Transsexualität in München:Endlich Frau sein

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Die Transsexualität ist eine Krankheit, aber wenigstens wird sie heute als solche akzeptiert. Zwei Werdegänge.

Claudia Wessel

Der Mann muss ein Handwerker sein, vielleicht der Computertechniker hier im ,,Viva'', dem Transsexuellentreff in der Baumgartnerstraße 15. Er ist dunkelhaarig, hat breite Schultern und schmale Hüften, trägt einen kleinen Bart auf Kinn und Oberlippe und eine tiefe, männliche Stimme.

(Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Bianca (Name geändert) ist schon da. Sie hat lange blonde Haare, perfekt manikürte Fingernägel, trägt ein Glitzer T-Shirt, Jeans und schicke Pumps. Sie ist eine Frau, seit dem 19. Dezember 2005, und doch bleibt eine leichte Ahnung von dem Mann, der sie einmal war. Vielleicht ist es die Stimme. Nicht mehr richtig männlich und doch (noch) nicht hundertprozentig weiblich.

Doch wo bleibt Antonio (Name geändert)? Kommt er nicht auch bald, damit wir anfangen können?,,Ich bin doch hier'', sagt der vermeintliche Handwerker, der Mann, an dem auf den ersten Blick wirklich nichts an eine Frau erinnert. Doch der 38-jährige Ingenieur war bis vor fünf Jahren eine Frau.

,,Anatomie ist Schicksal'' sagte einst der Psychoanalytiker Sigmund Freud. Seit den siebziger Jahren trifft dies nicht mehr zu. Eine ,,geschlechtsangleichende Operation'' ist heute auf hohem Niveau möglich, erklärt Bernhard Liedl, der in der Chirurgischen Klinik in Bogenhausen praktiziert.

Seit 1992 hat er 258 Transsexuelle umoperiert, davon 200 Männer zu Frauen und 58 Frauen zu Männern. Pro Jahr macht Liedl zwölf Operationen von Frau zu Mann und 50 von Mann zu Frau. Grund für diese zahlenmäßige Diskrepanz ist jedoch nicht die Nachfrage, sondern ein Vertrag mit der Krankenkasse. Seit den achtziger Jahren wird Transsexualität als Krankheit akzeptiert, und die OP-Kosten somit erstattet.

Die Version Mann zu Frau ist die leichtere Operation, sagt Liedl. ,,Da gibt es wesentlich weniger Komplikationen.'' Eine kritische Stelle bei der OP Frau zu Mann sei die Harnröhre. Ansonsten jedoch sei der Aufbau des Geschlechtsorgans kein großes Problem. Auch der Erhalt einer erfüllten Sexualität stelle heute keine Schwierigkeit mehr dar. Die Nervenverbindungen würden alle in stundenlanger Kleinarbeit wieder hergestellt, erläutert der Arzt.

Der 54-Jährige gilt in München heute als Spezialist dieses Fachs. Außer ihm gibt es nur einen weiteren Fachmann für solche Operationen in der Landeshauptstadt. ,,Wir haben Patienten aus allen gesellschaftlichen Schichten'', betont Liedl. Auch in Bezug auf die Partnerschaft der Patienten gebe es jede nur denkbare Konstellation: Ehepaare, die auch mit dem neuen Geschlecht des Partners verheiratet bleiben, Homosexuelle, die jahrelang zusammen leben, bevor einer zur Frau werden möchte.

Woher das Bedürfnis, das andere Geschlecht haben zu wollen, kommt, weiß die Wissenschaft allerdings nicht, so Liedl. Aus seiner Erfahrung kann er nur sagen, dass es ein sehr starker Drang ist. ,,50 Prozent unserer Patienten haben einen Selbstmordversuch hinter sich.'' Dennoch sollte seiner Meinung nach eine große Hürde vor dem Schritt zur Operation bestehen bleiben, so Liedl. ,,Es ist ein großer Eingriff und wir sagen unseren Patienten, dass er irreversibel ist.''

,,Ich hab schon immer mit Puppen gespielt'', sagt Bianca, der ehemalige Robert. ,,Ich habe meine Kusine schon als Kind um ihr Kleid beneidet und mich nie mit männlichen Wesen identifiziert.'' Seit jeher habe sie gewusst, dass sie anders sei. Die Idee, sich als Frau zu kleiden, kam ihr vor 20 Jahren. ,,Ich bin kein Mann'' - das wusste Bianca schon immer.

,,Aber was ich war, wusste ich nicht.'' Bis sie irgendwann von Transsexualität hörte. Nach ihrem Umzug vom Land nach München fand sie ,,Viva'', den Selbsthilfetreff für Transsexuelle. ,,Beim ersten Mal bin ich noch als Mann gekommen. Aber ich habe mir sofort vorgenommen: Beim nächsten Mal komme ich als Frau.''

,,Ich bin kein Mädchen'', fand dagegen Antonio bereits als Kind. ,,Ich zieh keine Kleider an.'' Das Mädchen habe sich burschikos gekleidet, sich mit den Jungs herumgetrieben statt mit Geschlechtsgenossinnen zu spielen. ,,Bis zur Pubertät ging das alles noch'', erinnert er sich. ,,Dann wurde es zur Katastrophe.''

Das junge Mädchen, das keines sein wollte, wollte nur noch weg aus ihrem Umfeld, zog in die Großstadt und geriet dort in die Lesbenszene. ,,Das ging zehn Jahre lang gut. Ich hatte viele Beziehungen. Ich war halt eine ,butch', eine maskuline Frau.'' Eines Tages kam die Erkenntnis: ,,Ich habe keine Lust mehr, als Frau zu leben!''

,,Transsexualität ist eine definierte seelische Krankheit'', sagt Psychiater Christian Vogel, der die vor einer Umoperation notwendigen Gutachten erstellt. ,,Das hören die Betroffenen zwar nicht gerne. Aber andererseits muss es eine Krankheit sein, damit ihre Behebung von der Krankenkasse bezahlt wird.''

Körperliche Ursachen für das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, hat die Wissenschaft bis heute nicht entdecken können. ,,Die möglichen Ursachen wurden oft untersucht'', sagt Vogel. ,,Doch ob endokrinologisch oder chromosomentechnisch - auf körperlicher Ebene gibt es keine Hinweise.'' Alle Transsexuellen hätten einen völlig normalen Hormonstatus - etwa den einer Frau, und fühlten sich doch als Mann oder umgekehrt.

Psychoanalytiker glauben, so Vogel, dass Transsexualität im Alter von etwa zwei Jahren entsteht. ,,Das ist entwicklungspsychologisch die Phase, in der das Kind merkt: Ich bin ich, die anderen sind die anderen.'' Das sei auch die Zeit, in der es sich als Mädchen oder Jungen erkenne. Was genau da bei Menschen passiere, die sich im falschen Geschlecht wähnen, bleibe leider im Dunkeln. ,,Es könnte eine Angst vor Entgrenzung und Ich-Auflösung sein.''

Wissenschaftlich gesichert ist lediglich, dass, wie bei Bianca und Antonio, die Zufriedenheit mit dem Geschlechtswechsel sehr groß ist. ,,Es gibt Studien, die zeigen, dass drei Viertel der Umoperierten hinterher glücklicher sind als vorher'', weiß Vogel.

Und das, obwohl gerade die Version Mann zu Frau oft nicht perfekt wird. Viele körperliche Merkmale verraten immer den einstigen Mann. So erreichen diese Patienten trotz Östrogenen selten eine wirkliche Frauenstimme. Neu-Männer wirken dagegen meist sehr überzeugend, da sie Bartwuchs und eine tiefe Stimme bekommen. ,,Die Patienten müssen damit leben, dass diese Diskrepanz in ihrem Leben bleibt.''

Von Freitag, 29. Juni, bis zum Sonntag, 1. Juli, findet in den Räumen der Münchner Aids-Hilfe, Lindwurmstraße 71, eine ,,Trans-Tagung'' statt. Mehr unter www.vivats.de

© SZ vom 27.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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