Prozess um Münchner U-Bahn-Schläger:Nahe an der Höchststrafe

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Im Prozess gegen die U-Bahn-Schläger fordert der Staatsanwalt für Serkan A. und Spyridon L. harte Urteile. Die Verteidiger waren sich in ihren Plädoyers uneins.

Bernd Kastner und Joachim Käppner

Wie immer die Jugendkammer des Landgerichts nun urteilen wird - auf große Milde dürfen die beiden Angeklagten im U-Bahn-Schläger-Prozess nicht hoffen. Für den heute 21 Jahre alten Türken Serkan A. beantragte Staatsanwalt Laurent Lafleur am Freitagnachmittag zwölf Jahre Gefängnis, für den nun 18 Jahre alten Griechen Spyridon L. verlangte er neun Jahre Jugendstrafe wegen versuchten Mordes.

Müssen sich auf harte Strafen gefasst machen: Spyridon L. (li.) und Serkan A. (Foto: Foto: Getty/ddp)

Nach Jugendstrafrecht wäre damit fast die Höchststrafe von zehn Jahren erreicht. Der Ältere, Serkan A., soll zwar als Erwachsener bestraft werden, aber nach dem Paragrafen 106 des Jugendgerichtsgesetzes dennoch etwas milder. Theoretisch wäre eine lebenslange Haftstrafe möglich.

Die beiden Angeklagten hatten am 20. Dezember 2007 in der U-Bahn-Station Arabellapark den 76-jährigen Hubert N. niedergeschlagen und beinahe getötet. Der Pensionär war angegriffen worden, weil er die beiden ermahnt hatte, in der U-Bahn nicht verbotenerweise zu rauchen.

"Ein berechtigter Hinweis - und dafür sollte Hubert N. mit dem Leben büßen", sagt der Ankläger: "Ein krasseres Missverhältnis ist mir noch nie untergekommen." Lafleur sprach von einem "Geschehen, das uns noch immer den Atem raubt". Beide hätten den Tod ihres Opfers in Kauf genommen und nichts für seine Rettung unternommen. Strafmildernd kämen dagegen die Entschuldigung der Angeklagten und die katastrophalen Umstände ihrer Jugend in Betracht.

Die beiden Verteidiger von Serkan A., Florian Wurtinger und Oliver Schmidt, unterscheiden sich in ihrer Forderung zum Strafmaß. Während Schmidt auf zweieinhalb Jahre plädierte, hält Wurtinger maximal vier Jahre für angemessen. Einig sind sich die Anwälte jedoch darin, dass A. nach Jugendstrafrecht verurteilt werden müsse.

Verteidiger widersprechen sich

Wurtinger konstatierte eine eindeutige Reifeverzögerung bei seinem Mandanten: "Er hat sich über sein Leben noch keine Gedanken gemacht." Während des Plädoyers seiner Anwälte brach der Angeklagte Serkan A. in Tränen aus. "Es ist eine Riesensauerei, was die beiden Angeklagten gemacht haben", sagte Wurtinger.

Dennoch bewerten beide Verteidiger die Tat nicht als versuchten Mord, sondern als gefährliche Körperverletzung, da keine Tötungsabsicht bestanden habe. Sie argumentierten zugunsten ihrer Mandanten, dass der Angriff unter dem Einfluss von viel Alkohol erfolgt und ungeplant gewesen sei.

In dieser wichtigen Frage, ob die Tat geplant war, widerspricht der dritte Verteidiger, jener von Spyridon L., seinen Kollegen. Anwalt Wolfgang Kreuzer geht davon aus, dass Serkan A. seinen Kumpel L. kurz nach dem Aussteigen aus der Bahn gefragt habe, ob man Hubert N. "eine mitgeben" solle. Dies aber sei keine Verabredung zum Mord gewesen, betonte Kreuzer, sondern "nur zum Schlagen".

In Richtung des Opfers Hubert N. sagte Kreuzer: Es sei "nicht geschickt gewesen, die beiden offensichtlich Betrunkenen nach der barschen Art des Herrn Oberlehrers" zurechtzuweisen. Für ungeklärt hält er die Frage, ob eine weitere Bemerkung des ehemaligen Lehrers die Angeklagten provoziert habe.

Zwar halte er, Kreuzer, Hubert N. nicht für einen Ausländerfeind. "Aber es muss etwas gegeben haben", sonst hätten die beiden jungen Männer nicht zugeschlagen, als die anfängliche Auseinandersetzung längst beendet gewesen sei. Womöglich sei es eine "ungeschickte Äußerung" N.s gewesen. Jedenfalls hätten beide Angeklagten den Pensionär nicht töten wollen. Kreuzer rief das Gericht zu einer "angemessenen Strafe" auf.

Im Verlauf des Tages hatten die Hoffnungen der Verteidigung auf verringerte Schuldfähigkeit der Angeklagten einen erheblichen Dämpfer erhalten. Ein Gutachten der Münchner Rechtsmedizinerin Sibylle Lüderwald ergab, dass der Alkohol bei der Tat wohl keine entscheidende Rolle spielte. Spyridon L., der besonders brutal zugetreten hatte, führte vor Gericht Erinnerungslücken an und sprach von einem Vollrausch nach elf Bier.

"Dissoziale Persönlichkeit"

Mehrere Zeugen hatten aber ausgesagt, dass beide Täter noch kurz vor dem Überfall nicht besonders betrunken gewirkt hätten. Spyridon L. habe dann "in einer präzisen Bewegung Anlauf genommen und gegen den Kopf des Opfers gekickt", sagte die Gutachterin. Und dass Serkan A. während des Überfalls "auf einem Bein stehen und sich den Schnürsenkel binden kann", spreche gegen eine starke Alkoholisierung. Dass das Opfer bei dem Angriff nicht zu Tode kam, sei reiner Zufall gewesen.

Der medizinische Direktor der Heckscher Klinik, Franz Joseph Freisleder, bestätigte in seinem Gutachten, dass beide Angeklagte voll schuldfähig seien, weil "keine tiefgreifenden psychiatrischen Störungen" vorlägen. Freisleder sprach sich nicht dafür aus, auch bei Serkan A. das Jugendstrafrecht anzuwenden.

A. sei bereits eine "weitgehend verfestigte dissoziale Persönlichkeit", seine Tat nicht mit jugendtypischen Reiferückständen zu erklären. Bei Serkan A. habe sich das delinquente Verhalten "eingenistet im Lebensstil". Dennoch sieht auch Freisleder bei A. "aufscheinende Reste einer Entwicklungsmöglichkeit".

Das Urteil soll am 8. Juli verkündet werden.

© SZ vom 28.06.2008/sekr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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