Prostitution und WM:Nichts regt sich im Bordell

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Mieses WM-Geschäft: Fußballfans sind schlechte Freier - Prostituierte klagen über mangelnde Nachfrage.

Monika Maier-Albang

Sie ist die erste im Gang, sitzt im schwarzen Dessou auf einem Barhocker und seufzt: "Hoffentlich ist die WM bald zu Ende!"

Unerwartet: Die Hocker an der Animierbar bleiben zur WM oft leer. (Foto: Foto: SZ / Heddergott)

Jammern gehört dazu im Rotlichtmilieu, das Finanzamt soll sich nicht zu viel erwarten. Doch momentan haben Münchens Männer offenbar tatsächlich nur eines im Kopf: Fußball. Im Salon des "Palazzo der Sinne" sitzen sechs Frauen, aber nur zwei Männer sind gekommen um zuzusehen, wie ein Pärchen vor Publikum kopuliert.

Im "Leierkasten", einem der ältesten Laufhäuser der Stadt, warten die Frauen allein vor ihren Zimmern unter bunten Lichterketten. Ein paar Mexikaner seien da gewesen und vier Schweden, erzählen sie. Nur an den Tagen, an denen Deutschland in München spielte, seien tatsächlich mehr Männer in Feierlaune gekommen.

Viele Frauen sind eigens angereist - und wieder gefahren

Dabei hatten sich die Bordellbetreiber auf ein gutes Geschäft eingestellt. Manche Betriebe, etwa das "Herz As" in der Triebstraße, hatten die Belegschaft sogar verdoppelt. Inzwischen sind viele der eigens angereisten Frauen wieder gefahren.

Zu viele Touristen seien mit Familie gekommen, vermuten die Zurückgebliebenen, die Fans hätten ihr Geld für Tickets ausgegeben oder seien, nach der Feier auf der Leopoldstraße, schlicht zu betrunken, um zu ihnen zu finden.

Die Polizei kontrolliert trotzdem die Bordelle der Stadt intensiver denn je. Jeden Abend sind während der WM "Milieustreifen" unterwegs, acht Beamte insgesamt, die je zu zweit, ein Mann und eine Frau, Pass und Aufenthaltspapiere der Prostituierten kontrollieren.

Die Beamten gehen unangekündigt in die Betriebe, grüßen den Betreiber mit Handschlag und distanzierter Freundlichkeit. Die Frauen gehen auf die Zimmer und holen ihre Papiere, für die meisten ist das Prozedere Routine. Bei einem Rundgang durch sieben Betriebe regt sich nur eine Frau auf über "Stasimethoden".

"Diese Kontrollen sind keine Schikane, sie stabilisieren das Milieu", hält Peter Breitner dagegen, der als Leiter des Dezernats 13 für organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Zuhälterei zuständig ist. Jeder Betreiber soll wissen, dass man ihm früher oder später draufkommt, wenn er Illegale beschäftigt.

Anhand der Listen, die die Milieustreifen erstellen, weiß die Polizei zudem, wie viele Prostituierte gerade wo in München tätig sind. In anderen Großstädten, wo es die Milieustreifen nicht gibt, hätten die Kollegen oft nicht mal einen Überblick, wo die Betriebe liegen, sagt Breitner.

600 Frauen in 150 Clubs

In München arbeiten normalerweise rund 600 Frauen in 150 Clubs, Laufhäusern oder Bordellen. Die Hälfte sind gebürtige Deutsche, die anderen stammen aus Thailand, Osteuropa, Brasilien. Jedes Bordell muss zu Nicht-WM-Zeiten damit rechnen, mindestens einmal im Monat kontrolliert zu werden. Jedoch sollen die Kontrollen bewusst nicht "Razzia-Charakter haben", sagt Breitner.

Die Beamten tragen zwar Pistole, aber ihr Auftreten ist dezent. Man fragt die Frauen, ob es Probleme gibt, fragt die Betreiber, wie das Geschäft läuft, und dabei fällt schon mal eine Andeutung über die Konkurrenz, die gerade die Preise zu drücken versucht.

Die sind in München relativ stabil, was für die Frauen von Vorteil ist. Gehen die Preise runter oder läuft das Geschäft schlecht, seien die Frauen eher gezwungen, ohne Kondom zu arbeiten, sagt Breitner.

50 Euro kostet in der Regel die halbe Stunde "Französisch" mit Kondom. Für "Französisch natur", also ohne Gummi, muss der Freier das Doppelte zahlen. Zwar kennt die "Hygieneverordnung" des Freistaates eine Kondompflicht. Doch es drohen keine Sanktionen. Und die Verordnung sei schon "rein faktisch nicht zu überwachen", sagt Breitner.

Die Prostituierten sehen von dem Geld, das sie erarbeiten, meist nur einen Bruchteil. Das 2002 überarbeitete Prostitutionsgesetz kennt zwar noch den Straftatbestand "ausbeuterische Zuhälterei", aber die Definition hat sich geändert. Die Folge ist, dass die Polizei die Straftat kaum nachweisen kann. Unter "ausbeuterisch" verstand der Gesetzgeber früher, dass der Frau mehr als die Hälfte des Geldes abgenommen wurde.

Provision für Taxler

Heute muss die Frau in "maßgeblicher wirtschaftlicher Abhängigkeit" zum Zuhälter stehen, damit dieser belangt werden kann. Laut Gerichtsurteil ist dies erst dann der Fall, wenn der Mann mehr als 80 Prozent für sich behält. Darüber hinaus zahlen die Frauen Geld für die Zimmer. Taxifahrer, die Kunden abliefern, bekommen in der Regel 30 Euro Provision. Auch dies geht, vermutet die Polizei, eher zu Lasten der Frauen als zu Lasten als Betreiber.

Die Ermittler unterscheiden im Milieu zwischen Frauen, die "selbstbestimmt" arbeiten und das meiste Geld tatsächlich für sich behalten. "Das sind wenige", sagt Breitner. Die meisten arbeiten "freiwillig", wobei der Begriff relativ ist. Viele Frauen aus Osteuropa sind zwar "freiwillig" hier, aber sie tun, was sie tun, um der Armut zu entfliehen, oder weil ein Mann, dem sie hörig sind, psychischen Druck ausübt.

Daneben gibt es Frauen, die unter falschen Versprechungen von Menschenhändlern angelockt und als Sklavinnen gehalten werden. Dass sie vergewaltigt und geschlagen werden, komme vor, sagt Breitner. Meist arbeiteten die Menschenhändler aber mit "subtileren Methoden", etwa der Drohung, dass der Familie etwas passiert, wenn die Frau nicht spurt. Die Logik dahinter ist einleuchtend wie perfide: Der Kunde mag keine Frau mit blauen Flecken.

Wie viele Zwangsprostituierte es in der Stadt gebe, sei nicht abschätzbar, sagt Breitner. 85 Frauen konnten bayernweit im letzten Jahr aus den Fängen von Menschenhändlern befreit werden. Meist werden die Frauen zu Landsleuten gebracht, die in Kneipen oder in Wohnungen auf sie warten.

Hotline für Freier geschalten

Die Ermittler tun sich schwer in diesem "Dunkelfeld". Deutsche "Scheinfreier" fallen auf im "ethnischen Milieu". Bleiben die Telefonüberwachung, sofern sie genehmigt wird, und Tipps aus dem "legalen" Milieu. Eine Sisyphusarbeit. Oft schlagen sich die Beamten auf einem Parkplatz die Nacht um die Ohren und am Ende stellt sich raus, dass die "Lieferung" verschoben wurde.

Helfen könnten die Freier. Um sie zu erreichen, haben verschiedene Organisationen zur WM Hotlines geschalten. Die Beratungsstelle "Solwodi" etwa, die für ihre Nummer 08000 111 777 auf dem Olympiapark-Fan-Fest wirbt, ist ganz zufrieden mit der Resonanz. Man habe bundesweit zahlreiche Anrufe von Freiern erhalten, sagt Gabriele Kiefer von Solwodi.

In München geht die Polizei allerdings erst einem Hinweis aus einer Hotline nach. Breitner hält die Idee für sinnvoll, mehr Erfolg aber verspräche er sich davon, wenn die Nummern länger geschaltet wären, denn: "Das schlechte Gewissen meldet sich oft spät."

© SZ vom 3.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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