Stadiondebatte:Die Stunde des Zorns

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Gottfried Knapp

(SZ vom 8.12.2000) - Ist das nun die Stunde des Triumphs für alle, die das planerische und politische Desaster prophezeit haben, die mit präzisen Detail-Beschreibungen die Unmöglichkeit des Stadion-Umbaus vorgeführt haben und dafür von der populistischen Front der Politiker und Lokalredakteure je nach Laune mal als fortschrittsfeindliche schöngeistige Spinner, mal als bösartige Schädlinge am Körper der Stadt, mal als Feinde des Fußballs beschimpft wurden? Nein, dies ist eher die Stunde des Zorns:

des Zorns über die populistischen Mauscheleien der städtischen Entscheidungsträger, über die grotesk verlogene Monumentalkoalition zwischen Rot und Schwarz, Stadt und Land, Politik und Fußball, die, allen Warnungen zum Trotz, eine klinische Totgeburt über Jahre hinweg als quicklebendigen Sprössling in den Himmel gehoben, die Öffentlichkeit also wissentlich getäuscht und dabei die Planungen für ein international konkurrenzfähiges Fußballstadion und für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 fahrlässig so verzögert hat, dass jetzt, nach der heillos verspäteten Beichte und dem Rückzug der Olympia-Architekten, die Termine ernsthaft gefährdet sind. Nun kann nur noch eine radikale Neuplanung weiterhelfen.

Ja, die Politiker täten gut daran, wenn sie sich die Argumente des Bürgerbegehrens, das sie eben noch mit juristischen Tricks aushebeln wollten, zu eigen machten. Es gibt nämlich nur eine Lösung, die dem einzigartigen Baukunstwerk Olympiapark und den vitalen Interessen der Fußball-Gemeinde gleichermaßen gerecht werden kann: eine neue Fußballarena außerhalb der olympischen Dachlandschaft, aber möglichst im Einzugsbereich des alten Stadions. Doch in den Amtsstuben der Stadt geistert noch immer jener Kompromiss-Vorschlag herum, den sich die Bauherrschaft für den "Größten anzunehmenden Unfall" beiseitegelegt hat. Jetzt, da der Unfall passiert ist, wird die sogenannte "WM-Lösung" wieder hervorgekramt. Sie sieht eine "maßvolle Modernisierung" und "weltmeisterschaftstaugliche Verbesserungen" in Höhe von 140 Millionen Mark für das Olympiastadion vor:

Der offene Ostrang, der schon bei der Olympiade ein flaches Zeltdach tragen sollte, bekommt ein Dach im Stil der umgebenden Architekturlandschaft übergestülpt; das Spielfeld wird so weit abgesenkt, dass bei Fußballspielen die vorgebauten ersten Reihen ein wenig näher ans Geschehen heranrücken; in den beengten Etagen des hochsteigenden Westrangs aber sollen die von der Fifa geforderten Logen für die Ehrengäste und die von den Vereinen verlangten Vip-Lounges und Restaurants eingebaut werden. Im übrigen aber bleibt die Außenform des Stadions erhalten. Gegen diesen maßvollen Umbau, diese Anpassung des Leichtathletikstadions an die Bedürfnisse des Fußballs ist aus denkmalpflegerischer Sicht wenig einzuwenden. Doch funktional bleibt das Projekt weit hinter dem internationalen Standard zurück.

Unter dem hochgespannten alten Zeltdach wird der Regen an windigen Tagen weiterhin bis zur 20. Reihe hinaufschwappen; und auch an den Überlappungsstellen der beiden unterschiedlichen Dachhälften werden zwangsläufig einige Lücken klaffen. Die Sicht aus der weiten, ovalen Schüssel auf das rechteckige Feld wird durch die Absenkung der Spielfläche nur in den vordersten Reihen verbessert, für die Mehrheit aber bringt die technisch riskante Baumaßnahme nur Nachteile mit sich. Schon jetzt - das zeigten die ersten Spontanreaktionen aus den Vereinen und den Fan-Kreisen - formiert sich eine Front gegen diesen unergiebigen Kompromiss, der zwar die Bedingungen der Fifa erfüllt, aber den Fußball-Freunden weiterhin die versprochene perfekte Arena - den "Hexenkessel" - vorenthält. Es würde also niemand wundern, wenn die Vereine bald schon wieder selber im Münchner Umland nach einem geeigneten Platz für ihr Stammhaus suchen würden. Die Stadt sollte sich also möglichst rasch von der Vorstellung verabschieden, dass auf irgendeine wundersame Weise das Olympiastadion doch noch für den Fußball umgerüstet werden könne. Die vielbeschworene Quadratur des Kreises wird auch einem fanatisch verbohrten Oberbürgermeister und seinem sklavisch ergebenen Planungsreferat nicht gelingen.

Die totale Kapitulation der beauftragten Architekten - nicht nur Behnisch und Auer mussten der Kritik in allen Punkten rechtgeben; der bedeutendste Tragwerk-Ingenieur Deutschlands, Hans-Jörg Schlaich, hat schon vor Monaten seine Kollegen um eine gnädige Entlassung aus dem unwürdigen Verfahren gebeten - müsste auch Laien klargemacht haben, dass das Münchner Olympiastadion unter seinem schwebend leichten Dach nicht beliebig gequetscht, gestaucht, verschoben und versenkt werden kann. Die für den WM-Umbau veranschlagten 140 Millionen Mark - sie sind kürzlich vorsichtshalber schon mal kräftig nach oben korrigiert worden - würden ein Bauwerk hervorbringen, das zwar ästhetisch und stadträumlich halbwegs kompatibel wäre, aber seiner Funktion kaum gerecht werden, also bei seinen Benutzern nie die fällige Anerkennung finden würde und darum schon bald durch einen Hexenkessel an anderer Stelle ersetzt werden müsste. Der ganze Umbau wäre dann "für die Katz".

Es gibt also für die Stadt, die ja auf die Einnahmen aus den Fußballspielen auch in Zukunft nicht verzichten will, nur einen erträglichen Weg in die Zukunft: Sie muss den Hexenkessel jetzt sofort bauen - und zwar an jenem Ort, dessen Eignung sie aus durchsichtigen Gründen hartnäckig geleugnet hat: auf dem Gelände des ehemaligen Radstadions direkt hinter dem Olympiastadion. Kein einziger der im windigen amtlichen Gutachten gegen diesen Bauplatz vorgebrachten Einwände kann wirklich überzeugen. Die Stadt muss also schleunigst die hohen Verwaltungshürden abbauen, die sie sich dort selber in den Weg gestellt hat; und sie muss einen internationalen Wettbewerb ausloben. Nur so lässt sich das wunderbare Ensemble des Olympiaparks retten; nur so hat der Fußball in München eine Zukunft.

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