Serie: Schauplätze der Geschichte:Schlaglichter aus dem finsteren Mittelalter

Lesezeit: 3 min

Im 6. Jahrhundert bildet sich der Stamm der Bajuwaren. Ihren Alltag erforschen Archäologen bei Kirchheim und Aschheim

Von Franziska Gerlach

Sie sind schon ein wunderliches Volk. Ohnehin ein wenig anders als der Rest der Republik, was Traditionen und Selbstverständnis betrifft, bleiben sie auch gerne mal unter sich. Das gilt für die Bayern - und in gewisser Weise auch für die Kirchheimer, Heimstettener und Hausener, die sich der Grenzen ihrer Ortsteile auch Jahrzehnte nach der Gemeindereform noch durchaus bewusst sind. Dabei war anfangs, im Frühmittelalter, offenbar alles ganz anders.

Eigentlich waren es die Franken, die den Bajuwaren vor mehr als 1400 Jahren eine Herrschaftsstruktur und letztlich wohl auch ihren Namen gaben. Weil schriftliche Quellen jedoch rar sind, beziehen die Forscher ihre Erkenntnisse über diese Zeit größtenteils aus dem Boden: In Kirchheim etwa wurden in den frühen Achtzigerjahren am Hausner Grenzweg bereits 100 Gräber eines Reihengräberfeldes untersucht, eher zufällig stieß man dann bei Bauarbeiten in diesem Frühjahr auf 18 weitere Gräber. Das Bild, das sich aus diesem archäologischen Material ergibt, erinnert an ein kleinteiliges Puzzle. Das wird trotz moderner Forschungsmethoden immer unvollständig bleiben, zumal der vielen Bauvorhaben wegen der Fundus an Material immer weiter wächst. Eines aber lässt sich mit Sicherheit sagen: Die Vorstellung von einem Haufen grimmiger Barbaren, die plötzlich aus dem Nichts auftauchten und einen Stamm gründeten, ist falsch. Die Bajuwaren seien vielmehr aus verschiedenen Gruppen zusammengewachsen, schreibt die Archäologin Brigitte Haas-Gebhard: "Sie erscheinen nicht in einem quasi luftleeren Raum, sondern in einer Landschaft, die schon Jahrtausende zuvor von Menschen besiedelt und umgestaltet worden war." Es muss ein Schmelztiegel gewesen sein, in dem sich die Menschen im heutigen Oberbayern und Teilen Niederbayerns, der Oberpfalz, des bayerischen Schwabenlandes, Österreichs und bis nach Südtirol zusammengefunden haben. Dagebliebene aus der früheren römischen Provinz und Zugereiste, die zunächst nicht einmal dieselbe Sprache verwendeten, aber offenbar "stets ein friedliches Verhältnis" zu den Alemannen unterhielten, die westlich des Lechs lebten.

Als deren Nachbarn und somit eher beiläufig werden die Bajuwaren erstmals bei einem gewissen Jordanes erwähnt, einem Geschichtsschreiber vom Balkan, als dieser im Jahr 551 seine "Geschichte der Goten" zu Papier bringt. Doch gerade weil die Bajuwaren seinerzeit schon so selbstverständlich genannt werden, nimmt Haas-Gebhard an, dass "die spannende Phase der Ethnogenese, also des Zeitraums, als sich die Bajuwaren als Stamm formierten", deutlich vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts liegt. Die eigentliche "Stammeswerdung" erfolgte dann von außen, nämlich als die Franken ihnen einen Herzog vor die Nase setzten. Er hieß Garibald, und Haas-Gebhard schreibt über ihn, dass er "aus dem nächsten Umfeld" der Merowinger stammte und im Jahr 555 eine Langobardin heiratete. Garibald begründete das Herzogsgeschlecht der Agilolfinger, die Verträge abschlossen und als Richter oder Militärbefehlshaber auftraten und dabei wohl je nach Vertreter durchaus königliches Selbstbewusstsein an den Tag gelegt haben. Später hatten die Agilolfinger ihren Sitz in Regensburg, allzu häufig dürften sie sich dort aber nicht hinter den Festungsmauern verschanzt haben, denn: Regiert wurde damals, indem man durch die Lande zog.

Ein eigener Gründungsmythos fehlt den Bayern also. Und vielleicht ist das sogar der Grund, weshalb die Geschichten um ihre Herkunft umso bunter ausfielen. Besonders viel Phantasie hatte offenbar jener Mönch, der im frühen elften Jahrhundert das Annolied verfasst hat. Demnach sollen sie aus Armenien eingewandert sein. Vergleichsweise hartnäckig halte sich auch die Mär, dass die Bajuwaren "Männer aus Böhmen" gewesen seien, weiß Archäologin Anja Pütz, die in Aschheim die geschichtlich-heimatkundliche Sammlung leitet und Mitglied im Förderverein Bajuwarenhof Kirchheim ist. Man habe einfach lange Zeit "Baia" mit "Böhmen" übersetzt.

Überhaupt folge Besiedelung keinem starren Schema, stellt Pütz klar. Anders als in Erding tue sich in Kirchheim etwa eine Lücke von einhundert Jahren in der Siedlungsgeschichte auf. "Hier bricht das römische Leben Mitte des vierten Jahrhunderts ab." Erst den Jahren um 480 ließen sich wieder Funde zuweisen. "Die Menschen, die damals kamen, müssen also neu zugezogen sein", sagt Pütz. Sie waren so etwas wie Bauern, und ihr Alltag hatte viel damit zu tun, Häuser zu reparieren und Getreide zu pflanzen. Aber auch durchaus sehr versierte Kunsthandwerker gab es bereits. Insgesamt gehe man davon aus, dass mehrere Gehöfte zusammen kleine Dörfer gebildet hätten, sagt Pütz. Die Lebenserwartung war natürlich niedriger als heute. Doch wer die "Krisenzeiten" überlebte, konnte durchaus 70 Jahre alt werden, so Pütz. Und auch die hygienischen Verhältnisse waren besser als im Hochmittelalter, als Tier und Mensch oftmals dicht gedrängt unter einem Dach hausten. Pütz: "Für das Frühmittelalter nimmt man dagegen an, dass Tiere draußen gehalten wurden."

In Kirchheim stehen die Forscher vor dem Problem, dass etliche Gräber kurz nach der Bestattung beraubt wurden. Die Zahl der Grabbeigaben, kunstvolle Fibeln oder Schwerter, die wichtige Anhaltspunkte liefern könnten, ist demnach überschaubar. Sicher ist hingegen, dass im heutigen Kirchheim damals auch Adlige gelebt haben. Das belegen Kammergräber, die am Rand des Gräberfeldes im Ortsteil Hausen errichtet wurden. Leute wie sie müssen ein für damalige Verhältnisse luxuriöses Leben geführt haben: mit Waschbecken aus Kupfer oder schlichten, aber raffiniert geschneiderten Kleidern aus Stoffen, in die Seide eingewebt wurde. Doch was die Menschen damals fühlten oder dachten, welche Werte sie hatten, muss offen bleiben. "Mentalitätengeschichte ist für das frühe Mittelalter nicht möglich, da bräuchte man mehr Schriftquellen", sagt Pütz.

Morgen: Wanderprediger im 7. Jahrhundert - der heilige Emmeram kam nur bis Kleinhelfendorf.

© SZ vom 26.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: