Gauting:Eine Motorsäge formte diese Körper

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Der Bildhauer Andreas Kuhnlein zeigt seine famosen Holzskulpturen im Gautinger Rathaus

Blanche Mamer

Foto: Georgine Treybal (Foto: Georgine Treybal)

GautingVier Figuren kommen von links auf den Besucher des Gautinger Rathauses zu. Aufrecht, mit ernstem, klarem Gesichtsausdruck unter einer angedeuteten Haarmähne tritt die vordere ins Blickfeld. Sie ist um fast einen ganzen Kopf größer als ihr Schöpfer, der Bildhauer Andreas Kuhnlein. Ihre Konturen sind klar und weiblich, Körper und Gliedmaßen sind stark zerklüftet und von tiefen Furchen durchzogen, grob und fein zugleich. Mit der Motorsäge ist die Skulptur aus einem Eichenstamm herausgefräst, nichts ist glatt oder ebenmäßig, Verletzlichkeit, Vergänglichkeit und Verfall sind in ihr angelegt, aber auch ihre Würde.

Dahinter kommt der Mensch der Frühzeit, wieder weiblich, aufrecht und kleiner, mit neugierigem, fragendem Gesichtsausdruck, gefolgt vom Hominiden in noch leicht gebeugter Haltung und dem Menschenaffen, der, klein und gedrungen, die langen Arme beim Gehen zu Hilfe nimmt, aber bereits wach in die Umgebung späht. "Im Fluss" nennt Kuhnlein das Quartett, das er 2007 aus Eichenstämmen gesägt hat. Die Skulpturen sind typisch für Kuhnlein, ihr Ausdruck lässt innehalten, schreckt ab und zieht an, verwundert.

Seit 1997 arbeitet Kuhnlein nur noch mit Hartholz und Motorsäge, verarbeitet Totholz von Erle, Eiche und Ulme. Doch wie geht das, mit einer so brutalen Arbeitsmethode einen so klaren Ausdruck zu schaffen? "Da werde ich meine Kraft los", sagt der Bildhauer und blickt direkt und neugierig. Er arbeite gegen das Material an, sagt er. Die Skulptur hat er im Kopf fertig, bevor er mit der Auswahl des Holzes beginnt. Sucht in den Holzstapeln auf seinem Bauernhof im Chiemgau nach einem abgestorbenen Stamm, dessen Volumen der Plastik nahe kommt und möglichst wenig Abfall hinterlässt.

Kuhnlein stammt aus Unterwössen, hat zunächst Schreiner gelernt und auf dem Hof des Großvaters mitgearbeitet. Mit 19 ging er zum Bundesgrenzschutz, tat Dienst an der Grenze zur DDR, war bei Terroristen-Fahndungen dabei und musste gegen Atomkraftgegner antreten. Doch mit 30 war er unglücklich, fand sich auf der falschen Seite des Lebens, er ließ das Beamtentum sein, konzentrierte sich auf die Landwirtschaft auf dem elterlichen Hof. Um das Auskommen aufzubessern, fing er zu schnitzen an, experimentierte und begann schließlich, frei zu arbeiten. Sein Weg als Autodidakt war nicht immer einfach, doch inzwischen stehen seine Skulpturen in der Dresdner Kathedrale, am Münchner Flughafen, im Bendlerblock in Berlin und sind in großen Ausstellungen weltweit zu sehen.

Jede Skulptur entsteht an einem Tag in einem Arbeitsgang, Kopf und Gesichtsausdruck kommen erst zum Schluss, in den letzten 20 Minuten. "Die Beziehung zur Skulptur darf nicht abbrechen. Sie muss abends fertig sein", sagt Kuhnlein. Die Säge gehorcht ihm, jeder Schnitt ergibt eine Geste, entscheidet über Weichheit oder Schroffheit im Ausdruck. Wie fragil und auch herausfordernd dies sein kann, erkennt der Betrachter in der Skulptur "Erwartung", die eine Schwangere darstellt, die schwer auf einen Wanderstab gestützt, trotz aller Risse und Klüfte in ihrem Körper, neben großer Müdigkeit auch Sehnsucht ausdrückt. Oder "Obhut", eine hockende Figur, die sich tief und beschützend über eine Taube in ihrer Hand beugt. Da sind allerdings auch drei "Stellvertreter", große, hagere Figuren im strengen glatten Ornat, das die Macht symbolisiert, die ihnen das Bischofsamt verleiht: Jedes Gesicht unter der spitzen Mitra wirkt alt und faltig, unterscheidet sich von dem des Nachbarn durch einen harten, einen milden oder einen arroganten Zug um den Mund. "Spuren des Menschseins" ist die erste reine Skulpturenausstellung im Gautinger Rathaus - und künstlerisch ein großer Schritt nach vorn.

© SZ vom 23.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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