Reanimation am Marienplatz:Geschichte mit Herz

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Roland Hiebl hatte Glück. Als er am Münchner Marienplatz einen Herzinfarkt erlitt, war einer zur Stelle, der helfen konnte: der 17-jährige Louis Bisani. Inzwischen verbindet die beiden eine tiefe Freundschaft.

Lisa Sonnabend

Ihre Freundschaft ist nicht wie andere. 58 Jahre ist Roland Hiebl alt, Louis Bisani 40 Jahre jünger. Der eine hat seit Jahrzehnten einen Friseursalon am Marienplatz, der andere macht in ein paar Monaten Abitur. Die zwei Münchner kennen sich erst seit wenigen Monaten, doch Hiebl sagt: "Die Chemie stimmt einfach." Bisani meint: "Uns verbindet ein unsichtbares Band." Das erste Mal getroffen haben sich die beiden aus Zufall. An einem Samstagmorgen um sieben Uhr im Zwischengeschoss des S-Bahnhofes Marienplatz. Als Louis Bisani Roland Hiebl das Leben rettete.

Bei Louis Bisani klingelte der Wecker viel zu früh, um an einem schulfreien Tag aufzustehen. Doch der Schüler hatte gute Laune. Er zog seine Lederhosen an, es war der erste Wiesntag. Um sieben Uhr hatte Louis sich mit Freunden am Odeonsplatz verabredet, um noch einen Platz im Bierzelt zu ergattern. Da der 17-Jährige ein wenig spät dran war, ging er nicht das kurze Stück von seiner Wohnung in der Altstadt zu Fuß zum Treffpunkt, sondern hinunter zur U-Bahn. Im Zwischengeschoss lag Roland Hiebl - umringt von einer Menschenmenge. Der Friseur hatte einen Herzinfarkt erlitten.

Was dann geschah? Hiebl kann sich an nichts erinnern, erst drei Tage später setzt sein Gedächtnis wieder ein, er lag in einem Krankenhausbett. Bisani sagt: "Ich habe das gemacht, was man halt macht." Hiebls großes Glück war, dass der 17-Jährige ehrenamtlicher Sanitäter beim Bayerischen Roten Kreuz ist - und dass er, ohne lange nachzudenken, sofort zu helfen begann. "Als Erstes habe ich geschaut, ob er noch schnauft", sagt Bisani. Der Zusammengebrochene war im Gesicht bereits blau angelaufen, seine Körperspannung ließ nach, dann setzte die Atmung aus.

Auch wenn der erste Wiesntag nun schon mehr als fünf Monate zurückliegt, beide Beteiligten werden immer noch emotional, wenn sie von dem Vorfall erzählen. Bisani sagt, zwei Tage vor dem Vorfall habe er noch einen Fortbildungskurs in Reanimation gemacht. "Da denkt man sich schon, was das Universum für Konstellationen macht!" Hiebl meint: "Ich hatte das Glück, das Herr Eichinger nicht hatte." Bei dem Filmproduzenten kam jede Hilfe zu spät, als er Ende Januar nach einem Abendessen plötzlich einen Herzinfarkt erlitt. Hiebls Stimme zittert. "Es ist so unglaublich, dass es ein 17-Jähriger war." Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, kontaktierte Hiebl seinen Lebensretter sogleich.

Bisani ist ein großer, trainierter junger Mann. Seine Haare hat er ganz kurz schneiden lassen, seine Stimme klingt dunkel und kräftig. Jeder Satz ist überlegt. Er wirkt älter als 18 Jahre. An diesem Nachmittag hat Bisani in Hiebls Friseursalon vorbeigeschaut. Sie trinken Kaffee. Hiebl erzählt von seinem Arbeitstag und erkundigt sich, wie es mit der Vorbereitung fürs Abitur läuft. Sie sprechen über Bisanis Pläne, der nach der Schule gerne Polizist werden würde. Doch immer wieder kommen sie auf jene Minuten am 18. September zu sprechen.

Hiebl ist von dem Herzinfarkt nichts anzumerken, mehrmals springt er auf, um etwas zu holen. Seit Dezember arbeitet er wieder in seinem Salon direkt über dem Marienplatz. Der 58-Jährige trägt eine modische Brille, deren Gestell unten rahmenlos ist. Er lacht viel. Ein wenig kürzer treten solle er allerdings, habe der Arzt gesagt. Er nehme manche Probleme nicht mehr so ernst wie früher, sagt Hiebl. Und: "Wenn man auf der Kippe gestanden ist, weiß man, wie wer zu einem steht." Auch für Bisani ist das Leben anders, seit er ein Leben gerettet hat. "München ist eine Großstadt, in der die Bewohner recht anonym vor sich hinleben", meint der Schüler. "Da ist so ein Vorfall natürlich ein einschneidendes Erlebnis."

Als die beiden Männer gemeinsam zur S-Bahn gehen, bleiben sie an der Unglücksstelle stehen. Hiebl will noch einmal wissen, wie es genau geschah. Bisani erzählt von der Reanimation. Eine Mund-zu-Mund-Beatmung war wegen Infektionsgefahr nicht möglich gewesen, weil Hiebl aus dem Mund und der Nase blutete. Der Schüler wählte deswegen die Herzdruckmassage. Drei bis vier Minuten lang. Dann kam die Feuerwehr. Nach wenigen Stromstößen mit dem Defibrillator stabilisierte sich der Herzrhythmus. Hiebl schüttelt immer wieder den Kopf, während Bisani erzählt.

Den Passanten, die Hiebl tatenlos umringten, macht der 17-Jährige keine Vorwürfe: "Einem Durchschnittsbürger ohne medizinische Kenntnisse ist es in einer solchen Stresssituation oft nicht möglich, richtig zu handeln." Eine Reanimation traute sich an jenem Tag offenbar niemand zu. Bisani meint: "Bevor man irgendetwas macht, ist es besser, den Notruf abzusetzen." Und das hatte eine Passantin bereits getan, als Bisani ankam.

Vor kurzem hat Hiebl an die bayerische Regierung geschrieben und Bisani für die Christophorus-Medaille, die jedes Jahr an Lebensretter vergeben wird, vorgeschlagen. Der Friseur meint: "Wer soll sie sonst kriegen?"

Eine Audioslideshow zum Thema gibt es hier .

© SZ vom 25.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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