Übergewicht bei Kindern:Ein Bauchnabelpiercing als Belohnung

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Beim Programm "Einfach leichter" lernen übergewichtige Kinder, sich richtig zu ernähren und mehr zu bewegen. Bis zum Sommer 2005 will die 13-jährige Anja zehn Kilo abnehmen.

Heidi Friedrich

Hotpants und bauchfreie T-Shirts gehörten in diesem Sommer nicht zu Anjas Outfit. Dabei hatte die 13-Jährige es sich so sehr gewünscht. "Die schönen Kleider passen mir nie. Ich kaufe immer nur Stretch-Hosen," erzählt sie.

Das Mädchen kämpft schon seit längerem mit Gewichtsproblemen. Damit ist sie nicht allein. Laut neuester Statistiken sind zehn bis 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland übergewichtig, acht Prozent sogar fettleibig.

Bewegungslos vor dem Computer

Anja weiß seit kurzem, wie sie gegen ihr Pfunde ankommt, nämlich mit Hilfe eines eigens für übergewichtige Kinder und Jugendliche entwickelten Vorsorgeprogramms. "Unser Konzept basiert auf vier Säulen: Ernährung, Bewegung, Motivation durch psychosoziale Beratung und Elternschulung", erklärt Isabella Arianto, die Initiatorin von "einfach leichter". Die Heilpraktikerin weiß, dass viele Kinder und Jugendliche sich falsch ernähren.

In vielen Familien sind beide Elternteile berufstätig, so dass aus Zeitmangel statt einer ausgewogenen frisch zubereiteten Mahlzeit oft nur Fertiggerichte mit hohem Fettanteil auf dem Tisch landen. Wenn dann die Jugendlichen noch stundenlang bewegungslos vor dem Computer sitzen, sollte es niemanden wundern, wenn sie immer rundlicher werden, sagt Arianto.

So beginnt der Kreislauf: Vor allem die Mädchen leiden darunter, sich nicht mehr figurbetont kleiden zu können, wie sie es von den Fotomodellen in allen Zeitschriften kennen. Es folgen Hänseleien in der Schule: "Ich werde von den Jungs in meiner Klasse als fette Sau beschimpft. Das regt mich so auf", klagt Anja. Prompt landen die Kinder vor lauter Frust mit einer Tüte Chips allein vor dem Fernseher.

Den Teufelskreis durchbrechen

Diesen Kreislauf will Arianto mit ihrem Programm unterbrechen. Ihr Kurs soll den Kindern und Jugendlichen dabei helfen, ihr Gewicht durch ein verändertes Ess- und Bewegungsverhalten dauerhaft zu reduzieren sowie Probleme und Stress besser zu bewältigen. Nicht zuletzt will Arianto Folgekrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck vorbeugen helfen.

Ein Jahr lang wird sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen, einer Ernährungsberaterin, einer Diätassistentin und einer Sportlehrerin, übergewichtige Kinder eingeteilt in drei Altersgruppen zwischen sechs und 17 Jahren betreuen. "In der Gruppe sind sich die Kinder nicht selbst überlassen, sondern spornen sich beim Abnehmen gegenseitig an, und das sogar mit Spaß", weiß Arianto aus Erfahrung.

Nach einer Untersuchung beim Kinderarzt, einem ausführlichen Vorgespräch gemeinsam mit den Eltern und einem ersten Blick auf die Waage kann es losgehen.

Trennkost für die ganze Familie

Jede Woche treffen sich die Gruppen für jeweils drei Stunden. Nach eineinhalb Stunden Sport nehmen die Kinder und Jugendlichen im wöchentlichen Turnus an den Trainingseinheiten Kochen, Ernährungslehre und Psychosoziales teil.

Jeden zweiten Monat erhalten auch die Eltern eine Schulung, bei der sie Informationen zum Thema Übergewicht, gesunde Ernährung und Methoden im Umgang mit psychosozialen Problemen erhalten. Anjas Mutter hat nach so einer Schulung die Ernährung der gesamten Familie auf Trennkost umgestellt. "Das hat uns allen gut getan", sagt Margarete Wrobel.

In regelmäßigen Abständen finden zusätzlich gemeinsame Treffen mit Eltern und Kindern statt. Daran wird deutlich, dass es sich bei dem Kurs um ein Familienprogramm handelt, denn mit dem Problem auf sich allein gestellt, fühlen sich sowohl die Kinder als auch die Eltern oft überfordert. "Ich leide immer mit, wenn meine Tochter heimkommt und weint, weil sie wieder wegen ihres Gewichts aufgezogen wurde", erzählt Anjas Mutter.

Genießen statt mampfen

Die Ernährungslehre nimmt im Programm einen wichtigen Platz ein. Die Teilnehmer erfahren, was ausgewogene Ernährung überhaupt bedeutet, dass nämlich Vollkornprodukte, Obst und Gemüse gesund sind, und Zucker, versteckt sogar in Getränken, sowie Süßigkeiten und Fast Food ihrem Vorsatz abzunehmen entscheidend im Wege stehen.

Sie lernen, ihre Mahlzeiten nur sitzend einzunehmen und das Essen lang genug zu kauen, um bewusster zu schmecken und zu essen. Beim gemeinsamen Kochen lernen die Jugendlichen, dass auch Rohkost lecker schmecken kann, wenn man nur das richtige Dip dazu hat. "Das Rezept hebe ich mir auf, damit ich es auch zu Hause nachmachen kann", sagt Anja.

Um Kalorien abzubauen und den Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass Bewegung Spaß machen kann, treiben sie jede Woche unter Anleitung der Trainerin gemeinsam Sport oder tanzen und spielen. Durch die Bewegung sollen die Teilnehmer lernen ihren Körper besser wahrzunehmen.

Kränkungen ertragen

Arianto selbst ist für den Kursbaustein Psychosoziales verantwortlich. In einer Art Verhaltenstherapie ermuntert sie die übergewichtigen Kindern dazu, über ihre Probleme mit dem Übergewicht zu sprechen und sich dabei darüber klar zu werden, bei welchen Gelegenheiten und was sie essen. "Ich motiviere sie dazu, selbst Verantwortung für den Abbau ihres Übergewichts zu übernehmen, und bei Rückfällen fange ich sie psychisch auf", sagt sie.

Wichtig sei zudem, dass die Betroffenen lernen, mit Kränkungen und Konfliktsituationen umzugehen, betont sie. Autogenes Training und andere Entspannungsübungen sollen den Kindern dabei helfen, mögliche Aggressionen abzubauen.

Nabelschau als Anreiz

Nach einem halben Jahr wird Zwischenbilanz gezogen. Dann heißt es für die Kinder und Jugendlichen erneut: Rauf auf die Waage! Bis dahin hat sich der Kurs, der monatlich 120 Euro kostet und im November beginnt, für Anja hoffentlich bereits gelohnt.

Für sie steht einiges auf dem Spiel, denn Mutter und Tochter haben eine Abmachung getroffen: Wenn Anja bis zum nächsten Sommer zehn Kilo abnimmt, bekommt sie ein Nabelpiercing. Das kann sie dann stolz bauchfrei zur Schau tragen.

Weitere Informationen unter www.einfachleichter.de, Isabella Arianto, Telefon 08106/247899.

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