Streit mit einer Behörde:Der Mann, der zuviel schrieb

Bayern wird gegen Länderfinanzausgleich klagen

Ein Kleinkrieg mit dem Kreisverwaltungsreferat hätte einen Münchner fast den Führerschein gekostet

(Foto: dpa, Bildbearbeitung Süddeutsche.de)

Ein promovierter Psychologe marschiert ins Münchner Kreisverwaltungsreferat und beantragt die bayerische Staatsangehörigkeit. Im Verlauf des folgenden Briefwechsels bezweifelt die Behörde seine geistige Gesundheit und will ihm den Führerschein abnehmen. Die Stadt lenkt erst ein, als eine andere Behörde eingreift.

Von Bernd Kastner

Dass der Führerschein in Gefahr ist, wenn einer betrunken oder allzu unsicher Auto fährt, das weiß man. Es kann ihn aber auch verlieren, wer beim Kreisverwaltungsreferat die bayerische Staatsbürgerschaft beantragt. Das hat Franz Felix Müller erfahren, nachdem er im Februar mit diesem, vorsichtig formuliert, ungewöhnlichen Anliegen im KVR erschienen war. Infolgedessen sollte er auf seine geistige Gesundheit untersucht werden. Müller, der in Wirklichkeit anders heißt, widersetzte sich, und es begann ein bizarres Ringen zwischen ihm und den Behörden. Das Agieren des KVR erinnert dabei an eine Fahrt in Schlangenlinien, die mit einem waghalsigen Wendemanöver beendet wurde.

Franz Müller, 47 Jahre alt, gebürtiger Münchner, Abiturnote 1,0, promovierter Diplom-Psychologe, angestellt bei einem Weltkonzern, ist ein Mann, der manches sehr genau nimmt, auch die Buchstaben des Gesetzes. So kommt es, dass er im Februar dieses Jahres seinen Personalausweis beim KVR abgibt. Er sei dazu gesetzlich verpflichtet, weil das Dokument falsch ausgestellt sei.

Im Personalausweisgesetz heißt es, dass der "Familienname" vermerkt sein müsse, tatsächlich stehe dort aber nur der "Name", darunter dann etwa "Müller". Zudem beantragt er bei dieser Gelegenheit die "Staatsangehörigkeit Bayern". Er bezweifelt nicht die Existenz der Bundesrepublik, jedoch ihre Souveränität, und nur ein souveräner Staat könne die Staatsangehörigkeit verleihen. Obendrein sei die "Staatsangehörigkeit deutsch" eine Erfindung der Nazis, argumentiert er und verweist auf diverse Paragrafen.

Müller soll zum Psychiater - sonst ist sein Führerschein weg

Es passiert nichts. Erst auf Müllers Insistieren hin teilt das KVR mit, dass man am Personalausweis nichts zu ändern gedenke. Diese Antwort missfällt Müller noch mehr als das Schweigen. Er zitiert aus dem Buch eines ehemaligen Chefs des Militärischen Abschirmdienstes, der einst von Franz Josef Strauß die bayerische Staatsangehörigkeit verliehen bekommen haben will. Also müsse es diese Staatsangehörigkeit ja geben, sagt Müller. Und so weiter.

Jetzt wird im KVR das "Feedbackmanagement" aktiv, zuständig "für Ideen, Lob & Dank und Kritik". Dem "Kunden" Müller schreibt die Sachbearbeiterin, dass das mit der bayerischen Staatsangehörigkeit nicht funktioniere, man sich gegen seine unsachlichen und beleidigenden Bewertungen verwahre und fortan seine Schreiben nicht mehr beantworte. Daraufhin attestiert Müller der KVR-Frau "erhebliche Defizite im Verstehen glasklarer Gesetzestexte". Und so weiter.

Im KVR findet der Schriftverkehr hausintern den Weg in die Fahrerlaubnisbehörde. Die ist nicht nur fürs Ausstellen von Führerscheinen zuständig, sondern auch fürs Gegenteil. "Vollzug des Straßenverkehrsgesetzes und der Fahrerlaubnis-Verordnung für Herr Franz Felix Dr. Müller, wohnhaft: Schmutterstraße 0041." So steht es - mit Müllers richtigem Namen und Adresse - im Betreff. Dann teilt der Sachbearbeiter mit, dass sich Herr Müller auf "psychische (geistige) Störungen" untersuchen lassen müsse. Es gebe wegen der Sache mit der Staatsangehörigkeit den Verdacht auf eine psychische Krankheit und damit "Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen".

Kurzum, Müller soll zum Psychiater, auch wenn das KVR das Reizwort Psychiater vermeidet. Die Kosten dafür müsse Müller selbst tragen. Und wenn er sich weigere, dann sei im Oktober der Führerschein weg.

Müller sieht sich schon als zweiten Mollath - und läuft zu Hochform auf

Es ist die Zeit, in der jeden Tag über die Psychiatrie berichtet wird, Müller sieht sich schon als zweiten Gustl Mollath. Spätestens jetzt läuft Müller zu Hochform auf. Wenn schon der Personalausweis nicht sicher ist vor seiner Fehleranalyse, ist es ein Behördenbrief erst recht nicht. In lustvollem Verbalfuror beschwert er sich bei KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle. Ob nicht eher seinem Sachbearbeiter der Führerschein genommen gehöre, aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse. Ob der Mann nicht wisse, dass der Doktortitel vor den Vornamen gehöre; ob er schon mal was von Kommaregeln, vom Genitiv-s oder Konjunktiv gehört habe. Tatsächlich ist die kritisierte Anordnung kein Ausweis amtlicher Sprachkunst. Es wird obendrein als Tatsache dargestellt, was eigentlich untersucht werden soll: "Die Anordnung ist geeignet, Ihre geistigen Einschränkungen hinsichtlich ihrer Relevanz zur Verkehrstauglichkeit festzustellen."

Müller will nicht zum Psychiater, er will aber auch seinen Führerschein behalten, egal ob als Deutscher oder Bayer. Also schreibt und schreibt er, an den Oberbürgermeister, an den Ministerpräsidenten, an den Innenminister. Er schreibt gekonnt gedrechselt, sucht und findet eine Gerichtsentscheidung, wonach einem wegen einer unüblichen Gesetzesauslegung nicht der Führerschein genommen werden dürfe. Und er verfasst den Entwurf einer Klage: 27 Seiten plus etwa 70 Seiten Anhang. Müllers Botschaft: Juristisch ist mit mir nicht zu spaßen.

27,79 Euro für die "Anordnung einer fachärztlichen Fahreignungsprüfung"

Obwohl das KVR ihm nicht mehr antworten wollte, schreibt im August die Vize-Chefin der Behörde. Dass dieses Gutachten nun mal sein müsse, bis spätestens 18. Oktober, sonst: Schein weg. Und dann gibt Claudia Vollmer endgültig Gas: "Eine andere Entscheidung ist aufgrund der derzeitigen Rechtslage nicht möglich." Später legt das "Feedbackmanagement" des KVR noch nach: Den Führerschein wegzunehmen, wenn Müller kein positives Gutachten vorlege, "ist keine Frage des behördlichen Ermessens". Weil all das Geld kostet, erhält Müller einen "Bescheid": 27,79 Euro soll er für die "Anordnung einer fachärztlichen Fahreignungsprüfung" überweisen.

Den Sommer über erhält Müller weitere Post. Der Ministerpräsident dankt für seinen Brief, für ein persönliches Gespräch habe er leider keine Zeit. Der Innenminister lässt schreiben, dass man die Regierung von Oberbayern eingeschaltet habe. Die Aufsichtsbehörde der Stadt hatte das KVR nach eigenen Angaben auch selbst um eine Stellungnahme gebeten. Und siehe da: "Der grundsätzliche Sachverhalt", schreibt die Regierung, sei zwar "durchaus geeignet", Zweifel an Müllers "Fahreignung" zu begründen, weil er offenbar die Existenz der Bundesrepublik und deren Gesetzgebung verneine und deshalb womöglich auch die Straßenverkehrsordnung ignoriere. Dennoch empfehle man der Stadt, die Sache gut sein zu lassen. Schließlich sei Müller im Straßenverkehr noch nie auffällig geworden, und außerdem sei das amtliche Vorgehen eine Ermessensentscheidung.

Plötzlich tritt das KVR ganz schnell auf die Bremse und macht kehrt: "Betrachten Sie bitte die Begutachtungsanordnung als gegenstandslos", schreibt jetzt eine Verwaltungsdirektorin an Müller. Eine KVR-Sprecherin versichert, man habe sich die Entscheidungen nicht leicht gemacht.

Ein paar Tage zuvor hat Müller erneut Post vom KVR bekommen, diesmal von der Abteilung Verkehrsüberwachung. Man hatte ihn in einer Tempo-30-Zone geblitzt, mit 49. Macht 35 Euro. Der Bayer Franz Müller, immer noch deutscher Staatsbürger, findet das in Ordnung - und überweist. "Schließlich befürworte ich durchaus die Existenz von Verkehrsregeln."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: