Protest gegen:Tausende Münchner rufen: "Nazis raus!"

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Am 60. Jahrestag des Kriegsendes haben ein paar Dutzend Neonazis eine "Mahnwache" unter dem Motto "Tag der Ehre, nicht der Befreiung" veranstaltet. Die zahlreich erschienen Gegendemonstranten mussten hinter Absperrungen ausharren.

Von Doris Näger und Michael Tibudd

Auf dem Marienplatz hatten sich mehr als 2000 Gegendemonstranten eingefunden, die von der Polizei abgeschirmt wurden. Das städtische Kreisverwaltungsreferat hatte die Veranstaltung zuvor verboten.

Bizarres Bild auf dem Münchner Marienplatz: Abgeschirmt von der Polizei demonstrieren Rechtsradikale umringt von Gegendemonstranten. (Foto: Foto: AP)

Vor 18 Uhr bot sich auf dem Marienplatz ein bizarres Bild: Hunderte Gegendemonstranten warteten hinter den Absperrungen auf die Neonazis. Die ersten fünf Rechten verloren sich innerhalb der Absperrungen; einem von ihnen nahmen die Beamten eine Wehrmachtsflagge ab. Nach und nach eskortierte die Polizei die restlichen durch das Marienplatz-Untergeschoss auf den Platz.

25 Neonazis reihten sich mit auf dem Rücken verschränkten Händen gegenüber den Gegendemonstranten auf. Prompt ernteten sie Protestparolen und Pfiffe. Innerhalb einer Stunde wuchs die Gruppe auf etwa 60 an. Unter ihnen waren auch mehrere ältere Leute. Gegen 21 Uhr verließen die Neonazis durch das Untergeschoss den Platz.

Von den mehr als 2000 Gegendemonstranten trugen nur einzelne Plakate. "Nazis raus"-Rufe und Schimpfwörter schallten über den Platz, einige riefen "Bildung für alle, auch für euch". Viele trugen Aufkleber mit der Aufschrift "Rote Karte gegen Rechts". Vereinzelt flogen Eier, Äpfel und Wurstsemmeln. Gleich zu Beginn versuchte eine Handvoll Gegendemonstranten, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Sie wurden sofort abgeführt, einzelne wurden in Gewahrsam genommen.

19 Festnahmen

Zudem gab es 19 Festnahmen, darunter ein Neonazi, der ein verbotenes Emblem gezeigt hatte. Den anderen wurden Vergehen nach dem Versammlungsgesetz, Beleidigung, Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Zwei Polizisten wurden leicht verletzt, insgesamt waren 460 im Einsatz.

Polizeisprecher Wolfgang Wenger verteidigte das Vorgehen: "Wir stehen nicht hier, um Rechte, Linke oder sonst jemanden zu schützen, sondern das Versammlungsrecht."

An der Gegendemo beteiligte sich die gesamte SPD-Stadtratsfraktion und der SPD-Fraktionschef im Landtag, Franz Maget. Auch die Grünen-Stadtratsfraktion war stark vertreten.

Die so genannte Mahnwache hatte Norman Bordin bereits am 11. November 2004 mit 25 Teilnehmern angemeldet. Die Stadt verbot sie Ende April. Sie beleidige die Opfer des Nationalsozialismus "in unerträglicher Art und Weise" und provoziere die Öffentlichkeit, begründete Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle sein Verbot.

Am Freitag vergangener Woche entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass die Versammlung weder verschoben noch verlegt werden dürfe. Zwar habe dieser 8. Mai als 60. Jahrestag des Kriegsendes besondere Symbolkraft. Und die Demonstration der Rechtsextremen stelle zweifellos eine erhebliche Provokation der Öffentlichkeit da.

"Gleichwohl stellt die Veranstaltung mit nur etwa 25 angemeldeten Teilnehmern keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, welche ein Verbot auf der Grundlage der bestehenden Gesetze rechtfertigen könnte", sagten die Richter.

Nach der Zulassung der Neonazi-Versammlung formierten sich die Gegner: Am Sonntag hatten sich an der Münchner Freiheit schon mittags Antifaschisten getroffen. Eigentlich war dort ein Befreiungsfest mit Programm bis 20 Uhr geplant. Wegen des schlechten Wetters sagten die Veranstalter die Feier ab und riefen dazu auf, von 16 Uhr an in Richtung Marienplatz zu ziehen.

Walter Listl vom "Bündnis München gegen Krieg" kritisierte in einer kurzen Rede vor allem die Richter, die die Neonazi-Demonstration genehmigt hatten: "Juristen haben schon einmal eine ungute Rolle gespielt."

Kardinal Friedrich Wetter verurteilte die für Sonntagabend geplanteNeonazi-Mahnwache scharf. Es sei völlig unverständlich, dass politische Gruppierungen ddas Unrechtsregime des Nationalsozialismus zu rechtfertigen versuchen und "die Opfer verhöhnen", betonte der Erzbischof von München und Freising in einem Gottesdienst zum 60. Jahrestag des Kriegsendes.

Der demokratische Rechtsstaat müsse sich "wehrhaft zeigen und sich denen entschlossen entgegen stellen, die Freiheit und Demokratie in Frage stellen." Der bayerische SPD-Fraktionschef Franz Maget sagte abends am Marienplatz: "Solche Aufmärsche wollen wir nicht, und an einem solchen Tag schon zwei Mal nicht."

Wetter stellte die Neonazi-Aktionen in einen Zusammenhang mit dem Werteverfall in der Gesellschaft. Ausdrücklich kritisierte der Kardinal hierbei auch die Einführung eines staatlichen Werteunterrichts in Berlin. Er forderte stattdessen "eine breite Anerkennung des werteschöpferischen Religionsunterrichtes in den Schulen". Die Gesellschaft dürfe nicht blind werden für "die von Gott gegebenen grundlegenden Werte". Diese Blindheit sei eine der Ursachen für den Erfolg der nationalsozialistischen Propaganda gewesen.

© SZ vom 09.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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