Phil Collins nimmt Abschied:Papa Bär

Lesezeit: 5 min

Zwischen orchestrieren und trommeln wird Phil Collins wieder mal einen Heuler für Disney aufnehmen. Heulen wir einfach mal schön weiter. Ciao, Papa Bär! Der Abschied von dir war doch bewegender, als wir uns das vorher gedacht hatten.

Von Alexander Gorkow

Es dauert drei Stücke, von halb neun am Abend bis kurz vor neun, bis die schöne Sonne also mählich hinterm Haupttribünendach des Münchner Olympiastadions verschwindet und sich in einem Menschen, der das therapiebedürftige Pech hatte, in den frühen Achtzigern durch den Zenith der Pubertät zu müssen, eine eigentümliche Rührseligkeit breitmacht.

Phil Collins, der damals - ob man wollten oder nicht - die "Blaupausen für einen neuen europäischen Oberligapop" (New Musical Express) in einem Tempo ablieferte wie Kai aus der Kiste, er hat an diesem Abend um kurz vor neun gerade hinter sich: ein Schlagzeugsolo mit seinem alten Genesis-Trommelpartner Chester Thompson, daraus erwachsend einen pumpenden Knüllerknaller namens "Something Happend On The Way To Heaven" sowie im Anschluss ein Lied, das Steine, wenn nicht sogar Julie Burchill ("Phil Collins ist der hässlichste Mann seit George Orwell"), erweichen müsste: "Against All Odds".

Wenn wir schon von Blaupausen sprechen, so hatte man nach jenen drei Darbietungen wiederum die Blaupause für eine Karriere zusammen, die einige für das größte Missverständnis der Popgeschichte halten. Zum angeblichen Abschied des 53-jährigen Musikers vom weltweiten Konzertbetrieb muss man nun sagen: Diese Karriere und diese mehr als 200 Millionen verkauften Platten hatten ihren Grund.

Und nein, der Vergleich mit der Scheiße und den Fliegen ist kein guter Vergleich, da unter den 50000 Leuten im ausverkauften Olympiastadion keine Fliegen waren, sondern eigentlich lauter nette (und viele erstaunlich junge) Menschen, die nur von solchen, die mal selber in den Spiegel gucken sollten, als schweigende Mehrheit bezeichnet werden.

Zur Eröffnung also. Das Schlagzeugsolo an sich gehört natürlich in die Kategorie Angeberblödsinn. Vermutlich aber hat der Spaß, den Collins selbst hierbei verbreitet, seinen Grund auch darin, dass er Verbotenes durch die beiläufige Art der Darbietung legalisiert. Es trifft die Sache, wenn man Collins - wie es Peter Gabriel neulich tat - als einen "extraordinary natural gifted musician" bezeichnet.

Natural heißt hier: Jede Form von hehrer Doppelbödigkeit, Augenzwinkerei, der Anspruch etwa von kleinstädtischen Avantgarde-Galeristen oder von Literaturtagungsteilnehmern ist ihm total fremd. Das Solo, das Collins mit Thompson als Aufwärmübung in München spielt, es kommt nicht mit Trara daher, sondern aus dem berühmten Handgelenk, nach ein paar Sekunden schütteln die sich in einer Sambaexplosion warm, dass man meint, der Rasen des Olympiastadions stünde auf Wellen.

Andererseits erinnert das Gerühre und Geschüttel an den fröhlich donnernden Genesis-Klassiker "Los Endos" in der Partitur-Spielart "Los Endos für 2 Schlagzeuge", man hört ja förmlich die Melodie heraus. Sicher ist es kein Zufall, dass Collins seine Karriere, die als früh genialer Schlagzeuger bei Genesis begann, so nun fürs erste mal einrahmt, denn auch am Ende des zweieinhalbstündigen Konzertes - zum Auftakt von "Take Me Home" - saßen er und Thompson wieder an den Schlagzeugen.

"Something Happened On The Way To Heaven" (1990) und "Against All Odds" (1985) folgen, sowie dann eine Münchner "Gesamtrückschau der Riesenhitwerdung". Sämtliche Lieder beweisen so oder so, dass Collins bis heute von der Suppe löffelt, die er 1980 in einem Studio des Sonnenstaates Kalifornien angerührt hat. Damals hatte der Schlauberger zunächst genug von den viktorianischen Klangschrauben der Genesis-Kollegen und legte mal selber los. Maßgeblich für die Solo-Anstrengung war, natürlich, dass ihn seine Frau verlassen hatte.

Die Stimme, wie erkalteter Stahl

Die kurz darauf fertige Platte "Face Value" sollte eigentlich nur für Collins lebensrettend sein; die einen gehen halt im Londoner Regen zum Therapeuten, Collins flog mit einem Koffer voller Zettel und Kassetten nach Los Angeles. Heute, ein rundes Vierteljahrhundert später, muss man sagen, dass diese Platte zu den besten gehört, die ein Popmusiker je einspielte.

Natural Gifted, keine Umstände, keine doppelten Böden, ganz grandioses Songmaterial, eine Ausbeute aus schwarzer und weißer Popgeschichte, Anführer der Ausbeutungstruppe war ein kleiner Brite mit Kugelkopf und stechend blauen Augen, nicht einmal 30 Jahre alt, die kontrapunktische Snare-Drum klopfend und die donnernden Hänge-Toms mit einem Hall versorgend, dass man meinte, es sei der Jüngste Tag.

Mit den Bläsern von Earth, Wind & Fire, mit seinem Gitarristen Daryl Stuermer (auch in München dabei) legte sich Collins sozusagen selber den roten Teppich aus, auf dem er bis heute herumtanzt. "Face Value" war eine kluge und mitreißende Mischung aus Las Vegas, Motown und Lalo Schifrin, das lustig Schwarze und Orchestrierte von Isaac Hayes' "Shaft", das Saucoole von Schifrins "Dirty Harry"-Nummern wehen da ebenso herum wie das finstere Geplucker der "In The Air Tonight"-Drumbox, mit der er die Platte eröffnete.

Im Folgenden mischen sich kalifornisch-strandschöne Guten-Morgen-Klassiker wie "I'm Not Moving", instrumentaler Schmiss wie "Drowned" und Lieder von so bodenwegziehender Traurigkeit wie die Puffnummer "If Leaving Me Is Easy". Die New York Times ehrte Collins damals - man mag es heute kaum für möglich halten - als "Antwort der Popmusik auf Alfred Hitchcock", nicht zuletzt wegen seiner Vorliebe für cliffhanger, wie im Falle von "In The Air Tonight", wo man ständig ahnt, dass es gleich mächtig losgeht, was es dann ja mit Krawumm auch tut.

Das Lied war auch in diesem Münchner Konzert der Höhepunkt, riefenstahlsche Lichtästhetik, Collins weit oben auf einer Art Rundgang, mit einer Stimme wie gerade erkalteter Stahl, zum Gebrumme von Leland Sklars Bass und zum Gesäge von Stuermers Gitarre: "So you can wipe off that grin / I know where you've been / It's all been a pack of lies".

Das Konzert, das am Sonntag abend im besinnungslosen Jubel seiner Fans endete, bewies natürlich ebenso, dass Collins schon lange den Spagat zwischen Masse und Wahnsinn nicht mehr machen wollte und sich mit sich selbst auf die Masse statt auf den Wahnsinn einigte.

Seine bunte Bühne, diese vielen tanzenden, trötenden, singenden, schwarzen und weißen Menschen erzählen noch einmal von der großen Sehnsucht des kleinen Mannes nach dem Beat aus Las Vegas, der Schnulze aus Motown und dem anarchischen Frohsinn von Jim Hensons Muppet-Show. Insofern alles schöne alte Schule: hier sind tolle Sängerinnen noch dick, tolle Bassisten haben noch meterlange Bärte und einen Anti-Bush-Aufkleber auf dem Instrument, tolle Saxofonisten haben eine breite Brust, und aus den Kanonen flattern tolle Luftschlangen.

Phil Collins, der wiefe Normalo aus London, dessen Lieder im Radio zum Soundtrack unserer Totalverkorksung wurden, der dann, als er plötzlich steinstreich war, endlich auch selber mal Frau und Kinder sitzen ließ, der nie mehr eine so grandiose Platte machte wie "Face Value" und aber auch nie das Arschloch war, zu dem Julie Burchill ihn machen wollte, der ziemlich coole Entertainer Phil Collins, der seinen finalen Tourtross noch in die ausverkauften Stadien Amerikas und Kanadas führen wird, er wird sich danach womöglich um seine Jazz-Combo kümmern und wieder das machen, was er viele Jahre lang kaum mehr machte: orchestrieren und trommeln.

Dazwischen wird er wieder mal einen Heuler für Disney aufnehmen. Da sitzen wir dann im Kino. Mit unseren lieben Kindern. You'll Be In My Heart. Heulen wir einfach mal schön weiter. Ciao, Papa Bär! Der Abschied von dir war doch bewegender, als wir uns das vorher gedacht hatten.

Konzerte: 11.6. Berlin, 12.6. Köln, 13.6. Hannover, 21.6. Leipzig, 23.6. Stuttgart

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: