Streik am Flughafen:Füße hoch im Terminal

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Morgenstille in München: 300 Leute schaffen es, einen kompletten Großflughafen lahmzulegen. Und die Passagiere sind nicht mal wütend.

Sarina Märschel. Mit Video von Marcel Kammermayer.

Eigentlich wollte sie am Morgen nach Amsterdam fliegen. Stattdessen hat die ältere Dame ihre Füße auf ihrem Koffer übereinandergelegt, liest Zeitung und wartet. "Ich habe Verständnis für den Streik", sagt sie. Und wartet weiter.

Kämpft für acht Prozent mehr Lohn: Ein Streikender am Münchner Flughafen. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Ihr Mann, silbergraue Haare, Hemd, kariertes Jacket, widerspricht vehement: "Ich finde es eine Unverschämtheit ...", setzt er an. Seine Frau hebt die Hand und versucht, ihn wieder zum Schweigen zu bringen. Nachdem sie keinen Erfolg damit hat, steht sie auf und geht. Ihr Gatte sagt im zweiten Anlauf: "Ich finde es eine Unverschämtheit, dass sie uns warten lassen und uns dann hier drinnen noch mit solchen Tönen belästigen. Die sollen draußen pfeifen, wie sie wollen." Und dann sagt der Münchner Rentner noch, er fände es fairer, wenn auch die Rentner streiken könnten.

"Schade", sagt einer. Sonst nichts.

Etwa 300 Mitarbeiter des Bodenverkehrsdienstes sind dem Verdi-Aufruf zum Warnstreik gefolgt - am Münchner Flughafen werden die Flugzeuge an diesem Morgen weder betankt noch beladen noch mit Frischwasser versorgt. Stattdessen ziehen die Männer in gelben Warnwesten und blauen Latzhosen mit Trillerpfeifen und Fahnen durch Terminal 2. Nur eine Notbesetzung kümmert sich noch um ankommende Maschinen und deren Passagiere. Eine Rolltreppe bleibt stehen - und Dutzende streikende Arbeiter pfeifen, johlen und klatschen. Sie haben es heute geschafft, neben einer Rolltreppe einen ganzen Flughafen weitgehend lahmzulegen.

Zwei Japaner fotografieren die Arbeiter. Am frühen Morgen ist der Flughafen noch wie leergefegt - offenbar hat es mit der Information gut geklappt. Viele Passagiere sind erst gar nicht zum Flughafen gekommen. Nur eine Gruppe Österreicher ist telefonisch falsch informiert worden. "Vor einer Stunde haben wir hier angerufen, da hieß es noch: 'Der Flieger hebt ab.' Jetzt fällt er aber wahrscheinlich doch aus", sagt einer der sieben Geschäftsreisenden. Barcelona ist für die Gruppe in weite Ferne gerückt. "Schade", sagt einer. Sonst nichts.

Viele der Wartenden reagieren überraschend verständnisvoll auf die Streiks. Ärger? Wut? Fehlanzeige: "Wir unterstützen Gewerkschaften", sagt eine junge Amerikanerin, die noch nicht weiß, ob ihr Heimflug in die USA an diesem Tag noch klappt. Nur einer in der Schlange vor dem Extra-Schalter für annullierte Flüge beschwert sich über die "italienischen Verhältnisse" im Streikland Deutschland, ein anderer ist so sauer, dass er gar nichts mehr sagen will: "Sonst platz ich".

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum die Männer vom Bodenverkehrsdienst Wut im Bauch haben.

Frank Riegler, Landesfachbereichsleiter bei Verdi, und Heinrich Birner, Geschäftsführer der Dienstleistungsgewerkschaft für München und Region, sind seit halb fünf Uhr morgens am Flughafen. Um halb sieben stehen sie vor der Anzeigentafel, die fast nur noch annullierte Flüge anzeigt. Sie sind zufrieden. "Unserer Kenntnis nach ist heute noch kein Flieger raus", sagt Birner. "Und wir gehen davon aus, dass es bis mittags auch so bleibt. Das ist eine erhebliche Ausweitung des Arbeitskampfes und ein Zeichen an den Arbeitgeber, sich zu bewegen. Wir haben Hoffnung auf eine gute Lohnsteigerung."

Wut im Bauch

Die Gewerkschaftsmitglieder sind da unterschiedlicher Ansicht. Darici Köksal, seit 12 Jahren Flugabfertiger am Münchner Flughafen, findet es ein "gutes Gefühl" an diesem Morgen die Arbeit zu verweigern - "aber wir hätten schon viel früher streiken sollen".

Ein Kollege aus dem Frachtbereich zweifelt hingegen am Sinn des Warnstreiks: "Dass es so richtig was bringt? Ich denke eher nein." Walter Weber, ebenfalls im Frachtbereich tätig, pflichtet ihm bei: "Man sieht es auch an den Lokführern, die tun schon ewig rum." Wut im Bauch haben sie aber beide: "Es ist eine Frechheit, auf Kosten der Mitarbeiter so ein Geschäft zu machen. Für die dritte Startbahn hat man Geld, für den Transrapid - aber für die Leute, die das Geld reinbringen, hat man nichts", sagt der ältere der beiden. Seinen Namen will er nicht nennen. Sein Kollege Weber arbeitet seit 21 Jahren arbeitet er am Flughafen, 150 Kilometer fährt er täglich, um zu seinem Arbeitsplatz und zurück zu kommen. "Vor zehn Jahren hat noch jeder gesagt, sei froh, dass du da bist, das ist eine sichere Arbeit. Aber jetzt?"

Um halb neun sind die Schlangen an den Schaltern länger geworden. Über Lautsprecher entschuldigt sich der Flughafen bei den Passagieren für Wartezeiten und Unannehmlichkeiten, Lufthansa-Mitarbeiter verteilen kostenlose Getränke. Die Österreicher stehen beim Sperrgepäck und versuchen, die Koffer loszuwerden. Aber keine Chance: Das Gepäck wird nicht angenommen. Dafür gibt's Aussicht auf einen Platz im Flieger um 14.50 Uhr. "Aber fix ist das nicht", sagt einer von ihnen. Inzwischen klingt es doch ein bisschen knurrig.

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