NullAchtNeun:Die südlichste Stadt Schwedens

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"Die nördlichste Stadt Italiens" sind im Sommer alle. München könnte sich auch ein anderes Attribut einfallen lassen.

Harald Hordych

Endlich ist die Wärme nach Deutschland zurückgekehrt. München blüht auf. Und schon ist es wieder passiert, im Radio nannte jemand, um Originalität bemüht, München "die nördlichste Stadt Italiens".

Sobald es schön wird, sind in den Städten jede Menge Straßencafés zu sehen - nicht nur in München oder Italien ist das so. (Foto: Foto: Heddergott)

Damit hat wieder angefangen, was jeden Sommer zu München gehört wie die ewige Baustelle am Effnerplatz, nämlich ein in sonniger Vorzeit verliehener Ehrentitel, der nicht dadurch besser wird, dass ihn auch Regensburg, Köln und Hamburg beanspruchen. Auch in diesen Städten werden im Sommer überraschenderweise Tische und Stühle vor die Lokale gestellt, wenn die Sonne scheint. Schon leuchtet über allem das Antlitz des Apennin.

Was Vipiteno dazu sagt, wissen wir nicht. Man darf vermuten, dass die nördlichste Stadt Italiens das Gerede nicht im Mindesten stört, weil sie im Grunde gar keinen Wert auf diesen ihr geographisch und völkerrechtlich zustehenden Titel legt. Was auch daran abzulesen ist, dass auf der Webseite von Sterzing, so der deutsche Zweitname, das italienische "Vipiteno" praktisch nicht auftaucht. Nur in einem vermutlich von der zentralstaatlichen Regierung in Rom vorgeschriebenen Logo. Wie der Südtiroler so ist, wäre Vipiteno respektive Sterzing sowieso viel lieber die südlichste Stadt Österreichs.

Interessanter ist die Frage, wie München dieses unsägliche, dem Massengeschmack der PR-Ingenieure in die Hände spielende Anhängsel loswerden könnte. Die einst recht frei formulierte Forderung: "Weg mit den Alpen, freier Blick zum Mittelmeer" ist zwar unerfüllbar, aber nichtsdestotrotz berechtigt. Der Alpenriegel sorgt sicherlich für Föhn, hindert jedoch entscheidend den wärmenden Windschwall des Südens am Fortkommen. Außerdem: Warum soll man denn beim Anblick eines Straßencafés automatisch und wenig erhebend an Mafia und Berlusconi, Politchaos und Neapelmüll denken?

Gute Stimmung ist das Wichtigste

Also, München, nimm Kurs auf den bisweilen ungehindert einfallenden Nordwind, sprich den kühlen Norden, genauer gesagt auf Schweden, noch präziser, um ein leuchtendes Beispiel zu nennen: Stockholm!

Auch Stockholm verwandelt sich nämlich nach den finsteren, langen Nächten des Winters in eine herrliche, sich der Sonne und der frischen Luft hemmungslos ausliefernde Stadt, die natürlich auch schon mit dem Titel "Nördlichste..." und so weiter. München aber könnte selbstbewusst die historischen Verbindungen mit dem skandinavischen Land aufgreifen und sich mit viel mehr Berechtigung "Südlichste Stadt Schwedens" nennen.

Auch dort herrscht bis auf den eisigen Norden im Sommer ein mildes, sonniges Klima. Hier wie dort bedeckten große Eisfelder und Gletscher das Land und hinterließen beim Abschmelzen eine reiche Seenlandschaft (!), die den Reiz der hügeligen Landschaft vermehrte.

Jene famose Eiszeit aber hat noch einen weiteren, weitaus positiveren Effekt, der in diesen miesen Zeiten und angesichts Italiens wirtschaftlicher Dauerschwäche nicht zu unterschätzen ist: Seitdem Schweden von der Eiswüste befreit ist, wächst es unaufhaltsam. In 12000 Jahren einige hundert Meter. In die Höhe. Stockholm beispielsweise kommt dem Himmel jedes Jahr fünf bis sechs Millimeter näher. Alles schrumpft, Schweden wächst. Wenn das nicht die Stimmung hebt, was dann?

Und eine gute Stimmung ist in München bekanntlich immer das Wichtigste.

© SZ vom 18.04.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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