Politiker-Derblecken:Mysterien mit Stammwürze

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Mit Stoiber und der Mofa-Gabi hat sich einiges zusammengebraut im bayerischen Staatszirkus - wie sich das Schauspiel einer absurden Realität nähert

Hermann Unterstöger

Nüchterne Beobachter (nüchtern hier im Sinn von sachlich) sehen im Salvatoranstich auf dem Nockherberg nicht mehr als eine Werbeveranstaltung der Paulaner-Brauerei. Andere wiederum, die deswegen noch lange nicht betrunken sein müssen, halten ihn insofern für ein durchaus entfesselndes Ereignis, als er Kräfte freizusetzen vermag, die sonst unter der Decke der Zivilisation gezähmt ruhen und dort allenfalls leise rumoren.

Irina Wanka bei der Vorbereitung für ihren Auftritt als Familien-ministerin von der Leyen. (Foto: Foto: Regina Schmeken)

Als Theo Waigel einmal für das hiesige Boulevardblatt tz den Salvatorreporter spielte, hatte er Gelegenheit, von so einer Enthemmung zu berichten. Sie widerfuhr dem früheren bayerischen Kultusminister Hans Maier, einem Mann von Geschmack, Feinsinn und breitester Bildung.

Beim Anblick der in einem engen Trikot auftretenden Ingrid Steeger sagte er: ,,Die hat ja Beine bis zum Hals'', ein Aperçu, das man von jedem anderen erwartet hätte, nur nicht von dem bedächtigen Orgelspieler.

Könnte man dies noch dem Starkbier zugute halten, das in der Tat schon manchen sonst Schweigsamen in Zungen reden ließ, so ist ein anderes Faktum durch die Macht der Stammwürze allein nicht mehr zu erklären.

Erheben wir uns kurz von der Bierbank und gedenken wir jener drei Männer, die in der Funktion des die Prominenz ,,derbleckenden'' Mönches Barnabas in je eigener Manier Salvatorgeschichte geschrieben haben und trotzdem auf ganz und gar ungemütliche Art und Weise von hinnen mussten.

Walter Sedlmayr fiel Mördern in die Hände, Max Grießer ging selbst aus dieser Welt, und Erich Hallhuber wurde, wie man bei einem plötzlichen Krankheitsanfall früher zu sagen pflegte, hinweggerafft.

Jokus und Jesus

Die letzten drei Jahre gab der Kabarettist Bruno Jonas den Barnabas. Als er nun den Abschied nahm, hatte das seinen Grund darin, dass er den Kreis dessen, was er für dieses Spektakel an Boshaftem, Nachdenklichem und Witzigem zur Verfügung hatte, ausgeschritten zu haben glaubte.

Besser könne er's nicht mehr machen, sagte er jedem, der es hören wollte, und bei diesem Stand der Dinge wolle er es mit drei anerkannt guten Reden bewenden lassen. Es war also nicht die Angst, dass auf dem Nockherberg so etwas wie der Fluch der Pharaonen wirken könne, die Jonas zum Gehen bewog.

Trotzdem stimmt es nachdenklich, dass man ihn ein paar Tage nach seiner Kündigung an einem vor Fluch und Verderben halbwegs sicheren Ort wiedersah: in der Katholischen Akademie, wo er sich vor einer Menge Volks und unter gewaltigem Beifall zu dem Thema ,,Humor und Glaube'' vernehmen ließ.

Mit einiger Rabulistik ließe sich der Unterschied zwischen Katholischer Akademie und Nockherberg so definieren, dass man einen Kirchenwitz, den man hier nicht bringen könnte, dort sehr wohl erzählen kann. Jonas tat dies bei seiner Vorlesung denn auch, und zwar mit folgendem Joke.

Jesus kommt vor Pilatus und wird von diesem gefragt: ,,Bist du der König der Juden?'' Darauf Jesus: ,,Nageln Sie mich da jetzt bitte nicht fest.'' In der Akademie schnaufte zwar der eine oder andere kurz durch, aber per saldo ließ man sich die geistliche Frechheit gefallen, animiert auch durch Jonas' Alternative: ,,Verstand ohne Humor geht, umgekehrt nicht.''

Als gebürtiger Niederbayer konnte es Jonas sich natürlich nicht verkneifen, auf eine Sprachfigur zu verweisen, die von Norddeutschen gern als komisch, ja ,,ulkig'' eingeschätzt wird: die Gewohnheit, ,,I waar da'' statt ,,Ich bin hier'' zu sagen.

Jonas interpretierte den stammestypischen Irrealis so, dass der Niederbayer in der Vermutung der Existenz lebe, und nannte nach einer Kunstpause auch einen, auf den dies zutreffen könnte: ,,Da Huaba'', also Erwin Huber. Damit stehen wir im Personellen bei einem der Hauptopfer respektive -helden des rituellen Derbleckens auf dem Nockherberg, in der existenziellen Verdrehtheit und Mehrdeutigkeit hingegen bei Bruno Jonas' Nachfolger als Salvatorredner, dem Kabarettisten Django Asül, einem Niederbayern und Türken dazu.

Der musste einmal ins Krankenhaus, und nachdem er seinem Zimmernachbarn gesagt hatte, dass er ein Türke sei, erwiderte dieser: ,,Wos bist du? A Tüak? Wos song do deine Leid dazua?''

Der 1972 in Hengersberg geborene Asül, bürgerlich Ugur Bagislayici, lässt sich vor seinem Auftritt an diesem Donnerstag verständlicherweise nicht ins Blatt schauen. Der Passauer Neuen Presse (PNP), seiner Heimatzeitung, verriet er immerhin die Grundzüge seiner Taktik: kein Vorschlaghammer, aber die Leute ,,so fest umarmen, bis ihnen die Rippen brechen''.

Ein weiteres Detail ist ebenfalls schon freigegeben: Asül tritt nicht als Mönch auf, sondern in Zivil, was einem Leser der PNP freilich auch nicht passte, sondern zu der grämlichen Rüge bewog, Paulaner klammere sich ,,verzweifelt an einen türkischstämmigen Strohhalm'' und opfere dabei auch noch die Kutte.

Dieser Mann nannte wenigstens seinen Namen, während die in den Internetforen tätigen Kritiker aus der Anonymität herausbellen. Ein oft zu lesender Tenor ist der, dass ,,der Musel'' auf dem Nockherberg nichts verloren habe, wie ja überhaupt aus Orientalen nie und nimmer echte Bayern würden.

Fast noch geheimnisvoller als bei der ,,Predigt'' ging es in diesen Wochen beim Festspiel zu. Eva Demmelhuber und Holger Paetz, die für Regie und Text dieses mittlerweile mit großer Spannung erwarteten Gaudiums verantwortlich sind, haben an ihre Leute ein einfaches Rezept ausgegeben. Wer immer von einem Journalisten mit Fangfragen à la ,,Sie spielen doch sicher wieder mit'' angebohrt werde, solle so freundlich wie bestimmt antworten: ,,Da wissen Sie aber mehr als ich.''

Kurzatmig muss er sein

Als dieser Ukas erlassen wurde, war zwar die Linie des Stücks schon vage zu erahnen, die Details aber noch völlig unübersichtlich. Einmal zum Beispiel saß man im Kaminzimmer des Wirtshauses am Nockherberg und fragte sich, wie ein Beckstein-Darsteller körperlich beschaffen sein müsse.

Diese Augen! Diese Zähne! Uli Bauer, seit Jahren Ko-Autor und auch heuer wie immer bravourös als Münchens Oberbürgermeister Ude tätig, kam schließlich auf den Kern der Sache. Kurzatmig müsse der Mann sein, sagte er, und als er zur Illustration ein paar typisch Becksteinsche Sätze hervorstieß, gab es keinen Zweifel mehr, dass er recht hatte.

Längst ist ein Beckstein-Imitator gefunden, und auch die übrigen Politiker konnten adäquat besetzt werden. Doch was heißt hier adäquat: Wer die Festspiele der mittlerweile zehn Jahre andauernden Ära Demmelhuber/Paetz leidlich im Kopf hat, wird finden, dass die Doubles in vielen Fällen besser sind als die Originale.

Das ist wohl auch der Grund dafür, dass die Derbleckten - bei all ihrer Freude darüber, nicht übergangen worden zu sein - oft derart gequält lächeln, als dächten sie in ihrem Inneren: Ach, wär' ich doch ein wenig so wie die da oben.

Heuer war es dramaturgisch schwieriger als in der Jahren zuvor, weil im Komplex CSU/Bayerische Staatsregierung lange Zeit alles drunter und drüber ging, leider aber nicht so, dass man Nektar für Dialoge, Szenen und Songs daraus hätte ziehen können, sondern auf eine politisch wie künstlerisch ziemlich unproduktive Art.

Eines ergab sich aus der verworrenen Konstellation dennoch relativ klar: Es würden Stoiber-Festspiele werden, diese allerdings in einem der Wirklichkeit entnommenen Rahmen, nämlich in einem Zirkus, bei dem an den Begriff ,,Affenzirkus'' zu denken erlaubt, weil beabsichtigt ist.

Demmelhuber und Paetz ist bei dem Gedanken, dass Stoiber - von Michael Lerchenberg abermals kongenial dargestellt - zum letzten Mal ihr Titelheld sein dürfte, beinahe weh ums Herz. Er wird fehlen, samt seiner charakteristischen, mit der flachen Rechten mehrmals schwertgleich geschlagenen Lachgeste.

Einmal hat er sich, als dem Doppelgänger die Perücke wegzufliegen drohte, sichernd ans eigene Haar gefasst. Kann es, fragt Demmelhuber, eine innigere Verbundenheit mit dem Spiel geben?

Für Paulaner-Chef Peter Kreuzpaintner gibt es im Hinblick auf Predigt und Spiel nur eine Regel, und das ist die eines jeden guten Gastgebers: Die Leute sollen auch nächstes Jahr wieder kommen wollen. Daraus ergibt sich das Gebot, Schläge unter die Gürtellinie zu vermeiden.

,,Wir packen unsere Gäste bei ihren Stärken'', sagt Kreuzpaintner, ,,nicht bei ihren Schwächen'', was freilich von Fall zu Fall ein und dasselbe sein kann und die Gewähr dafür gibt, dass es im Dramolett angenehm menschelt, ohne dass der politische Biss verloren ginge. Dergleichen, setzt Kreuzpaintner hinzu, sei nur in Bayern möglich, ,,mit dieser liberalitas''.

Eva Demmelhuber ist lange genug im Geschäft, um sich zu dieser Liberalität, die ja auch die Liberalität des die Festivität sozusagen urbi et orbi übertragenden Bayerischen Rundfunks ist, ein paar Anzüglichkeiten leisten zu können. Nur allzu gern erinnert sie sich an das orientalisch geprägte Singspiel, in dem Huber als ,,Hadschi Huber'' gezeichnet wurde, was bei den Verantwortlichen vom Funk ganz unheitere Befürchtungen und Zensurgelüste hervorrief.

Das Recht des Hasen

Was aber die Herren von der Brauerei betrifft, bei denen die Autoren ja in einem gewissen Stadium der Spielgenese ,,vorsingen'' müssen, so hat die Regisseurin ein schönes Bild zur Hand, um zu schildern, wie deren Urteil ,,gut!'' ausfällt: wie wenn ein Pferd, das soeben eine Zwetschge gefressen hat, deren Kern ausspuckt - seitlich und eher unabsichtlich.

Es wird keinen verwundern, dass im 2007er Festspiel zwei neue Gestalten auftauchen, die in der Politik freilich auch überdeutliche Akzente gesetzt haben: Gabriele Pauli und Ursula von der Leyen. Die ,,rote Gabi'' wird von einem Mitglied des vielgerühmten Gesangsquartetts gespielt, von Steffi Brehme, die sich darüber ebenso freut wie sie es bedauert, dass sich ihr Part auf eine Mofafahrt und einen fränkisch klingenden Satz beschränken wird.

Als die Truppe beim BR in Unterföhring Kostüme fasste, konnte man ihr schon begegnen, wenn auch ohne Motorrad. In ihrer Bikerkluft wirkte sie in diesem Fundus, wo sich das Zeug bis zur Decke stapelt und wo einem vor Hüten, Kleidern, Kunstbusen, Stiefeln und einer veritablen Tiara ganz anders wird, sehr echt: fesch, frech, sexy.

Für Ursula von der Leyens Part hat man hoch gegriffen und wird das nicht bereuen müssen. Es wurde Irina Wanka engagiert, die sich vor gut zwanzig Jahren schon als die gelähmte Claudia in der ,,Familie Merian'' in die Herzen spielte und seither überaus präsent ist, nicht zuletzt wegen ihrer ebenso schönen wie beherrschten Stimme, mit der sie Größen wie Sophie Marceau, Liv Tyler und Nicole Kidman synchronisiert.

Für sie, die aus einer Schauspielerfamilie stammt, ist das ein Ausflug in die Welt des alten Singspiels, und mit dem Paulanerschen Kodex kann sie gut leben. Man müsse den Menschen ihre Würde lassen, sagt sie, und wenn man auch nach den im Genre üblichen Gesetzen überzeichnen müsse, dann nicht um zu verletzen, sondern um zu profilieren. Die Familienministerin schätzt sie sehr, und was sie anatomisch für die Rolle prädestiniert, nennt sie ,,mein aufgeräumtes Gesicht''.

Ob sich das Publikum dieses Jahr auf eine schöne Beleidigung freuen darf, auf eine deftige Personalinjurie mit anschließendem Hickhack, ist bei der umfassenden Geheimhaltung von Rede und Spiel nicht abzusehen.

Tatsache ist es, dass Jahre, die mit solchen Vorfällen gesegnet waren, lange im Gedächtnis bleiben und dass Leute, die sich dazu hinreißen lassen, die beleidigte Leberwurst zu spielen, ähnlich lange brauchen, bis man sie wieder als satisfaktionsfähig im Sinne der bayerischen Derbleck-Ordnung gelten lässt.

Es hat sich gezeigt, dass das Plazet der Brauerei keine definitive Sicherung ist, weil die Autoren in letzter Minute immer noch eine kleine, wie spontan wirkende Gemeinheit einfügen können.

Die Paulaner-Brauerei wird sich hüten, dafür post festum jemanden zu hängen, weil sie, ihrer geschäftsfördernden Staatsnähe ungeachtet, sehr gut weiß, wie heiß solche Sottisen geliebt werden und wie zuverlässig sie ihr den Ruf eintragen, insgeheim ein Hort der kritischen Aufklärung zu sein, der hierzulande so beliebten Querdenkerei und Aufmüpfigkeit.

Die letzte größere Affäre dieses Schlages liegt fünf Jahre zurück. Damals wurde Thomas Goppel, Generalsekretär der CSU, als ahnungsloser Hase vorgeführt, als ,,Hoppel-Goppel'', was Staatskanzlei-Chef Erwin Huber so erboste, dass er die Grenzen des angemessenen Derbleckens überschritten und die Menschenrechte verletzt sah. Als Retourkutsche entschuldigten sich die Autoren öffentlich bei den Hasen: Indem sie Goppel mit ihnen in Verbindung gebracht hätten, hätten sie sich an deren unveräußerlichen Hasenrechten vergriffen.

Sieht man davon ab, dass der aktuelle vagabundierende Grippevirus bis zur Kerntruppe vorgedrungen ist und Holger Paetz sich einen Finger ausgerenkt hat, lief diese Woche alles nach Plan. Das Spiel verspricht saukomisch zu werden. Man muss bei der Gelegenheit noch einmal auf Bruno Jonas und seine Akademierede zurückblenden.

Jonas stellte da die These auf, dass die Gläubigen immer im Zustand der ,,dramatischen Ironie'' seien, indem sie so viel mehr über die handelnden Personen des Evangeliums wüssten, wie die Theaterzuschauer mehr über die Schicksale der Akteure wissen. Am Nockherberg wissen die Zuschauer nichts und die Akteure alles, und insofern gibt der Starkbieranstich zumindest in theologischer Hinsicht wenig bis nichts her.

Morgen ab 10.30 Uhr Live-Ticker vom Nockherberg auf sueddeutsche.de.

© SZ vom 8.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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