Neuer Trend:Tango-Fusion erobert die Clubs der Innenstadt

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"Tango go!", repetiert eine Stimme geheimnisvoll-flüsternd ins Mikrofon, vom E-Bass im pochend-pulsenden Vierviertel-Beat begleitet. Es geht um Tango-Fusion, eine Mischung aus Tango, Jazz und Techno.

Von Ulrich Möller-Arnsberg

Nach einigen Takten folgen dazu aus dem Akkordeon langgezogene Moll-Harmonien, dann steigt die Geige ein mit metallisch-spacigem Bogenstrich am Steg, mitunter von Kratzern unterbrochen, die wie Grillen klingen. Was die vier Musiker intonieren, hört sich aber nur im ersten Moment nach Tango Nuevo à la Astor Piazzolla an.

"Wir spielen das, was vom Tango übrig bleibt", erklärt der Wiener Sänger und Saxofonist Gerald Preinfalk das Projekt, das er und seine drei Bandkollegen gerade als CD veröffentlicht haben, und mit dem sie derzeit in Europa auf Tournee sind. Tango Fusion stößt vor allem bei jüngeren Tango-Tänzern auf eine wachsende Fangemeinde.

Freier Tanz

"Ich fand das immer schade, dass man in den Clubs nur alleine tanzen kann und beim Tango nur zu zweit", meint Sonja Armisen, die seit fünf Jahren ihr Tango-Studio in der Dachauerstraße 20 betreibt. Als erste unter den Münchner Tango-Lehrern bietet sie neben dem klassischen tango argentino Kurse in Tango-Fusion an. "Ich möchte einen Ort schaffen, an dem Leute frei tanzen können, wie im Club, wo aber auch Paartanz seinen Platz hat: Tango-Fusion ist genau die richtige Musik dafür."

Den passenden Raum bietet etwa die Registratur in der Blumenstraße, wo die Tangolehrerin den Crossover der Discoszene mit der Tango-Argentino-Gemeinde startete. Der Raum mit seinem Siebziger-Jahre-Flair ist optimal, weil er eine gute Mischung aus Club und Lounge bietet. Es gibt eine relativ große Fläche zum Tanzen, die je nach Bedarf erweiterbar ist, Sofa-Nischen, in denen man sitzen und reden kann.

Sehnsuchtsvolles Bandoneon

Was deshalb funktioniert, weil die Musik nicht so laut ist wie in den meisten Clubs. Zu den Tango-Fusion-Rennern, die aufgelegt werden, zählt etwa die Debüt-CD "Tango Club" der argentinisch-uruguayischen Formation Bajo Fondo. Klagende Bandoneon-Klänge werden mit elektronischen Drum Pads unterlegt, zu sehnsuchtsvollen Tango-Melodien pocht ein zappeliger Elektro-Beat. Ein Beamer projiziert die dazu passenden visuellen Antworten in Form von rotierenden Video-Loops an die Wände.

Preinfalk, Gründer von Tango go, ist Jazzer, hat wie sein norwegischer Kollege, Bassist Per Mathisen, am Berklee-College in Boston studiert. Als der heute 32-Jährige vor zweieinhalb Jahren in seine Heimatstadt Wien zurückkehrte, traf er auf seinen Akkordeon spielenden Landsmann Klaus Paier, der ihm die Musik von Piazzolla nahe brachte.

Wenig Piazzolla übrig

Viel ist von Piazzolla in der Formation Tango go wirklich nicht übrig. Nicht einmal bei dem Violinisten Benjamin Schmid, der im Hauptberuf ein Klassikstar ist und den Tango irgendwo zwischen Bach und BeBop einordnet. Es sind nur Elemente des traditionellen Schrittrepertoires, die sich laut Sonja Armisen für den neuen Drive eignen: der als Wiegeschritt bekannte cunita oder die Verzierungsfiguren voleo und gancho.

"Aufgrund der anderen Beats kommen etwas andere Bewegungen mit rein", erzählt Julia, die früher den argentino-Schritt gelernt hat und sich jetzt bei Sonja Anregungen für Tango-Fusion holt. Ihr Freund Stefan ergänzt: "Das ist schon ein bisschen was anderes, es ist viel schneller, rhythmischer, eine andere Art zu tanzen, sehr dynamisch, sehr stark!" Längst sind dem südamerikanischen Beispiel der Gruppe Bajo Fondo, die für ihrer Tango-Fusion dieses Jahr einen Latin-Grammy bekommen hat, andere gefolgt.

Als europäische Antworten traten Bands wie das Gotan Project mit Elektro-Tangos und Tango Crash mit elektronischen Effekten zu improvisiertem Jazz auf den Plan. "No es tango!", das ist kein Tango, meint Juan Carlos, ein Argentinier unter Sonja Armisens Workshop-Teilnehmern.

"Esta bien"

Er ist aus Buenos Aires und verteidigt den traditionellen Tango in ähnlicher Weise, wie ein Sepp Eibl hier zu Lande die bayerische Volksmusik verteidigen würde. Aber, räumt er dann doch lachend ein: "esta bien!", es ist okay. Er meint, wenn sich Leute wie er dafür interessierten, könne dieser neue Tango-Fusion-Sound ja nicht ganz falsch sein.

Auch für den Wiener Gerald Preinfalk geht es um Rest-Elemente des tango argentino, mit denen er sich ungeniert auf Neuland vorwagt. "Verwendbar ist in erster Linie der Rhythmus, wegen der Energie, die darin steckt", so der Saxofonist, der für seine innovative Musik vor zwei Jahren mit dem Hans-Koller-Jazzpreis ausgezeichnet wurde.

Das Schwermütige im Tango interessiere ihn allerdings weniger, sagt er. Das nehme er raus, mit dem Rest nehme er Kurs zu neuen Ufern. "Tango go beginnt mit Tango und geht weiter." Informationen unter: www.tangofusionclub.de.

© SZ vom 15.12.03 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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