Ude in China:Das Oberhaupt aus einer Kleinstadt in Deutschland

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Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hielt bei seinem dritten Besuch in China im großen Hörsaal der Nankai-Universität einen Vortrag über die Entwicklung großer Städte. Die Zuhörer lauschten ihm gespannt, obwohl ihre Stadt Tianjin zehnmal größer als München ist.

SZ: Wo erwische ich Sie gerade? Ude: Jetzt schon in Peking, wir haben soeben das Restaurant am Rand des Platzes des Himmlischen Friedens verlassen. Eingeladen hatten Vertreter der Stadtverwaltung und ein privater Bauherr, die ein großes Elendsquartier bis zum Beginn der Olympischen Spiele 2008 sanieren wollen.

Ude brachte die Chinesen zum Lachen, als er das Konzept "Fahrrad statt Auto" vorstellte. (Foto: Foto: AP)

SZ: Und mit welchen Ratschlägen konnten Sie dienen? Ude: Ich habe das gesagt, was ich auch vorhin bei meinem Vortrag in Tianjin, an der Nankai-Universität, betont habe: Dass bei Sanierung, Abriss und Neubau meistens der Charakter völlig verloren geht. Man sollte deshalb so viel wie möglich an Bausubstanz und an sozialen Strukturen erhalten.

SZ: Wie haben es die Zuhörer der Zehn-Millionen-Metropole Tianjin denn aufgenommen, was ihnen das Oberhaupt einer Kleinstadt aus Deutschland zu erzählen hatte? Ude: Sie waren wahnsinnig gespannt und neugierig, der Hörsaal war völlig überfüllt. Sie ließen mich nicht anmerken, dass München zehnmal kleiner ist als Tianjin. Obwohl es zuvor eine lange, feierliche Zeremonie gab, blieben die Studenten bis zum Schluss. Für sie ist München beileibe keine Kleinstadt, sie kennen Bayerns Landeshauptstadt aus zwei Gründen: Wegen des Oktoberfests und wegen Franz Beckenbauer, und zwar vom Dekan bis zum Studenten. Und wenn ich dann sage, dass auch BMW und Siemens aus München kommen, antworten sie: Ja, richtig.

SZ: Was hat die Leute bei der anschließenden Diskussion am meisten interessiert? Ude: Sie waren verwundert über meine Ansichten zum Verkehr. Dort gilt Motorisierung als Fortschrittssymbol schlechthin. Ich habe vorgerechnet, dass sie demnächst sieben Millionen Fahrzeuge haben werden, wenn sie den Münchner Standard erreichen wollen. Die Frage, wo man sieben Millionen Autos abstellen kann und wo sie fahren sollen, hat große Unruhe ausgelöst.

SZ: Haben Sie auch Begriffe wie "Stellplatzablöse" erläutert? Ude: Nein, so kompliziert ist es nicht geworden. Ich habe ihnen aber erzählt, dass wir in München an dem Fortschritt arbeiten, dass mehr Leute auf das Fahrrad umsteigen - das gab einen Lacherfolg.

SZ: Und welche Kooperationen haben Sie angebahnt? Ude: Ich habe eine Zusammenarbeit mit der Zeitung "Tianjin Daily" vereinbart, die noch von Mao gegründet wurde und mehr Leser als München Einwohner hat. Sie wollten eine wöchentliche Kolumne von mir, ich habe sie auf monatliches Erscheinen runtergehandelt. Da werde ich auch versuchen, München als Tourismusziel anzupreisen.

SZ: Spätestens dann braucht es aber das 15. Wiesnzelt? Ude: (lacht) Sie müssen ja nicht unbedingt nur zur Wiesnzeit kommen.

© Interview: Berthold Neff SZ vom 13.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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