Nach Mafia-Morden in Duisburg:"Das hätte auch München sein können"

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Die Mafia ist auch an der Isar aktiv, zumindest bis vor ein paar Jahren. Die Polizei wundert sich über die momentane Ruhe und weiß wenig.

Susi Wimmer und Marc Widmann

Junge Leute pilgern zu der Pizzeria "Da Bruno", legen Blumen nieder, zünden Kerzen an. Hier, direkt vor dem Duisburger Lokal, wurden in den frühen Morgenstunden am Mittwoch sechs Männer mit Schüssen in Kopf und Hals hingerichtet.

Der Prozess gegen das mutmaßliche Mitglied der Russen-Mafia, Alexander B., fand 2004 in Stadelheim statt. (Foto: Foto: dpa)

"Die Tötungsart ist typisch für die 'Ndrangheta, die kalabrische Mafia", sagt Josef Geißdörfer, Chefermittler beim Bayerischen Landeskriminalamt. Dass Duisburg Schauplatz dieser brutalen Bluttat wurde, hält der Leitende Kriminaldirektor für wenig außergewöhnlich: "Das kann überall passieren, das Lokal hätte auch in München sein können."

Josef Geißdörfer ist Leiter der Ermittlungsabteilung im Landeskriminalamt. Neben Rauschgiftkriminalität und Sonderermittlungen beschäftigen sich die Spezialisten dort auch mit "OK" - der organisierten Kriminalität. Und Chefermittler Geißdörfer ist seit 1985 den mafiösen Strukturen in Bayern auf der Spur.

Keine Informationen aus Italien

"Momentan wundern wir uns selbst über die Ruhe, die in diesem Bereich herrscht", sagt er. Sprich: Rund um die sizilianische Cosa Nostra, die neapolitanische Camorra und die kalabrische 'Ndrangheta ist es zumindest in Bayern etwa seit dem Jahr 2000 still geworden. "Alles auf Null, aus Italien kommen keine Informationen mehr."

Die italienischen Kollegen sagen, in Sizilien seien die großen Mafia-Bosse verhaftet und die alte Führungsstruktur zerschlagen, berichtet Geißdörfer. Die anderen "Familienmitglieder" hätten sich "aufs Geschäftliche" verlegt, zum Beispiel auf das Abfischen von Subventionen.

Dass Ruhe aber nicht wirklich Ruhe bedeutet, darüber ist sich Geißdörfer auch im Klaren: "Entsprechende Kontakte von Italien nach Deutschland wird es schon noch geben, genauso wie Schutzgelderpressungen", sagt der Chefermittler. Nur: Für die Polizei seien derartige Straftaten kaum oder gar nicht fassbar. "Weil die Geschädigten nicht mitspielen." Nach wie vor stoße die Polizei auf eine Mauer des Schweigens.

In Bayern untergetaucht

In den 80er und 90er Jahren war die Szene in München und Südbayern noch ganz anders: "Heftige Umtriebe, diverse Festnahmen", sagt Geißdörfer. Führende Mafia-Köpfe wie Antonio Bruno, Luigi Sparabane oder Antonio Riezzo wanderten damals in den bayerischen Knast. Oder Giuseppe Garozzo, Oberhaupt des Cursotti-Clans. "Wenn der in eine voll besetzte Pizzeria kam, wurde für ihn sofort ein Tisch leergeräumt, wurden alle Spezialitäten des Hauses aufgefahren, das gesamte Personal kümmerte sich nur um ihn.

Am Ende ging er - natürlich ohne zu bezahlen", erzählt Josef Geißdörfer. Gerade die Schutzgelderpressungen habe man den Clan-Chefs aber mangels Kooperation der Opfer so gut wie nie nachweisen können. "Eher dann Rauschgift- oder Waffenhandel", sagt Geißdörfer. Viele Mafia-Mitglieder seien in Bayern untergetaucht, weil ihnen der Boden in Italien zu heiß geworden war.

"Es gab auch immer mal wieder Brandstiftungen in diversen Pizzerien", sagt Geißdörfer. Vermutlich, weil sich der ein oder andere gegen die Schutzgeldzahlungen gewehrt hatte. Das System sei einfach: Keiner könne ein Lokal aufmachen, ohne dies mit den entsprechenden Leuten zu besprechen - und dafür zu bezahlen. "Auf die ein oder andere Weise haben da wohl alle gezahlt."

Entweder entrichteten die Wirte direkt Schutzgeld, oder sie mussten ihre Waren von einem bestimmten Händler kaufen, der völlig überteuerte Preise verlangte. "Als Gegenleistung erhält der Gastwirt dann Schutz", sagt Geißdörfer. Schutz vor der Mafia. Wer bei dem Wort Mafia an dicke Autos, Goldkettchen, Designeranzüge und Zigarren denkt, werde zumindest in München enttäuscht.

"Diese Art des Auftretens gab es nur in Amerika", erzählt Geißdörfer. Der Mafioso in München fahre eher mit einem Fiat Panda vor, sei eher noch schlecht gekleidet und völlig unauffällig. "Allerdings, in Italien haben sie dann schon ihre Villen oder Schlösser."

Chinesische Mafia in der Au?

Neben den Italienern sind es die Russlanddeutschen, "Aussiedler aus der zweiten Generation", die vor allem im Strafvollzug den Rauschgifthandel kontrollieren und organisieren. Und die Chinesen. "Immer wieder mal illegale Einschleusungen, Schutzgelderpressungen." Geißdörfer selbst wollte einmal einen Chinesen in der Au befragen.

Der ging, nachdem er die LKA-Dienstmarke gesehen hatte, buchstäblich rückwärts: "Er hat am ganzen Leib gezittert und ist in die Restaurant-Küche abgehauen", erzählt er. Geißdörfer eilte hinterher. Das einzige, was er aus dem bibbernden Chinesen herausbekam waren die Worte: "Nein, ich muss nichts zahlen, aber andere schon."

Ein Satz, den Geißdörfer regelmäßig zu hören bekam. "Gerade in China ist Schutzgelderpressung fast so etwas wie eine legale Angelegenheit." Da gebe es ganz bestimmte Termine, an denen etwa "der Weihnachtsanteil" abgeholt werde. "Für die ist das ganz normal."

Tipps von Giovanni Falcone

1989 waren Geißdörfer und seine Männer in Sizilien bei Giovanni Falcone. Falcone war Jurist und einer der bekanntesten Mafiajäger Italiens, "der erste, der es geschafft hat, in diese Mafia-Strukturen einzudringen", erinnert sich Geißdörfer. Es gelang ihm, den Ex-Mafioso Tommaso Buscetta zu einer Zusammenarbeit mit der Justiz zu überreden.

Buscetta wurde der erste "Pentito", ein Aussteiger, der der Justiz Informationen lieferte. "Wir haben uns in Italien von Falcone beraten lassen und eng zusammengearbeitet", sagt Geißdörfer. Am 23. Mai 1992 starben Falcone und seine Ehefrau auf der Autobahn nahe Capaci. Die Mafia hatte in einem Abflussrohr unter der Straße eine 500 Kilogramm schwere Bombe zur Detonation gebracht.

Das Kronzeugenprogramm, das Falcone ins Rollen gebracht hatte, lief jedoch unvermindert weiter. Giorgio Basile, genannt "das Engelsgesicht", war einer, "den wir aus der Mafiastruktur herausbrechen konnten", sagt Geißdörfer. Am 2. Mai 1997 wurde der Mann aus Recklinghausen am Kemptener Bahnhof verhaftet.

Auf sein Konto sollen mehr als 30 Morde gehen. "Wir haben ihn hier in München gut vier Wochen vernommen", erzählt Geißdörfer. Und man habe ihm klarmachen können, dass er, sollte er wieder auf freien Fuß kommen, von anderen Mafia-Mitgliedern ob seines Wissens um andere Morde sofort umgebracht würde. So kooperiert Basile bis heute mit der Polizei. Er selbst musste nur "zwei, drei Jahre absitzen" und lebt laut Geißdörfer nun unter anderem Namen in Italien.

Mit Salzsäure beseitigt

Was man von den anderen führenden Mafia-Köpfen nicht behaupten kann. "Die, die wir damals in den 80er und 90er Jahren festgenommen haben, sind heute alle tot", erzählt Geißdörfer. Nach ihrer Verurteilung und Überführung nach Italien seien sie nach Absitzen ihrer Haftstrafe allesamt beseitigt worden. Viele auf italienische Art, genannt "lupara bianca": Die Erschossenen wurden in eine Betonwanne mit Salzsäure gelegt, der flüssige Rest dann durch den Gulli gespült.

Für Aufsehen sorgte in München auch die russischen Mafia, allerdings liegen die spektakulärsten Fälle schon einige Jahre zurück. Im Juli 2004 verurteilte das Schwurgericht München den mutmaßlichen Mafiosi Alexander B. wegen Mordes zu 13 Jahren Haft.

Leber an Organhändler verkaufen

Nach den Erkenntnissen der Ermittler hatte er mit zwei Komplizen im September 1991 einen Mann auf dem Parkplatz vor dem Ungererbad mit Messern regelrecht abgeschlachtet. Das Opfer gehörte offenbar zu einer feindlichen Mafia-Gruppe.

Der wohl seltsamste Fall ereignete sich im November 1997. Damals quartierten sich zwei Mitglieder der ossetischen Mafia bei einer Münchner Hotelbesitzerin ein. Sie forderten 300.000 Mark Schutzgeld, es ging um deren Sohn. Wenn sie nicht zahle, so die Gangster, würden sie den Jungen nach Moskau verschleppen und seine Leber an Organhändler verkaufen. Die Wirtin ließ sich nicht beeindrucken und ging zur Polizei. Die nahm die Täter fest.

© SZ vom 17.08.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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