Türken in Deutschland:Verschwörungstheorien aus der Ferne

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Wie Münchens Türken die Terror-Anschläge in Istanbul einzuordnen versuchen.

Von Felix Berth

Es ist mal wieder Zeit für Verschwörungstheorien. In dem türkischen Laden in der Landwehrstraße steht ein Fernseher auf dem Fußboden und zeigt Bilder von George Bush und Tony Blair. "Die beiden", sagt der Verkäufer, "machen die Anschläge. Sie wollen wiedergewählt werden und brauchen Sündenböcke." Auch wenn es nach den gestrigen Attentaten bereits Bekenner-Anrufe von al-Qaida gibt, auch wenn die Anschläge auf die Synagogen von Türken verübt wurden: "Die Auftraggeber sind keine Türken."

Er selbst, sagt der Verkäufer, sei kein orthodoxer Muslim, sondern braver Steuerzahler: 28 Jahre alt, in München geboren, Realschulabschluss, "mit deutschen Werten aufgewachsen", wie er sagt.

Etwa 45.000 Türken leben in München - ein Teil von ihnen hängt seit dem 11. September 2001 eigenartigen Theorien über den Terrorismus an. Ihsan Özkan zum Beispiel. Er sitzt im Kellerbüro auf einem Gebetsteppich, schließlich ist Ramadan. Er beteuert ernsthaft, dass er Terror schrecklich findet - die Anschläge von Istanbul seien unmenschlich.

Dass al-Qaida irgendwas damit zu tun hat, glaubt der Mann, dem mehrere Gemüseläden gehören, indes nicht: "Das war nicht al-Qaida." Er redet von "jüdischen Leuten", die damit zu tun haben - aber genau drückt er sich nicht aus: "Man weiß schon...", sagt er und vernebelt den spürbaren Antisemitismus.

Drei Stockwerke höher, in einem Reisebüro, sitzen zwei türkische Jungs. Der Chef ist nicht da, also ratschen die beiden mit den Kunden. "Viele, die reinkommen, meinen, dass Bush und Scharon dahinter stecken", sagt Ismail Malak. "Aber genauso viele denken, dass es al-Qaida war", ergänzt Ali Ayhan. Sie selbst wissen nicht genau, welche Theorie sie für richtig halten: "Bush und Scharon sind die Oberschlawiner", sagt Ayhan und zuckt mit den Schultern.

Natürlich sehen manche das anders. Memduh Zeytinoglu steht an der Tür seines Ladens und erzählt, dass radikale Muslime noch stärker verfolgt werden müssten: "In einem freien Land wie Deutschland können sich die paar Leute zu gut bewegen", sagt er. Zeytinoglu hält Zettel in der Hand, auf denen 99-Euro-Flüge in die Türkei angeboten werden und hofft, dass das Land, das er vor einem Vierteljahrhundert verlassen hat, politisch stabil bleibt: "In der Türkei sind achtzig Prozent Europäer, nur zwanzig Prozent sind Islamisten - mit denen muss der Staat fertig werden."

Bülent Tülay, der Vorsitzende des Rats der Türken in Südbayern, sieht das ähnlich: "Die Attentate sind erschreckend und abscheulich", sagt er - das empfänden auch fast alle Landsleute so. Dass jetzt wieder

Verschwörungstheorien kursieren, sei kein Widerspruch dazu: "Die Türken lieben Komplott-Theorien über alles", sagt er, "trotzdem ist die türkische Gemeinde in Deutschland nicht anfällig für fundamentalistische Tendenzen", sagt Tülay.

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