Nach Michael Graeters Verhaftung:Vom Niedergang der Klatschreporterei

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Michael Graeter sitzt in Haft und fürchtet offenbar, nach München ausgeliefert zu werden. Dort wurde er einst als Gesellschaftskolumnist bekannt.

Holger Gertz

Dass Michael Graeter jetzt wegen Geldgeschichten in Zürich in Haft sitzt und sich - so stand es in der Bild - fürchtet, nach München ausgeliefert zu werden, klingt eigenartig, weil dieser Graeter lange zärtlich umarmt worden war von München, dem Gesamtkunstwerk.

(Foto: Foto: dpa)

Wo hätte ein Gesellschaftskolumnist besseren Humus gefunden für seine Geschichten als in München, der Heimat der Gesellschaft. Schwabing, Beckenbauer im weißen Anzug, Sachs mit offenem Hemd. Playboys, die - wenn sie in der Kampfzone eintrafen - die legendäre Frage stellten: "San Hasen da?"

Graeter hat das alles so hingeschrieben, seine Texte waren in guten Momenten sogar witzig, auf halbseidene Art. Den Unternehmer Rudolf Houdek hat er "unverwüstlicher Fleisch-Tycoon" genannt, und insgesamt war er eine solche Nummer, dass er zur Vorlage wurde für Baby Schimmerlos in der großartigen Fernsehserie Kir Royal.

Sein Sturz ist so spektakulär wie sein Wirken damals, und irgendwie passen die Meldungen der letzten Tage zum Niedergang der Klatschreporterei. Houdek ist gestorben, Graeter in Haft, und ohne ihn distanzlos bedauern zu wollen: Der Klatschreporter Graeter war ein Meister, verglichen mit seinen Erben, weil er den sogenannten Klatsch fast stilvoll zelebrierte im Vergleich zu dem, was heute in den Balkenblättern auf der letzten Seite steht.

In der Bild war neulich Kate Middleton zu sehen, Freundin des Prinzen William, genauergesagt ihre zebraartig gemusterte Unterhose, die beim Einsteigen in eine Limousine kurz für die Kameras der Papparazzi sichtbar geworden war.

Die Klatschreporterin der Bild schrieb dazu einen Text, in dem sie die Dessouswahl der Frau mit jenen Mitteln rühmte, die ihr Sprachbaukasten hergibt: "Eine Eins mit Doppelstern für die tippi-toppi Farbkombi."

Einer wie Graeter hat jede Menge Unterhosen betrachten dürfen, aber er hat nicht über alle geschrieben. Und weil die Fototechnik noch nicht so weit war und auch Bild lange nur Schwarzweißbilder druckte, hat man nicht alles gesehen, was einem heute tagtäglich ins Gesicht gedrückt wird. Klatsch damals war, auch mal was wegzulassen.

Klatsch heute ist, alles herzuzeigen. Klatsch damals kam in Texten daher, Klatsch heute in einem babysprachlichen Gewinsel. Klatsch heute heißt, hinabzuschauen in die Gosse, während Graeter noch raufschaute, um zu sehen, was die Großen so treiben. Seine Manieren tipptopp zu nennen, wäre auch wieder übertrieben. Aber tippi-toppi waren sie ganz sicher nicht.

© SZ vom 26.01.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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