Speichelproben: 26 Jahre nach Mord:Die Spuren der Anderen

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Die Münchner Polizei hofft, nach 26 Jahren endlich den Mörder von Michaela Eisch zu finden. 1750 Münchner geben deswegen in einer Turnhalle Speichelproben.

Susi Wimmer

Einen Augenblick lang glitzert es verdächtig in den hellen Augen von Klaus Bräu. Als er sagt, dass sie "so a liabs Madl" war. Er gehe oft an ihrem Grab vorbei, erzählt er, "dann bleib i steh und red mit ihr". Jetzt steht Klaus Bräu vor dem Gittertor des Polizeigeländes an der Bad-Schachener-Straße und wartet auf Einlass. Bräu ist einer von 1750 Münchnern, die an diesem Wochenende zum freiwilligen Speicheltest geladen wurden.

Massentest in der Turnhalle: An diesem Wochenende sollen 1750 Männer zur DNS-Reihenuntersuchung. (Foto: Stephan Rumpf)

Er fällt genau in das Fahndungsraster der Polizei: männlich, zwischen 51 und 71 Jahre alt, und vor 26 Jahren wohnhaft in der Maikäfersiedlung in Ramersdorf. Dort wohnte auch die achtjährige Michaela Eisch. Das Mädchen wurde am 17. Mai 1985 vergewaltigt und erdrosselt. Mit dem in München bislang einzigartigen Massenscreening hofft die Polizei, den Mörder des Mädchens zu finden.

Typischer Turnhallenmief schlägt den Männern entgegen, die von Freitag bis Sonntag in der Polizeisporthalle ihren Speichel abgeben sollen. "Für uns ist das auch Neuland", sagt Markus Kraus, Leiter der Mordkommission. Seine Leute waren es, die den "Altfall Eisch" noch einmal aufgerollt und auf DNS-Spuren untersucht haben. Tatsächlich sicherten die Fahnder an einem Asservat Genmaterial, das nach Ansicht der Polizei nur vom Täter stammen kann. Am 23. März 2011, 26 Jahre nach dem Verbrechen, erließ das Amtsgericht München den Beschluss zu einer DNS-Reihenuntersuchung.

In diesen Tagen nun sollen die gut 1750 Männer den Wattestäbchen-Test mitmachen, die in München, dem Landkreis sowie im MVV-Bereich wohnen. Die restlichen 1250 Betroffenen aus der Maikäfersiedlung sind mittlerweile weggezogen und werden von den zuständigen Polizeistellen an ihrem neuen Wohnort geladen. Am frühen Nachmittag stehen die Eingeladenen Schlange vor der Turnhalle - bis hinaus auf die Straße. "Es läuft gut", sagt Polizeisprecher Peter Reichl.

Gut 350 Speichelproben hat die Polizei bereits nach zweieinhalb Stunden gesammelt. Unter anderem die von Ulrich Baron von Hoyningen-Huene. "In der Maikäfersiedlung direkt hab' ich nie gewohnt", sagt er, sondern in Berg am Laim. Scheinbar falle er trotzdem in das Raster. Ein Bekannter von ihm habe in der Siedlung gelebt, "den hab' ich einmal besucht". Warum er vorgeladen wurde, interessiert den 58-Jährigen nicht wirklich. "Warum sollte ich mich verweigern? Ich hab nichts zu verbergen."

"Solange ich nicht in dringendem Tatverdacht stehe, gehen meine Körperflüssigkeiten niemanden was an!" Draußen, vor der Turnhalle steht Martin Klugseder, einziger Demonstrant gegen das Massenscreening. Da werde einfach Geld rausgeschmissen, sagt er, "und es geht meist ins Leere". Außerdem sei es mit der Freiwilligkeit nicht weit her, "die üben dann schon Druck und Zwang aus, wenn man nicht hingeht", ist er sich sicher.

Markus Kraus gibt unter dem Basketballkorb Interviews. "Wir können nur hoffen, dass viele kommen", sagt er. Und: "Nicht-Erscheinen führt nicht automatisch zum Tatverdacht." Wer sich dem Test verweigere, mit dem werde man schon Kontakt aufnehmen und nach dem Warum fragen. Allein dass ein Mann durch Alter und Wohnort in ein bestimmtes Verdächtigenraster falle, reiche aber nicht für einen richterlichen Beschluss zu einem Zwangs-DNS-Test aus, "da braucht es schon mehr". Die DNS-Proben, das versichert Kraus, werden nicht mit Spuren aus anderen Kriminalfällen verglichen, sondern nur mit den gesicherten aus dem Mordfall Eisch. "Anschließend wird die Probe sofort vernichtet."

"Herzlich Willkommen", steht auf einer Tafel am Halleneingang. Mit Unterstützung des LKA hat die Mordkommission einen Parcours aufgebaut, den jeder Geladene zu absolvieren hat: Die Einladung mit dem Barcode vorzeigen, Code scannen, Ausweis zeigen, Mundhöhlenabstrich, fertig. Jeder Einzelne wird von einem Beamten am Halleneingang in Empfang genommen, durch alle Stationen geleitet, bis zum Ausgang - begleitet von den Augen von Michaela Eisch. An den Pinnwänden hängen Fotos des Mädchens, auf einem baumeln Armreife an ihrem Handgelenk, sie hat den Kopf aufgestützt und strahlt in die Kamera: freundlich, vertrauensselig. Wurde ihr letzteres zum Verhängnis?

Am 17. Mai 1985 wollte sie zum ersten Mal alleine mit dem MVV zum Hauptbahnhof fahren, um dort im "Alpenhotel" um 12 Uhr ihre Mutter von der Arbeit abzuholen. Die beiden verpassten sich. Michaela verschwand. Nachmittags sahen zwei Frauen das Kind nahe der Braunauer Eisenbahnbrücke mit einem Mann, 30 bis 40 Jahre alt, 1,80 Meter groß, blond. Sie hätten einen vertrauten Eindruck gemacht. Vier Wochen später finden Arbeiter die halbnackte Leiche des Mädchens im Gestrüpp.

"Sie war so aufgeweckt, so freundlich", sagt Klaus Bräu. Dass der Täter aus der Maikäfersiedlung kommt, unter ihnen gewohnt hat, kann er sich kaum vorstellen. "Aber damals gab's auch viele Besucher, bei einigen floss viel Alkohol, er muss ja nicht hier gewohnt haben." Der Speicheltest steht an, Klaus Bräu hofft, dass es "was bringt": "Weil den, den miaß ma kriagn!"

© SZ vom 09.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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