Tutzing:Tutzinger Löwe für Egon Bahr

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Die Evangelische Akademie ehrt den bald 90-jährigen Ostpolitiker - und verzichtet bei der Feier auf die ganz große Kulisse.

Gerhard Summer

TutzingIst das der Tutzinger Wandel durch Annäherung? Gerade mal 43 Gäste sitzen an der langen Tafel im Speisesaal des altehrwürdigen Schlosses, der eher gemütlich als repräsentabel wirkt. Die Reden sind kurz, das Essen ist fein, die Regie an diesem Abend ausbaufähig. Einen Ehrengast unterbricht man ja normalerweise nicht, Akademiedirektor Udo Hahn tut es aber doch, als sich Egon Bahr für seine Auszeichnung, den Tutzinger Löwen, bedanken will. Denn der bald 90-jährige SPD-Politiker soll erst nach der Suppe reden, warum auch immer.

Egon Bahr erhält von der Evangelischen Akademie in Tutzing den Tutzinger Löwen. Hier mit Akademiedirektor Udo Hahn und dessen Vorvorgänger Claus-Jürgen Roepke. Foto: Fuchs (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eine Kleinigkeit, natürlich. Aber ist man von dieser Evangelischen Akademie nicht anderes gewohnt? Sicher, als der Physiker Carl-Friedrich von Weizsäcker die Bronzeplastik bekam, ein "Minimonument", wie Bahr findet, fiel die Feier in der Rotunde angeblich auch überschaubar aus. Aber die Ehrung von Alt-Kanzler Helmut Kohl und der langjährigen FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher - das waren doch Feste, wie sie dieses Haus gerne feierte. Mit großen weltmännischen Gesten, vielen erlesenen Gästen und langen Ansprachen, gefilmt von einem Bayerischen Rundfunk, der zur Grundausstattung des Hauses zu gehören schien. Unter Hahns Vorgänger Friedemann Greiner hatte es den Anschein, dass es dieser Institution der Landeskirche ganz lieb ist, wenn das Funkeln der prominenten Besucher auf sie überstrahlt. Hahn steht für einen anderen Stil. Er hat viele Tutzinger eingeladen, dazu Landrat Karl Roth. Denn er will zeigen, dass diese Akademie selbst leuchten kann und mit dem Ort verbunden ist, an dem sie ihren Sitz hat.

Klar ist natürlich auch, dass Hahn mit Bahr einen Mann ehrt, der seinem Haus Glanz gebracht hat. "Wenn es je eine Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing gab, die nicht nur Schlagzeilen für einen Tag machte, sondern die deutsche Nachkriegsgeschichte beeinflusste, dann war es diese Veranstaltung mit Egon Bahr", zitiert Hahn seinen Vorvorgänger im Amt des Direktors, Claus-Jürgen Roepke. Damals, am 15. Juli 1963, hatte der einstige Pressesprecher des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und späteren Bundeskanzlers Willy Brandt das Wort vom "Wandel durch Annäherung" geprägt, in einem kleinen Diskussionsbeitrag, wie er präzisiert.

Am Ende hatten und haben alle etwas davon", sagt Hahn: "die Menschen in unserem Lande, die Evangelische Akademie Tutzing. Und auch Sie!" Und er fügt an: Bahrs Motto sei noch nicht verbraucht. "Es hat Potential, so würde man das heute vielleicht formulieren."

Egon Bahr findet das übrigens auch. In seiner Dankesrede geht er mit ungebrochen klarer Stimme auf die damaligen Reaktionen auf sein Motto ein (Herbert Wehner: "Das ist barer Unsinn."). Und er erklärt, dass die Mechanismen in Europa und Asien ganz ähnlich funktionieren, "wenn es um die Organisation eines Modus vivendi geht". Die friedliche Welt verlange Regeln für alle Staaten, sagt er, dazu gehöre auch die Zusammenarbeit mit Nichtdemokraten. Und diese Regel heiße heute: "Globalisierung durch Annäherung". (Seite 3)

© SZ vom 15.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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