Typologie:Wen man nachts im Museum trifft

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Vor zwei Jahren beeindruckte Philipp Geist die Besucher der Langen Nacht der Museen mit Lichtinstallationen in der Theatinerkirche. Dieses Jahr ist er im Innenhof des Münchner Künstlerhauses aktiv. (Foto: Stephan Rumpf)

Gestresste Führungskräfte, Partygruppen oder ehrgeizige Eltern: Bei der Langen Nacht der Museen trifft man auf sehr unterschiedliche Besucher. Eine Typologie.

Von Nicolas Freund

Die Kulturfreunde

Als Ehepaar unterwegs. Schon lange in Rente oder schon immer Privatier. Meist ehemalige Bankfilialleiter, niedergelassene Ärzte und angestellte Anwälte. Wohlhabend oder tun zumindest so. An der LMU für ein Seniorenstudium in Kunstgeschichte eingeschrieben. Große Schnittmenge mit dem Münchner Opernpublikum. Tuscheln miteinander, wenn sich Christian Stückl im Foyer des Volkstheaters eine Zigarette dreht. Immer top angezogen und informiert. Gehen überall hin, haben alles gesehen und lesen alle Rezensionen. Schreiben Leserbriefe, wenn der Kritiker nicht kuscht. Haben zu Hause alle Ausstellungskataloge der vergangenen 40 Jahre originalverpackt im Wohnzimmer stehen.

Da sie alles schon kennen und bei jeder Eröffnung waren, sind sie eigentlich nur bei der Langen Nacht unterwegs, um auch ganz sicher nichts zu verpassen. Weil die S-Bahnen nach Starnberg und Wolfratshausen von 22 Uhr an so unregelmäßig fahren, sind sie meistens bis Mitternacht verschwunden.

Wo man sie vermutet: Haus der Kunst, Literaturhaus, Museum Brandhorst, Pinakotheken, Villa Stuck, Sammlung Schack.

Wo man sie trifft: Haus der Kunst, Literaturhaus, Museum Brandhorst, Pinakotheken, Villa Stuck, Sammlung Schack.

Typischerweise Studenten eines nicht geisteswissenschaftlichen Studiengangs, mittlere Angestellte oder gestresste Führungskräfte, die sich einen Abend freigeschaufelt haben. Oft von außerhalb. Erkennbar am sportlichen Schritt und dem griffbereiten Busfahrplan. Meist alleine unterwegs oder von einer Gruppe abgespalten, die aus Effizienzgründen an der dritten Station zurückgelassen wurde.

Kommen im Alltag mit Kultur nur peripher in Kontakt. Nutzen die Lange Nacht als Flatrate und versuchen, "so viel wie möglich zu erledigen". Lenken, wenn sie mal inne halten, das Gespräch schnell auf die Frage, wie viele Museen man denn heute Nacht schon besucht habe. Generell interessiert an allem, was schnell geht, oder man gesehen haben muss. Wenn sie sich beruhigt haben, oft auch in der Sternwarte zu treffen.

Wo man sie vermutet: überall.

Wo man sie trifft: Brandhorst, Pinakotheken, Haus der Kunst, BMW-Museum, Rollendes Museum, Feuerwehrmuseum, Deutsches Museum.

Gibt es in zwei Unterkategorien: Die ehrgeizigen Eltern, die ihren Kindern Kultur einimpfen wollen, trifft man schon am Nachmittag bei Kursen aus dem Kinderprogramm, die Titel haben wie aus dem Vorlesungsverzeichnis der Volkshochschule: "Drucken für jedermann - Einführung in die Lithografie" im Künstlerhaus zum Beispiel. Oder bei Beschäftigungsveranstaltungen für die Kleinen, wie die "Design-Rallye" in der Pinakothek der Moderne. Das Abendprogramm sparen sich dann meistens auch die Eltern.

Die andere Gruppe sind Familien, die ihre Kinder nachts durch die Pinakotheken mitschleifen, weil kein Babysitter aufzutreiben war. Das ist schwierig, denn zumindest die Sprösslinge ab zwölf Jahren fallen meist in die Kategorie der ->Verweigerer. In der Regel nur bis zwölf Uhr und an einem Ort anzutreffen.

Wo man sie vermutet: zu Hause.

Wo man sie trifft: Staatliches Museum Ägyptischer Kunst (tolles Kinderprogramm) und Bayerisches Staatsmuseum (Taschenlampentour, ohne Eltern!), auf dem Weg nach Hause.

Mindestens zu dritt unterwegs. Sind die jüngsten, freiwilligen Besucher. Trifft man erst von 22 Uhr an, da das Vorglühen in der Wohngemeinschaft wieder einmal länger dauerte als geplant. Von weitem am unkontrollierten Gekicher erkennbar, aus der Nähe an dem unauffällig aus der Umhängetasche schauenden Rotweinflaschenhals. Meistens Ende zwanzig bis Anfang dreißig. Status: Dauerstudenten, Praktikanten, Trainees oder im ersten richtigen Job (erkennbar an der Preisklasse des mitgeführten Weins).

Die Partygruppe nutzt die lange Nacht der Museen als Kompromiss zwischen Kultur für Erwachsene, zu denen man jetzt irgendwie gehören sollte, und den exzessiven Samstagabenden, die man seit dem Abitur durchgestanden hat und zu denen man eigentlich noch tendiert. Frisch aus dem Philosophieseminar ist auch noch der Gedanke aus Platons "Symposion" im Gedächtnis, dass Kultur und gute Gespräche vom Alkohol nur profitieren können. Die Lange Nacht geht mit regelmäßiger Weinzufuhr also quasi als Hausarbeitsrecherche durch.

Wo man sie vermutet: Kunstraum, Night Club im Bayerischen Hof, Bier- und Oktoberfestmuseum.

Wo man sie trifft: Kartoffelmuseum und Staatliche Münzsammlung (schien eine unglaublich komische Idee zu sein, da angetrunken aufzuschlagen), HFF (kennen jemand, der da Dok-Film studiert), Brandhorst (weil man dann gleich weiter in die Kneipen hinter der Uni ziehen kann).

Wo man sie vermutet: zu Hause vor dem Fernseher oder mit einem Literaturklassiker. Wenn nicht dort, dann in den Museen, die ein angeschlossenes und geöffnetes Restaurant oder Café haben.

Wo man sie trifft: überall.

© SZ vom 17.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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