Stadiondebatte:Finger weg!

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Jörg Friedrich

(SZ vom 2.11.2000) - Wer schon einmal das Vergnügen gehabt hat, Vertreter der Fifa aus direkter Nähe über die Zukunft des Ortes philosophieren zu hören, in dem unser geliebter Fußball stattfindet, dem krümmen sich die letzten noch nicht im Drogentest verbrauchten Haare.

Was hat sich alles geändert in den letzten, sagen wir, 500 Jahren Fußball (der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat den Fußball bis in die italienische Renaissance, in die Tradition höfischer Feste zurückverfolgt und damit in die Events der "Hochkultur" eingereiht)! Fußball hatte etwas zu tun mit Kreativität, Heiterkeit, mit Freude am intelligenten Spiel, mit der Lust am Sport als Möglichkeit zum alltagssprengenden rauschenden Fest; eine Vorstellung von Sport, die bereits in der Renaissance gelebt wurde und die wir auch bei der Olympiade in München 1972 erleben konnten. Heute dominiert dagegen Fifa-Stumpfsinn.

Den Funktionären zufolge braucht der fußballbegeisterte Mensch in seiner wohlverdienten Freizeit vor allem ein Dach über dem drogenfreien Haupthaar. Klar, dass ein Fifa-Fritze angesichts des Münchner Olympiastadions Schweißausbrüche bekommt.

Hier ist alles anders, als er es im Lehrbuch für Fifa-Fritzen gelernt hat. Hier kann man nass werden, und das darf nicht sein. Dafür verbindet das ursprünglich nicht als Fußball-Arena gebaute Stadion auf grandiose Weise Politik, Kultur, Sport- und Architekturgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es bei uns nicht eine annähernd geniale öffentliche Festarchitektur wie die Olympiabauten in München - eine sinnliche Architektur, die den gesamten Menschen in seiner leiblichen, geistigen Konstitution ergreift, umgreift und - heiter entlässt. Wo in der Welt gibt es ein Stadion, das eine solch magische Wirkung auszuüben vermag?

Unverständlich für Nicht-Münchener sind Überlegungen, das Olympia-Stadion im Dienste eines zweifelhaften Komforts zu einer extrem kostenaufwendigen Fußballarena umzubiegen, statt ein angemessenes neues Stadion zum gleichen Preis daneben zu bauen. Es darf nicht sein, dass Partikularinteressen die urbanistische und architektonische Qualität des Münchner Olympiastadions zerstören. Unverständlich, dass die Stadt sich immer noch weigert, das Olympiagelände unter Denkmalschutz zu stellen. Unverständlich, dass überhaupt darüber nachgedacht wird, diese Sternstunde deutscher Sport- und Demokratiegeschichte kommerz- und Fifa-gerecht zu zerstören.

Lasst das Olympiastadion, wie es ist! Wer je die Leichtigkeit der Münchner Stadionbauten erlebt hat, weiß, dass es sich lohnt, die Architektur zu erhalten, zu schützen vor den so genannten Interessen des Sports. Zu schützen sind auch die Architekten, die ihr Werk, bevor es andere tun, nur um dabeizubleiben, selber zerstören. Jede Gesellschaft bekommt das, was sie verdient, sagen Zyniker. Nun ist die Gesellschaft gefragt; sie muss verhindern, dass eine einmalige Kulturlandschaft diesem Zynismus geopfert wird. Möglicherweise lohnt sich ein Blick zurück in die Renaissance nach Florenz. "Il calcio", der Fußball, wurde auf einem der schönsten Plätze von Florenz, vor Santa Croce, gespielt. Die Atmosphäre stimmte und die Architektur, urban, festlich und qualitätvoll, spiegelt den Geist der Renaissance überzeugend wider. Keinem der Medici-Fürsten wäre der Gedanke gekommen, Santa Croce abzureißen - zu Gunsten einer Erweiterung der Zuschauerfläche, mit Vip-Lounge und direkter Pferdekutschen-Vorfahrt. Im Ausland ist das Olympiastadion eines der wenigen architektonischen Werke, die berühmt sind über die Grenzen Deutschlands hinaus. Wieso sollen wir dieses Hauptwerk der Architekturgeschichte opfern zu Gunsten einer bierseligen, Fifa-gerechten Dummheit?

Der Autor ist Architekt in Hamburg.

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