Die an bundesdeutschen Stammtischen lange vorherrschende Annahme, Frauen verstünden nichts vom Fußball, ist heute widerlegt - nicht zuletzt durch den nachweislichen Fachverstand der Damen Lierhaus, Will und Töpperwien. Inwieweit sich jedoch Oktopusdame Lola in diese Kompetenzriege einringen darf, bleibt abzuwarten.
Lola, vier Monate alt, hat eine undankbare Aufgabe übernommen: Zusammen mit sieben weiteren Tieren der Gattung "Octopus vulgaris" ist sie auserwählt, um das Erbe des Nationalhelden Paul zu kämpfen - dem weltberühmten Kraken, der sich im vergangenen Jahr durch die Fußball-Europameisterschaft orakelte und mit der sensationellen Trefferquote von 100 Prozent (acht Spiele richtig getippt) alles richtig und Spanien zum Champion gemacht hat.
In der galizischen Stadt Carballino ist der Kopffüßer, der im Oktober 2010 nach einem langen Oktopusleben im Sealife-Center in Oberhausen an Altersschwäche starb, seit dieser Zeit Ehrenbürger.
Seitdem werden überall in der Republik Tiere zu Orakel stilisiert. Im Serengetipark Hodenhagen in Niedersachsen hatte Elefantendame Nelly die Aufgabe, einen Fußball auf zwei nebeneinander stehende Tore zu schießen - der Ball rollt in das der Kanadierinnen.
Die Geburtsstätte des tierischen Tippens sind jedoch die Sealife-Center, und die wollen sich das Orakel-Geschäft nicht verderben lassen, weswegen die Marketingstrategen der Aquarienkette nun, pünktlich zur Fußball-Frauen-WM, hoffen, den Paul-Hype - zumindest teilweise - wiederzubeleben.
In allen acht deutschen Sealife-Aquarien darf ein Oktopus die WM-Partie der deutschen Fußballfrauen gegen Kanada tippen (Sonntag, 18 Uhr). Es folgen sieben weitere Termine während des Turniers. Am Ende wird ein Meistertipper gekürt. "Deutschlands erster Orakelkontest" - so wird das Spektakel genannt.
Und weil Tintenfisch-Tippspiele stets eine Aufgabe von nationaler Bedeutung sind, steht eine Mitarbeiterin im hellblauen Poloshirt in einem kleinen dunklen Raum des Münchner Aquariums vor einem Bullauge und erklärt, man habe das Tippen mit Lola bereits mehrfach geübt. Das Tier sei also gut vorbereitet auf seine Aufgabe.
Langsam lässt Aquarist Serdar Karagöz einen Plexiglasquader in Lolas bis eben noch recht idyllisches Zuhause hinter dem Bullauge gleiten. Eine Röhre mit deutscher Flagge, eine mit kanadischer, beide sind mit einer Scheibe abgedeckt. Innendrin: je eine Miesmuschel, die Tagesration eines Octopus vulgaris. 30 Minuten hat das Tier jetzt Zeit, die Muschel zu finden. Falls es sich für keine Röhre entscheidet, wird das als Unentschieden gewertet.
Nichts sei manipuliert, es gebe keine Wettbewerbsverzerrung heißt es immer wieder. In beiden Röhren läge Miesmuschelfleisch, beide Portionen gleich groß. Orakelkritiker wie der Greifswalder Tintenfischforscher Volker Miske hatten schon bei den Tipp-Erfolgen von Lolas Vorgänger Paul gesagt, es würde schon ausreichen, in ein Gefäß "etwas größere Muscheln zu geben."
Lola, die bei drei von drei Proben die Muscheln in der deutschen Röhre verspeiste, entscheidet sich jedoch vor Publikum nach gerade einmal sechs Minuten für den Außenseiter. Krakendame Lola setzt auf Kanada, was ihr beim Sportwettenanbieter Oddset bei einem Einsatz von einem Euro stolze zwölf Euro Siegprämie einbrächte. Zum Vergleich: Für Deutschland gäbe es gerade einmal 1,05 Euro.
Ohnehin sind sich auch die acht Kraken-Orakel nicht einig. Neben Lola aus München setzt auch Paula aus dem Konstanzer Sealife-Aquarium auf einen Sieg Kanadas. Drei Tintenfische glauben an ein Unentschieden und die Oktopuse aus Berlin und Königswinter rechnen mit einem Erfolg der Mädels von Bundestrainerin Silvia Neid. Und Paul II. aus Oberhausen? Der tippt auch auf Deutschland.
Doch, wer weiß: Sollte das Münchner Oktopus-Orakel Lola recht behalten - vielleicht winkt ihr dann ja die Ehrenbürgerschaft von Montreal.