Problemfall Entmietung:"Wir brauchen einen konkreten Verdacht"

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Staatsanwaltschafts-Chef Christian Schmidt-Sommerfeld spricht im SZ-Interview über die schwierigen Ermittlungen gegen Vermieter mit krimineller Energie.

Interview: Bernd Kastner

(SZ vom 22.12.03) — Zahlreiche spektakuläre Fälle von Entmietung machten im zurückliegenden Jahr Schlagzeilen. Mieter wurden ohne Rechtsgrundlage aus ihrer Wohnung geworfen, andere beklagen sich, dass sie mit grundlosen Kündigungen und Klagen mürbe gemacht werden sollen.

Derweil wird die Kritik an der Justiz immer lauter: Mietervertreter und Politiker fordern mehr Schutz vor Entmietung. Die SZ sprach mit Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld, dem Leiter der Staatsanwaltschaft München I, über die Schwierigkeiten der Ermittler.

SZ: Wenn es um Entmietungen geht, müsse man die Staatsanwaltschaft "zum Jagen tragen", kritisieren Mietervertreter.

Christian Schmidt-Sommerfeld: Es stimmt nicht, dass wir nichts tun. Es gab und gibt eine ganze Reihe von Verfahren gegen Vermieter in den letzten Jahren. Einer wurde zum Beispiel zu einer Freiheitsstrafe, wenn auch mit Bewährung, verurteilt.

SZ: Nimmt die Zahl der Entmietungsfälle tatsächlich zu?

Schmidt-Sommerfeld: Wir führen keine Statistik darüber. Aber wir nehmen die Sache ernst, und deshalb habe ich eine Umfrage im Haus gemacht. Sie beruht auf der Erinnerung der einzelnen Staatsanwälte. Im Jahr 2001 hatten wir demnach zwei Fälle, 2002 waren es fünf, und in diesem Jahr zehn. Einer steigenden Tendenz werden wir entgegen wirken.

SZ: Im Zentrum der Entmietungs-Vorwürfe steht der Schwabinger Wilhelm-Hertz-Block.

Schmidt-Sommerfeld: Gegen einen der Vermieter ist jetzt wegen Hausfriedensbruchs und versuchter Nötigung Strafbefehl ergangen, der aber noch nicht rechtskräftig ist. Es kommt zur Gerichtsverhandlung.

SZ: In einem anderen spektakulären Fall aus Schwabing, bei dem von Terror mit toten Ratten und Fäkalien die Rede war, ist der Vermieter straffrei geblieben.

Schmidt-Sommerfeld: Wir hatten 180 Tagessätze beantragt, eine hohe Strafe. Aber dieser Fall war, wie andere auch, von der Stellung eines Strafantrags abhängig. Wir haben umfangreich ermittelt, und vor dem Strafgericht stellt sich heraus, dass sich Mieter und Vermieter schon vor dem Mietgericht geeinigt haben. Alle Strafanträge wurden zurückgenommen. Wenn man uns so den Boden entzieht, müssen wir sagen: Unsere Arbeit war für die Katz. Und es stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft diese Arbeit leisten kann und muss. Eigentlich sind dafür Zivilgerichte zuständig.

SZ: Warum ziehen sich in manchen, offenbar eindeutigen Fällen die Ermittlungen so lange hin? Wenn etwa ein Vermieter ohne Rechtsgrundlage eine Wohnung räumt.

Schmidt-Sommerfeld: Nehmen wir als Beispiel den Fall mit der zugemauerten Tür. Das war Mitte Mai. Mittlerweile besteht dieses Verfahren aus zwölf einzelnen Vorfällen, die eine Entmietungsstrategie hoffentlich beweisbar machen. Ein Konglomerat aus immer neuen Anzeigen, zu denen viele Personen gehört werden müssen. So wird aus einer zugemauerten Tür, die man in drei, vier Wochen erledigen könnte, ein umfangreiches Verfahren.

SZ: Was ist so schwierig an den Ermittlungen?

Schmidt-Sommerfeld: Den Tatnachweis stellt sich der Laie oft sehr einfach vor. Wir sind es, die beweisen müssen, wer den Lärm gemacht oder den Wasserhahn aufgedreht hat. Oft war es nicht der Vermieter persönlich. Der hat Leute, die das für ihn erledigen. Und wenn wir die haben, stellt sich die Frage: Was hat der Vermieter damit zu tun? Wenn Aussage gegen Aussage steht, gewinnen Sie vor keinem Strafgericht einen Blumentopf.

SZ: In einem Fall ermitteln Sie schon seit eineinhalb Jahren.

Schmidt-Sommerfeld: Diese Sache hat sich als sehr komplex und schwierig herausgestellt. Hier kann man eine gewisse Systematik feststellen und Schlüsse daraus ziehen. Das Entmieten ist ja nicht nur ein einzelner Vorfall, wie ein Banküberfall. Das geht weiter, und zwar häufig auch dann noch, wenn der Vermieter sogar weiß, dass gegen ihn ein Verfahren läuft.

SZ: Man hat mitunter den Eindruck, dass Sie erst aktiv werden, wenn Ihnen die Mieter, meist juristische Laien, die Verdachtsmomente mundgerecht präsentieren. So war es bei dem Verfahren, das auf die Vorarbeit des Mieterbeirats zurückgeht. Sind diese Recherchen denn nicht Ihr Job?

Schmidt-Sommerfeld: Es ist nicht unsere Aufgabe, einem gewissen Phänomen von uns aus nachzugehen. Wir sind darauf angewiesen, dass wir mit Informationen versorgt werden. Und wir brauchen einen konkreten Anfangsverdacht. Erst wenn uns verschiedene derartige Verdachtsmomente bekannt werden, fügt sich das für ein Objekt oder einen Vermieter zu einem Bild, so dass man sagen kann: Hier wird systematisch vorgegangen.

SZ: Auch aus Reihen der CSU heißt es: Die Justiz muss sensibler werden bei Entmietungen. Akzeptieren Sie diese Kritik?

Schmidt-Sommerfeld: Ja. Das beschränkt sich aber nicht auf den Bereich der Entmietung. Ein anderes Beispiel sind die Betrügereien mit den 0190er Telefonnummern. Plötzlich stellt man fest, was da läuft. Bei gewissen Phänomenen müssen wir auch erst die Entwicklung abwarten und schauen, welche Systematik dahinter steckt. Systematik bedeutet ja gerade, dass es sich über einen langen Zeitraum mit vielen Einzelfällen erstreckt. Sind es nur ein oder zwei Fälle, dann müssen die uns noch nicht sensibel machen.

SZ: Nun ist Mietermobbing aber kein neues Phänomen.

Schmidt-Sommerfeld: Das ist richtig, es gibt solche Fälle seit Jahren. Aber wir können nicht schon bei jedem einzelnen Fall von Sachbeschädigung durch einen Vermieter umfangreiche Ermittlungen wegen des Verdacht des Mietermobbings einleiten, wenn dieser bisher nicht strafrechtlich aufgefallen ist. Wenn aber einige Namen immer wieder auftauchen, fasst man natürlich zu. Wenn wir allerdings weder von den Mietern, noch vom Mieterverein, noch den Mietrichtern Hinweise bekommen, können wir nicht aktiv werden.

SZ: Ein Appell, Ihnen solche Vorfälle anzuzeigen?

Schmidt-Sommerfeld: Ja, aber nur gravierende. Die Staatsanwaltschaft wird nämlich oft als Zugpferd benutzt, um danach im Zivilprozess bessere Karten zu haben. Allein die Tatsache, dass alten Leuten gekündigt wird, reicht noch nicht aus. Wenn aber einer seinen Mieter jede Nacht um drei aus dem Bett klingelt und dieser deshalb psychischen Schaden nimmt, dann ist das Körperverletzung.

Die Schwelle zum strafrechtlich relevanten Bereich muss auf jeden Fall überschritten werden. Und hier ist eine klare Abgrenzung zu rein zivilrechtlichen Fragen erforderlich, was oft auch den Polizeibeamten vor Ort Schwierigkeiten bereitet.

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