Nach dem Bürgerentscheid:"Jetzt haben wir einen zweiten Oberbürgermeister"

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Der Sieg der Hochhausgegner hinterlässt Ratlosigkeit und Entsetzen bei der SPD-Fraktion und den Grünen. Alt-OB Kronawitter wird Populismus vorgeworfen.

Von Jan Bielicki

Die Nachricht, die plötzlich die Stimmung verdarb, kam auf einem weißen Zettel. Noch starrten die Gegner des Hochhaus-Begehrens auf die Internet-Seite, die ein Projektor groß auf die Wand des Sitzungssaals der SPD-Rathausfraktion warf.

Noch lagen dort die Nein-Sager vorne. Doch die Ergebnisse, die der Stadtrat Nikolaus Gradl aus dem Wahlamt herbeitelefoniert hatte, legten plötzlich eine bleierne Stille über die versammelten Stadtpolitiker.

"Oh Scheiße, Scheiße, Scheiße", flüsterte Stadtbaurätin Christiane Thalgott. "Die jungen Leute reden gescheit daher, aber bewegen ihren Arsch nicht ins Wahllokal", klagte der SPD-Chef Franz Maget laut und drastisch in die Stille. "Tja", sagte Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) nur.

Ude scheigt und hält sich am Weißwein fest

Dann sagte er minutenlang gar nichts und hielt sich an einem Glas Weißwein fest. Erst als 303 von 306 Stimmbezirken ausgezählt waren, trat er mit SPD-Ratsfraktionschef Helmut Schmid vor seine Mitkämpfer, um das zu tun, was der siegesgewohnte OB lange nicht mehr tun musste: "Wir müssen eine Niederlage eingestehen", sagte er.

Die Verantwortung für das Desaster verteilte er im nächsten Satz gleichmäßig: "Der Bürgerentscheid hat für die SPD, die CSU, die Grünen, die FDP, die Gewerkschaften und die Wirtschaft mit einer Niederlage geendet." Trotzdem: "Wir akzeptieren das Ergebnis", sagte er, doch seine etwa 50 enttäuschten Zuhörer von dem gegen den Bürgerentscheid zusammengetrommelten Bündnis "München - Stadt mit Zukunft" konnten sehen, wie schwer ihm das fiel.

"Maßlos" und "populistisch" sei die Kampagne seines Amtsvorgängers Georg Kronawitter gewesen, schimpfte er öffentlich. Und an den Stehtischen, an denen die Stadträte ihren Frust in Wein ertränkten, war der Zorn auf Kronawitter noch größer.

In alles einmischen

"Wir haben jetzt neben Ude einen zweiten Oberbürgermeister", stöhnte der grüne Bürgermeister Hep Monatzeder, "der wird sich jetzt mit Genuss und Freude in alles einmischen."

Monatzeder hatte schon schwarz gesehen, als auf den an die Wand projizierten Ergebnistafeln Ude und seine Hochhaus-Befürworter noch knapp vorne lagen: "Es reicht nicht", ahnte Monatzeder, "die Briefwähler kommen noch." In der Tat war auf zwei Drittel der 40000 per Brief eingesandten Stimmzettel ein Kreuz gegen die Hochhäuser vermerkt.

Ein Stockwerk über Udes trauriger Feier betonte auch CSU-Chef Otmar Bernhard, das Ergebnis lange schon vorausgesehen zu haben. Die "heftige Watschn" habe Ude für seine Weigerung verdient, nicht gemeinsam mit der CSU ein Ratsbegehren eingeleitet zu haben: "Man hätte den Leuten eine positive Alternative geben müssen", sagte Bernhard im Kreis des CSU-Fraktionsvorstands.

Ude, so fügte Fraktionschef Hans Podiuk an, "hat sich selbst und damit München ins Knie geschossen". Tatsächlich sprachen die rot-grünen Koalitionäre einen Stock tiefer nicht nur über die Zukunft der Stadtplanung, sondern auch über die ihres Oberbürgermeisters. "Er wird keine Lust mehr haben, 2008 nochmal anzutreten, wenn ihm Parteifreunde so in den Rücken fallen", unkte ein Rathausoberer, "die SPD wird einen neuen OB-Kandidaten brauchen."

© SZ vom 22.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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