Tanja Kinkel:Zu Hause in der Antike

Lesezeit: 3 min

Geschichte als Leidenschaft: Heute erscheint Tanja Kinkels neuer Roman "Venuswurf".

GÜNTER KEIL

Tanja Kinkel weiß, wo es langgeht. "Dort hinten, da ist sie!", sagt die 36-jährige Bestsellerautorin, während sie sich zielsicher durch den Büsten-Wald im Römersaal der Glyptothek schlängelt. Vor einem mit "4 A" gekennzeichneten Ausstellungsstück bleibt sie stehen. Diese Büste einer anonymen Frau wirkt unscheinbar: ein junges, rundes Gesicht, leere Augen, hochgesteckte Haare. "Genau so stelle ich mir die Hauptfigur meines neuen Romans vor", sagt Kinkel.

In "Venuswurf" (Knaur), ihrem heute erscheinenden Werk, schildert die Münchnerin die Erlebnisse der Zwergin Andromedar zu Zeiten der späten römischen Republik und des frühen Kaiserreichs. Mit ihrem elften Roman dürfte Kinkel ihren Ruf als eine der erfolgreichsten Autorinnen Deutschlands untermauern. Die Gesamtauflage ihrer Bücher beträgt mehr als 3,5 Millionen Exemplare, in 13 Sprachen gibt es Übersetzungen.

"Geschichten zu hören, zu lesen und sie sich auszudenken, das ist mein Talent, mein persönlicher Daseinsgrund", meint Tanja Kinkel und fügt hinzu: "Das Recherchieren und Schreiben kann so süchtig machen wie eine Droge." Womit eine Erklärung geliefert wäre für die von Kritikern als nahezu übermenschliche Schaffenskraft bezeichnete Produktivität der Autorin. Bereits 1990 debütierte die damals 21-Jährige mit ihrem 800-Seiten-Roman "Wahnsinn, der das Herz zerreißt" über das Leben Lord Byrons. Er verkaufte sich 40000 Mal. Zwei Jahre zuvor war die gebürtige Bambergerin zum Germanistik- sowie Theater- und Kommunikationswissenschaftsstudium an die Isar gezogen. Zu dieser Zeit besuchte sie häufig die Glyptothek. Weniger, um sich mit Kommilitonen zum Cappuccino im Museumscafé zu treffen, als vielmehr, um sich zu informieren und inspirieren zu lassen. "Die Antike ist nun einmal meine Passion", sagt Kinkel. Man merkt ihr an, dass dies für sie keine Floskel ist.

Wunderkind? Ausnahme-Autorin? Als Tanja Kinkel schon ein Jahr nach ihrem ersten Roman ihr nächstes Werk "Die Löwin von Aquitanien" vorlegte, staunten Leser und Literaturexperten. Ausgezeichnet mit dem Bayerischen Förderpreis, stürzte sie sich 1992 sogleich in die Recherchen zu "Der Puppenspieler". Es sollte Kinkels bisher größter Erfolg werden: Der Renaissance-Roman wurde rund eine Million Mal verkauft. Indes, Erfolgsdruck verspüre sie nicht, sagt Kinkel. "Ich unterscheide mich in der Arbeitsweise kaum von anderen Schriftstellerinnen - außer vielleicht darin, dass ich mir für jeden Roman eine andere Epoche suche."

Vermutlich eine Untertreibung. Denn die Akribie, mit der sich die Autorin alle zwei Jahre auf neue Projekte vorbereitet, und die Besessenheit, mit der sie diese umsetzt, ist nicht alltäglich. "Ja, ich bin perfektionistisch", gibt sie auf Nachfrage zu. Das fertige Manuskript zu "Venuswurf" habe sie selbst siebenmal komplett überarbeitet, bevor sie es an den Verlag weiterleitete. Ihr Lektor Timothy Sonderhüsken meint: "Von Tanja Kinkel muss man nichts fordern; sie fordert einen." Er hält dies für einen Glücksfall.

Es ist nicht einfach, die persönliche Seite der erfolgreichen Autorin zu ergründen. Wenn Tanja Kinkel aus dem Stegreif über die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse Kaiser Augustus' oder die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seiner Zeit referiert, wirkt sie bisweilen steif und distanziert. Fragen nach ihrem Privatleben beantwortet sie freundlich, aber unbestimmt. Wer hartnäckig bleibt, erfährt, dass sie gerne Ski fährt, schwimmt, reist und in ihrer Kindheit durchaus diverse Asterix- und-Obelix-Bände gelesen hat. Womit man wieder bei den Römern angekommen wäre. "Die römische Geschichte war immer mein ganz besonderes Steckenpferd. Als Mädchen habe ich Kurzgeschichten über Julius Cäsar in meine Schulhefte geschrieben," sagt Kinkel. 1995, während eines dreimonatigen Stipendiums in Olevano Romano bei Rom, nahm sie sich Zeit für ausgiebige Erkundungen. Ihr achter Roman "Die Söhne der Wölfin", im Jahr 2000 veröffentlicht, spielt zur Zeit der Gründung Roms.

Beim Verlassen der Glyptothek stoppt Tanja Kinkel am Museumsshop. Einige Holzkistchen haben es ihr angetan, die zum Stückpreis von 22 Euro angeboten werden. "Auf diesen Wachstäfelchen schrieb man im alten Rom kurze Notizen; Kinder benutzten sie, um Schreiben zu lernen", sagt sie. Eines der zahlreichen Details aus ihrem neuen Roman, in dem die Autorin zudem Essgewohnheiten, Kleidungsvorlieben und Wohnungseinrichtungen ihrer Protagonisten ganz exakt schildert. "Venuswurf" ist für einen Bestseller im oft blumig-kitschigen Historien-Genre relativ sachlich geschrieben - und Kinkel verzichtet auf schlüpfrige Liebesszenen. Stattdessen widmet sie sich den Alltagssorgen ihrer Hauptfigur, die als Sklavin aus der Provinz nach Rom reist und dort unter anderem in Berührung mit der Theater- und Literaturszene kommt.

Verfasst hat Kinkel den Roman im Übrigen auf einem Computer. Wobei ihr Verlag in Anbetracht der zu erwartenden Buchumsätze Kinkelschen Ausmaßes vermutlich sogar antike Wachsschreibtäfelchen akzeptiert hätte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: