Polizei zieht Bilanz:Das Jahr der Mordtaten

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Doppelt so viele Tötungsdelikte wie 2004 - die Männer vom Kommissariat 111 haben für die Zunahme keine Erklärung.

Susi Wimmer

Ein Jahr wie 2005 hat die Mordkommission seit Jahrzehnten nicht erlebt: Allein im ersten Halbjahr wurden in München 14 Menschen ermordet, in 16 Fällen ermittelten die Kriminaler wegen versuchter Tötung. "Warum es so viele, und war allem so spektakuläre Morde waren, ist unerklärlich", sagt Dezernatsleiter Harald Pickert.

Der Mord an Rudolph Moshammer gehörte zu den spektakuläreren in München. (Foto: Foto: Reuters)

Seine Leute haben jetzt zum Jahresende nicht nur etwa 9500 Überstunden angehäuft, sondern im Zuge ihrer Arbeit auch für politischen Zündstoff gesorgt: Nach dem Mord an dem neunjährigen Peter A. etwa flammte die Diskussion um den Umgang mit Sexualstraftätern auf, nach dem Tod von Rudolph Moshammer die Debatte um den Einsatz von DNA-Analysen.

Rechnet man den gewaltsamen Tod einer 39-jährigen Patentanwältin in der letzten Woche mit ein, so hatten die Ermittler des Kommissariats 111 im Jahr 2005 bislang 15 vollendete Morde und 41 versuchte zu bearbeiten. Damit hat sich im Vergleich zu 2004 die Zahl umgebrachter Menschen nahezu verdoppelt.

Auch nach dem Tsunami half die Mord-Kommission im Krisengebiet

"Eine Erklärung können wir nicht liefern", sagt Pickert. Dafür allerdings eine nahezu 100-prozentige Aufklärungsquote: Bis auf den Mord an dem türkischen Besitzer eines Schlüsseldienstes - offenbar die Tat von deutschlandweit-agierenden Serienkillern - wurden alle Täter gefasst, teilweise auch schon verurteilt.

Los ging das dahingehend ereignisreiche Jahr 2005 eigentlich schon 2004: Als die Tsunami-Welle über Sri Lanka hereinbrach und auch 43 Menschen aus München mit sich riss und tötete. Ein Mann des Münchner Präsidiums flog ins Krisengebiet, im Morddezernat wurde eine Stelle für Vermisstenanzeigen und Identifizierungen eingerichtet.

"Dazu gehört auch, Kontakt mit den Angehörigen zu halten und, wenn wir Gewissheit hatten, die Todesnachricht persönlich zu überbringen." Eine Frau aus München, weiß Pickert, "wird bis heute vermisst".

80 Kriminalisten klärten den Mosi-Mord auf

Noch während dieser Recherchearbeit geschah der erste Mord: Am 3. Januar verschwand der ehemalige Konditormeisters Konrad Hahn spurlos. "Er galt als zuverlässig und stand mitten im Leben", erinnert sich Pickert. In der Wohnung fand man Blutspuren, bald war klar, der 68-Jährige muss einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein.

Der Fall zog sich durch das ganze Jahr und ist bis jetzt noch nicht vollständig aufgeklärt: Zwar wurde vor einigen Wochen ein mutmaßlicher Täter verhaftet, der als "Batman" maskiert bereits mehrere Raubüberfälle verübt hatte, allerdings schweigt der Mann. Die Leiche des Konditors wurde bis heute nicht gefunden. "Aber ich denke, der Täter wird uns das schon noch sagen", ist sich Harald Pickert sicher.

Mit mehr als 80 Kriminalisten und Schutzpolizisten arbeitete die Mordkommission keine zwei Wochen später an der Aufklärung des Falls Moshammer. 600 Telefonanrufe mit Hinweisen gleich am 14. Januar. "Das musst du erst mal verarbeiten", sagt der Chef. Die Spreu vom Weizen (und Hund Daisy von den kriminalistisch relevanten Dingen) zu trennen sei nicht so einfach gewesen. Dafür war die Pickert-Truppe schnell: Freitagfrüh wurde Moshammer gefunden, am Samstag, kurz vor Mitternacht, der Mörder verhaftet.

Eine Tat, die wahrhaft Nerven kostete: "Ein Prominentenmord, der letzte war wohl der an Walter Sedlmaier, ist immer mit einem riesigen Druck von Seiten der Öffentlichkeit verbunden", sagt Pickert. Was das Medienecho und die Fragen nach Daisys Psyche ("die hat doch den Mord beobachtet") anbelangt, kann der Dezernatsleiter bis heute nur den Kopf schütteln: "Unglaublich."

Beim Verschwinden des kleinen Peter "schrillten alle Alarmglocken"

Seinen Leiter der Mordkommission, Josef Wilfling, regt da noch was ganz was anderes auf: "15000 Menschen waren auf der Beerdigung von Moshammer, 42 waren auf dem Friedhof, als der kleine Peter beigesetzt wurde. Das macht mir am meisten Gedanken: Was für die Menschen wichtig ist."

Die Ermittlungen im Fall Peter Aigner seien innerhalb der Mordkommission "eher ruhig und leise" angelaufen, sagt Pickert. "Emotional nicht vergleichbar mit Moshammer", vom Druck her, den Fall zu lösen, wohl noch intensiver, "weil die meisten von uns Kinder haben". Am 17. Februar wurde der Bub als vermisst gemeldet, in der folgenden Nacht kam er nicht nach Hause, am nächsten Tag auch nicht in die Schule.

"Da war schon klar: Das sieht nicht gut aus", sagt Wilfling. Vormittags erfuhren die Ermittler, dass der Vater des Jungen die Schule absucht, an seiner Seite ein verurteilter Frauenmörder. "Dann kriegen wir raus, dass auch noch ein Kindermörder in der Familie ein und aus geht", ruft Wilfling. Da seien alle Alarmglocken losgegangen, plötzlich ging alles Schlag auf Schlag: Nachfragen ergaben, dass Kindermörder Martin P. mit einem Buben, den er als seinen Sohn ausgab, gesehen wurde.

Psychische Stabilität unabdingbar

Die Ermittler spürten den Mörder zu Hause, friedlich im Bett schlafend auf, nahmen ihn fest, und schon auf der Fahrt ins Präsidium legte er ein Geständnis ab. Vier Stunden zur Klärung eines Mordes, "Rekordzeit", sagt Wilfling. Und: "Gott sei Dank". Er habe schon etwa 500 Leichen in seinen 20 Jahren bei der Mordkommission gesehen. "Aber die Bilder dieses misshandelten Kindes brennen sich in das Gehirn ein, das vergisst du nie."

Warum so ein Mann nach dem ersten Mord wieder in die Freiheit entlassen wurde, dort dann jegliche Therapie ohne irgendwelche Konsequenzen verweigern konnte, ist für Wilfling ein Rätsel. Auch bundesweit wurde nach diesem Fall der Umgang mit Sexualstraftätern diskutiert. "Aber einen hundertprozentigen Schutz gibt es wohl nicht", meint Dezernatsleiter Pickert.

Wie psychisch stabil die Leute, die im Dezernat 111 arbeiten, sein müssen, zeigte auch der Doppelmord am 22. Juni. Der 22-jährige Marco Z. erstach zwei Mädchen, zerstückelte die Leichen mit Hilfe seines Vaters und entsorgte die Stücke in Mülltüten entlang der A 8. "Ein heftiger Fall", sagt Wilfling nur. Während der Arbeit allerdings müsse man die Emotionen ausschaltet und agieren. "Man betrachtet das Ganze eher wissenschaftlich." Eine Sichtweise, die wohl auch dem eigenen Schutz diene. "Später dann reden wir untereinander darüber."

Einsatz auch bei der WM geplant

9500 Überstunden haben die Mordermittler in diesem Jahr angesammelt. Letztes Jahr waren es 6500. Ausbezahlt werden die Überstunden aus finanziellen Gründen beim Präsidium München nicht mehr, "wir müssen sie abfeiern", sagt Harald Pickert. Wie das allerdings im nächsten Jahr gehen soll, ist ihm etwas schleierhaft.

Vier seiner Beamten arbeiten auch in Zukunft bei der SoKo Bosporus in Nürnberg mit, wo man versucht, die siebenfachen Serienkiller zu fassen. Es laufen noch Nachermittlungen von Fällen aus 2005 - und außerdem werden auch die Mordermittler bei den Großeinsätzen 2006 (Fußball-WM, Papstbesuch) zur Hilfe herangezogen.

Letzteres sind die Männer allerdings gewöhnt: "Von unseren Schreibkräften angefangen bis hin zu den Leuten, die die Spuren sichern: Jeder gibt sein Bestes, das macht ein gutes Team aus. Das ist unser Erfolgsrezept."

© SZ vom 30. Dezember 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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