Streetlife und Corso Leopold:Paradies der Wanderpalmen

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Palmenwald beim Corso Leopold und Streetlifefestival auf der Leopoldstrasse. (Foto: Catherina Hess)

350 000 Menschen feiern am Wochenende zwischen Feldherrnhalle und Münchner Freiheit - mit Livemusik, Kunstaktionen und Stadtprominenz.

Von Tom Soyer

Wie einst die "Kleinen Strolche" ziehen Paul und seine Handvoll Freunde die Ludwigsstraße in der Abenddämmerung zum Siegestor, über sich himmelwärts drängend eine bunte Kette von 35 Luftballons, die sie beim Streetlife- und Corso-Leopold-Festival am Samstag an vielen Ständen gesammelt haben. Sie verleihen dem ausnahmsweise autofreien Boulevard poetischen Glanz. Liebespaare drehen sich um, Fotografen halten die Szenerie begeistert fest: Heiteres Leben an einem wunderbaren Sommerabend, an dem sich Tänzer und Trommler, Musiker und München-Begeisterte an Sonnenstrahlen wärmen. Ein kostenloses Vergnügen für gut 300 000 Menschen an diesem Wochenende.

Seit dem Jahr 2000 gibt es das Streetlife-Festival, das der Begrünungs-und Umwelt-Verein Green City zwischen Feldherrnhalle und Siegestor organisiert, und das der Schwabinger Verein "Corso Leopold" ergänzt um die Feier-Meile zwischen Siegestor und Münchner Freiheit. Insgesamt ein prickelndes Exempel, "wie man den öffentlichen Raum auch mal ganz ohne Anträge schöner gestalten kann", schwärmt Green-City-Geschäftsführer Martin Glöckner neben einer 300 Quadratmeter großen Palmeninsel auf der Ludwigstraße, direkt vor dem Landwirtschaftsministerium.

Die Palmen und Farne sind echt, Dschungelgeräusche und elektronische Kompositionen werden digital zugespielt, Nebelmaschinen und bunte Lichter bringen einen gewissen Verfremdungseffekt in die Installation "Urban Paradise" des Münchner Künstlers Michael Pendry. Die Palmen ziehen das Publikum magisch an. Einzig der arg intensive Geruch des frisch ausgebrachten Rindenmulchs stört die Illusion ein wenig. "Ein Ort kann auch mal anders sein, als ihr euch das vorstellt", sagt Pendry und führt der Stadt rund um seine palmenverhüllte Verkehrsinsel vor, wie viel Lust eine "künstlerische Intervention im öffentlichen Raum" entfalten kann. Paradiesische Maxvorstadt.

Dass das Festival wirkt, kann man auch daran ablesen, dass sogar Münchens 88 Jahre alter Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel am Samstagnachmittag mit seiner Frau Liselotte einmal beim Streetlife vorbeischaut. Während der Stones-Hit "Honky Tonk Woman" von der Feldherrnhalle herüber wummert, wehrt er aber jede Vermutung ab, er sei wegen der Rockmusik gekommen. "Des können S' Ihnen ja denken . . .", bescheidet er und blickt sich dennoch irgendwie zufrieden um. Alles gut in der Stadt, sogar das mit der neuen rot-schwarzen Koalition, sagt er. Das kenne er aus eigener Erfahrung, aus den späten Fünfzigerjahren in Bayern. Aber dann schaut er doch lieber kurz in die Sonne, lacht und sagt: "Aber ich will hier keine Vorlesung vom Punischen Krieg halten . . ."

Streetlife Festival und Corso Leopold
:"Blow up" auf der Leopoldstraße

180 riesige rote Luftballons, ein Wald aus Palmen und Wettbewerbe im Langsam-Radeln: Impressionen vom Streetlife- und Corso-Leopold-Festival.

Ein paar Schritte weiter, zwischen dem Annast-Haus und einem Aston-Martin-Laden, rattern Skater über die Rampen im "Ludwig-Stadion", und wen es nicht zu brasilianischen Bratwürsten zieht, der lässt sich vielleicht vor der Landesbank auf der Bierbank nieder, um dem Wiener Weltmusiktrio Cobario zu lauschen: Kaum spielt das Akustik-Trio, schwillt die Zuhörermenge an. Aus 20, 40 werden rasch 150 Hörer und mehr.

Das wird gegenüber der Staatsbibliothek, bei der Münchner Deutschrockband Waldmeister etwas schwieriger - denn die spielen gerade in ihrem Oldtimer-Setra-Omnibus. Hinten die Band, vorne ein paar Zuhörer. Wo früher Schulkinder chauffiert wurden, schmettert Henrik Schramm jetzt eigene Rockballaden ins Mikro, Profis wie Christof von Haniel (Ex-Schürzenjäger) und Knud Mensing (Zauberberg), der lässig mit seiner E-Gitarre auf der Rückbank fläzt, begleiten ihn. Der blaue Tourbus gehört Bassist Christof Bachmeier aus Oberpframmern, und er macht richtig Ernst mit "Streetlife": Mit seiner Frau verbringt er die Nacht auf der Feiermeile, im Bus.

Jenseits des Siegestores lassen es die Schwabinger auf dem Corso Leopold krachen - mit Trommelgruppen, dem Fußballturnier von "Bunt kickt gut" und sogar einer evangelischen "Kircheneintrittsstelle". Die Bob-Dylan-Coverband The Blissful Bob spielt so gut, dass ein Musikfeinschmecker im Stile eines Profikritikers kommentiert: "Für Intellektuelle, perfekt dekonstruiert und schlau."

Mit riesigen roten Luftballons erinnert der Corso Leopold auch an alte Schwabinger Nachtclub-Geschichte: "Blow up" heißt die Aktion, bei der das Publikum über den Köpfen 180 Ballons von der Münchner Freiheit bis zum Siegestor schubsen soll. Die meisten Ballons verlieren sich rasch in die U-Bahn oder in Seitenstraßen und werden Beute einiger Egoisten - vielleicht müssen Corso-Vorsitzender Ekkehard Pascoe und seine Mitstreiter für den nächsten Corso/Streetlife-Termin am 13. und 14. September einfach von Knirps Paul und seinen Luftballonketten-Freunden lernen. Wenn man die guten Stücke zusammenbindet, klappt's besser.

© SZ vom 02.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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