielten, hat Elisabeth Fehre nicht vergessen: Nach dem Tod ihres Mannes setzte die langjährige SZ-Leserin das Hilfswerk ihrer Zeitung zum Alleinerben ihrer Ersparnisse ein.

Als sie im Alter von 88 Jahren im Herbst 2002 starb und in einem Urnengrab auf dem Ostfriedhof beigesetzt wurde, war nicht zu erahnen, wie groß ihr Vermögen war. Nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten und Erfüllung der von ihr ausgesetzten Vermächtnisse verblieben 737.000 Euro.

Getreu dem letzten Wunsch der kinderlosen Erblasserin, den sie in ihrem eigenhändig geschriebenen Testament am 5. Mai 1996 niedergelegt hat, setzt der Adventskalender diesen Betrag "zur Linderung der Not unserer Obdachlosen sowie unserer alten, kranken, bedürftigen Menschen" ein.

Wer war Elisabeth Fehre? "Tante Liesl" war eine entfernte Verwandte von Werner B., 66, eine Großcousine. "Ihre und meine Großmutter waren Schwestern", erzählt B., "sie war früher in Dresden zu Hause." Der Kontakt war abgerissen, als Elisabeth Fehre, deren Mann selbstständiger Farbenvertreter war, noch in der DDR lebte.

Später erfuhr Familie B. von ihr, dass sie mit ihrem Mann aus der DDR geflüchtet ist. Ein Freund hatte gewarnt, "es sei etwas im Gange", weil sich Otto Fehre beständig geweigert hatte, in die Partei einzutreten. Mit einem Koffer und Rucksack seien sie kurz vor dem Mauerbau noch über die "grüne Grenze" geflüchtet. Das Ehepaar Fehre zog nach München, doch

Frau Fehre meldete sich erst 1994 wieder. "Ihr Mann, den sie innig liebte, war im Alter von 90 Jahren gestorben, und sie bat uns, ihr behilflich zu sein." Vier Mal ist sie gestürzt, zog sich Prellungen und einen Armbruch zu. "Wir haben sie danach immer bis zur Genesung zu uns genommen."

Im Dezember 2001 erzählte sie Heidi B., 62, die Geschichte vom Neuanfang in München. Auslöser dürfte die Lektüre des SZ-Adventskalenders gewesen sein, der 2001 über das Schicksal wohnungsloser Familien berichtete. Offenbar rief das bei Frau Fehre Erinnerungen wach: "Sie und ihr Mann bekamen von der Obdachlosenhilfe ein Kämmerchen zugewiesen mit einem Kanonenofen.

Es war so herrlich für sie, wieder ein festes Dach über dem Kopf zu haben." Ihrem Anlageberater, Axel Hendler von der Dresdner Bank, hat Elisabeth Fehre erzählt, dass die Starthilfe zum Wiederaufbau der Existenz vom SZ-Adventskalender kam: "Durch dessen finanzielle Hilfe konnte sich Herr Fehre selbstständig machen."

Dem fleißigen Mann glückte der Neubeginn als Vertreter, erzählt Werner B., "er hat gearbeitet bis zu seinem 75. Lebensjahr". Seine Frau hat ihn oft auf seinen Handelsreisen begleitet, wie eine von ihr gehütete Zuckerstücksammlung zeigt. Luxus gönnte sie sich aber nicht, betont Werner B.: "Sie lebte in sehr bescheidener Art in einer Drei-Zimmer-Eigentumswohnung in Neuperlach." Die Einrichtung war in den 31 Jahren nach dem Kauf nie erneuert worden.

Zunehmend gebrechlicher, lebte Frau Fehre in den letzten Jahren sehr zurückgezogen. Familie B. kaufte für sie ein, Heidi B. putzte ihr die Wohnung. Am 18. August 2002 rief ihre Nachbarin bei Familie B. an: "Es ist etwas passiert." Weil niemand außer Frau Fehre selbst einen Schlüssel hatte, ließ die Polizei die Wohnung öffnen: Frau Fehre kam mit einer Gehirnblutung ins Krankenhaus und blieb bis zu ihrem Tod am 8. Oktober nicht mehr ansprechbar.

Werner B., kurz vor ihrem Tod zu einem ihrer beiden Betreuer bestellt, war völlig überrascht über das zu verwaltende Vermögen von knapp 1,2 Millionen Euro, von dem nach ihrem Tod der SZ-Adventskalender ihrem Willen entsprechend vier größere Vermächtnisse zu erfüllen hatte. Danach blieb fast noch eine Dreiviertel Million für Obdachlose übrig.Erspartes im wahrsten Sinne des Wortes: "Ihr Anlagehorizont war extremst konservativ", erinnert sich ihr Berater von der Bank. Investiert hat sie vor allem in Festverzinsliches und in wertbeständige Aktien.

Über ihr Vermögen wusste Elisabeth Fehre immer bestens Bescheid, gewährte aber niemandem Einblick. Werner B. musste für sie regelmäßig das Geld zum Leben abheben - jedesmal mit neuer Einzelvollmacht. Einkäufe waren auf den Cent genau abzurechnen. Nur zwei kleine Passionen erlaubte sie sich: Ab und zu Pralinen und Orchideen.

Sonst aber hielt die gelernte Buchhalterin eisern Ausgabendisziplin. "Ihre Unterlagen waren akkurat geordnet, auf Karteikarten alle Vermögensbewegungen aufgezeichnet. Sie hat ein Haushaltsbuch mit Soll und Haben geführt und bis zum Schluss ihre Steuererklärungen selbst angefertigt." Wie genau sie sogar alles für ihren Tod vorbereitet hat, erschließt sich aus einer Liste, die mit "Nach meinem Tode sind zu verständigen" überschrieben ist: Da ist vermerkt, dass das SZ-Abo zu kündigen ist.

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