Rückblick:Der unglaubliche Anschlag

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13 Tote und die Version vom Einzeltäter: Das Wiesn-Attentat wurde schnell zu den Akten gelegt - zu schnell?

Christian Rost

Mit "Bombenstimmung" betitelt ein Journalist des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Chaussy, provozierend seinen Radio-Beitrag über die Hintergründe des Oktoberfest-Attentats am 26. September 1980. Dabei will Chaussy keineswegs die Opfer verhöhnen: Vielmehr versucht der Mann, der ein Buch über den Anschlag geschrieben hat, ihnen zur Wahrheit und damit zur Gerechtigkeit zu verhelfen.

Zu den Opfern zählen neben den 13 Toten, die buchstäblich zerrissen wurden, natürlich auch deren Familienangehörige. 1,39 Kilo Militärsprengstoff enthielt die Bombe. 204 Menschen wurden verletzt.

Chaussy ist einer derjenigen, die nicht glauben mögen an die Version der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Die Behörden schlossen ihren Bericht über das Attentat, wonach der 21 Jahre alte, rechtsradikale Geologie-Student Gundolf Köhler als Alleintäter fungierte.

Neben Chaussy stellen auch andere Journalisten Dossiers über diesen hochbrisanten Fall an. So der Stern, dessen Rechercheure schreiben, die von der Justiz vorgelegten Beweise seien nicht haltbar: "Die Ermittlungen müssen wieder aufgenommen werden", fordern sie. Doch der Generalbundesanwalt lehnt ab.

Erst eine Stichflamme aus einem metallenen Papierkorb, dann eine Explosion. Um 22.20 Uhr an diesem Septembertag im Jahr 1980 geschieht am Haupteingang zur Wiesn das Unglaubliche. Viele der überlebenden Opfer des Anschlags können den Knall gar nicht mehr hören. Ihnen hat es bereits die Trommelfelle zerrissen, ehe sie die Flamme erreicht und sie von Hunderten Metallsplittern durchlöchert werden. Dann liegen verstümmelte Leichen auf dem Asphalt und im Gras - im Umkreis von 23 Metern.

Die Ermittler sagen, der Baden-Württemberger Gundolf Köhler habe die selbst gebastelte Bombe, eine umgebaute Werfergranate, ohne fremde Hilfe aus einem ganzen Motivbündel heraus in dem Abfallbehälter platziert. Der junge Mann, der an so genannten Übungen der rechtsradikalen "Wehrsportgruppe Hoffmann" teilnahm und beim Anschlag der Bombe am nächsten war, sei Sprengstoff-Fetischist gewesen.

Er habe einen unkontrollierten Hass auf seine Umwelt gehabt. Die Kritiker dieser Version indes führen Zeugen auf, die Köhler mehrfach vor dem Anschlag mit bis zu vier jungen Leuten gesehen haben wollen. Alle, beschrieb etwa ein Hausmeister, der sich über den Falschparker Köhler aufgeregt hatte, "trugen grüne Parka".

Und die Skeptiker glauben auch zu wissen, dass Köhler die Bombe nicht allein habe bauen können. Aus in der Schweiz gekauftem Sprengmaterial und Teilen eines Feuerlöschers. Obwohl die Polizei später bei Mitgliedern der "Wehrsportgruppe" TNT-Sprengstoff sicherstellt und bei ihnen auch Sprengkapseln findet, bleiben die Behörden bei der Einzeltäter-Theorie.

Köhler kann nicht mehr befragt werden, er ist tot: Eine seiner Hände finden die Suchmannschaften 14 Meter entfernt vom Tatort. Weshalb verschiedene Zeugen, übrigens auch Opfer, nicht von der Polizei befragt werden, bleibt ein Rätsel.

Womöglich sollte der Anschlag einfach nur schnell zu den Akten gelegt werden. 1980 ist Wahlkampf in Deutschland, auch in München: Die Kanzlerkandidaten heißen Helmut Schmidt (SPD) und Franz Josef Strauß (CSU).

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