Patchwork-Weihnachten:Eine Art Familienfeier

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Zwei Mütter, keine Väter, vier Kinder und Johnny Cash: Wie eine Münchner Patchwork-Familie Weihnachten feiert.

Bernd Kastner

Am vierten Advent hat der Bub den Christbaum gekauft, einen ganz großen, und ist dann mit ihm in der U-Bahn heimgefahren. An Heiligabend werden ihn die Kinder gemeinsam schmücken, und dann: Kochen, Geschenke unter den Baum, Essen, Glocke, Lied, Bescherung, Umarmungen. Sie werden glücklich in der Altbauwohnung in der Maxvorstadt sitzen. Traditionell ist das, und fast wäre man geneigt, diese Art von Heiligabend spießig zu nennen.

Die Drei-Frauen-plus-WG mit Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftswohnzimmer und Gemeinschaftsbad. (Foto: Foto: Hess)

Wäre da nicht noch was.

Vor dem Baum werden sitzen: Ramona, Chato, Saskia, Anatol, Marianne, Philipp und Lucy. Nur Anita wird nicht dabei sein. Die acht sind eine Art Familie, eine der besonderen Art. Früher hätte man diese Verhältnisse unordentlich, ja, g'schlampert genannt, heute sagt man Patchwork dazu. Ein familiärer Flickenteppich also, der in bemerkenswertem Kontrast zum geordneten Fest steht.

Anatol ist 15, und der Halbbruder von Chato, 21, und Saskia, 26. Die drei Kinder haben eine Mutter, Ramona, 45, drei Väter und zwei unterschiedliche Nachnamen. Marianne, 51, ist die Mama von Philipp, 21, und die Mitbewohnerin von Ramona und Anita. Die drei Frauen leben zusammen mit Anatol in einer Drei-Frauen-plus-WG, mit Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftswohnzimmer, Gemeinschaftsbad. Anita, 49, ist auch Mutter, aber ihr Sohn lebt in Wien.

Sie selbst wird an Heiligabend nicht in der WG sein, was ihr sehr leid tut, aber ohne ihre Familie hält sie es an diesem Tag nicht aus, deshalb fährt sie in die Steiermark, ihre Heimat. Dafür wird Lucy da sein. Sie ist Philipps Freundin und wird Heimweh haben, weil sie aus Kenia stammt.

Das also ist der Heiligabend in der WG, auf deren Klingelschild die Namen Torpier, Wieser, Reiter und Wagner stehen. Man muss die Beziehungen nicht sofort verstehen, es reicht, sich die Zusammenfassung von Marianne Wagner zu merken: "Es ist schon sehr bunt bei uns."

Während sie das alles erzählen, sitzen sie nicht im adventlich geschmückten WG-Wohnzimmer. Sie sind nach dem Plätzchenbacken um die Ecke gegangen ins "Steinheil", wo es nicht nach Zimt und Glühwein duftet, sondern nach Wiener Schnitzel. Sonntag ist Familientag, da kommen Chato und Philipp zu Mutter Ramona Torpier und Bruder Anatol. Jede Woche ein bisschen Weihnachten.

Und die Väter? Saskia hat zuletzt mit ihrem Papa gefeiert, da war sie zwei Jahre alt. Jetzt verbringt er Weihnachten mit seiner Frau und seinen zwei anderen Töchtern bei der Oma im Allgäu. Anatol wird am Feiertag zu seiner Oma fahren, wo dann auch sein Vater hinkommt. Chato trifft den Papa auch am Feiertag, und Philipp sagt, dass er seit Jahren wenig Kontakt zum Vater habe, und ob er ihn jetzt sehe, keine Ahnung. Phillip hat noch zwei ältere Halbschwestern, er ist schon Onkel.

Natürlich haben sie auch Wunschzettel geschrieben. Saskia hat eine Seite aus einem Ikea-Katalog ausgeschnitten, da ist ein Bett zu sehen, und ein Sofa in rot, bitte. Dazu drei Regalbretter und einen Thermobecher. Chato hat einen Zettel genommen, wie ihn Kellner für Bestellungen haben: "Liebes Christkind, wie geht's, wie steht's? Ich weiß, ich hab lange nix mehr von mir hören lassen, aber ich war halt wunschlos glücklich." So geht der Flirt mit dem himmlischen Kind noch ein paar Sätze weiter, ehe Chato auf der Rückseite zum Punkt kommt: Staubsauger, MP3-Player, einen schönen Ledergürtel. "Für Deine Mühe danke ich Dir schon im voraus, Dein Chato."

Anatol hat auch einen Wunschzettel verfasst, am Computer, zwei Seiten lang. Einen Spiegel hätte er gern für sein Zimmer, "wo man in den Rand Sachen stecken kann wie Fotos oder Briefe". Eine DVD, einen neuen Geldbeutel und ... "ach ja, wenn vielleicht ein bissel Geld drin wäre. Ich bin ein bisschen knapp bei Kasse und ich muss ja auch für die anderen Geschenke aufkommen."

Plätzchen, Glöckchen, Wunschzettel. Ist diese Weihnachtsidylle etwa für die Zeitung inszeniert?

Da lachen sie wieder, die sieben, wie sie oft lachen, zwischen Schnitzel und Pommes und Pfefferminztee. Nein, nein, sagen sie, so sind wir.

Sie kennen sich schon seit Jahrzehnten, die Familien, haben schon früher, als sie noch nicht in der WG zusammen waren, miteinander das Fest der Liebe gefeiert, und es sind immer noch weitere Freunde und Nachbarn dazu gekommen. Früher sind die Wagners auch noch in die Christmette gegangen, aber irgendwann, da war der Philipp elf oder zwölf, hat seine Mama ihn gefragt:

"Was wünscht du dir denn heuer?"

"Dass du mit mir nicht mehr in die Kirche gehst."

Und so ist heute die fehlende Mette die einzige Traditionslücke. "Wir haben halt alle unterschiedliche Auffassungen", sagt Marianne Wagner und meint die Religion. Man erkennt das auch daran, dass von den vier Kindern am Schnitzel-Tisch zwei (Saskia und Chato) ihren Wunschzettel ans Christkind adressiert haben und die anderen beiden (Philipp und Anatol) an den Weihnachtsmann. Die einen sind getauft, die anderen nicht.

Chato übrigens hat seinen Namen dem gleichnamigen Apachen-Halbblut zu verdanken, das Charles Bronson im Western "Chatos Land" spielt. Die Mutter, eine gebürtige Österreicherin, wollte ihren Bub eigentlich Woody nennen, weil sie für Woody Allen schwärmt, aber der Papa war dagegen. Und Anatol heißt nicht so, weil sein Vater aus der Türkei käme, sondern weil seine Mutter bei der Geburt einfach keinen Namen parat hatte. Irgendwie kam sie dann auf diesen Namen, der übersetzt "Sonnenaufgang" heißt.

Das mit der Sonne ist durchaus symbolisch in dieser WG. Wie froh sind die drei Mamas, dass zumindest noch ein Kind bei ihnen wohnt, da bleibt ihnen noch einer zum Betütteln. Anatol sagt: "Ich werde ziemlich verwöhnt." Er wirkt nicht, als wäre ihm das unangenehm.

Als sich die ältesten Kinder verabschiedet haben, gehen die Mamas mit Anatol nach Hause in die WG. Edles Treppenhaus, dritter Stock, hohe Decken, Korkboden. Die 140 Quadratmeter sind erstaunlich ordentlich für eine WG, aber das liegt wohl an den vielen Frauen. Als sie vor zwei Jahren hier eingezogen sind, war es die Maklerin, die die WG aus drei Müttern und einem Sohn "Familie" genannt hat. Sie war die Erste.

Der Christbaum lehnt noch auf dem Balkon. Drinnen im Wohnzimmer steht in der Ecke ein Ding, das eine Mischung ist aus einem dreieckigen Zylinder und einer Stehlampe, es leuchtet, oben drauf stehen ein paar Krippenfiguren. Im Flur hängt ein Adventskalender, und in der Küche neben dem Tisch ein Poster von einem Mann. Johnny Cash. Er schaut auf eine lange Einbauküchenzeile. Hier haben sie letztes Jahr den Truthahn zubereitet. Weil der im Rohr aber länger gebraucht hat als gedacht, mussten sie umplanen: Erst Gesang und Bescherung, dann das Essen. Heuer gibt's Fondue, das spricht für einen pünktlichen Ablauf. Den Christbaum werden bis dahin die Kinder geschmückt haben.

"So sieht er dann auch aus", sagt Mama Ramona und lacht. "Nein!" Mama Marianne protestiert und lacht. "Nicht chaotisch, aber halt auch nicht einheitlich." Patchwork vom Feinsten.

© SZ vom 24.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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