Münchner Kunstfassade:Kosmos-Flimmern in der Brienner Straße

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Sehen, was man eigentlich nicht sehen kann. Ausgerechnet auf einer Münchner Haus-Fassade tanzen sich Milliarden Jahre alte kosmische Srahlen in Farbräusche. Dass man sie dazu aufforderte, ist - wie auch anders? - ein Werk der Kunst.

Bernd Graff

Ein Haus leuchtet nicht. Lichter, die aus den Fenstern scheinen, ja. Aber das Haus selber? Eher nicht. Gut, hier und da können auch schon mal Neon-Reklamen angebracht sein. Aber dass ein ganzes Haus im eigenen Glanz aufgeht, seinen Stein verbirgt, um heller zu sein als das Licht, das aus seinen Fenstern dringt - das hat man wohl noch nie gesehen.

(Foto: Alle Fotos: bgr)

Stimmt nicht ganz: Denn im letzten Jahr, auch im Herbst, hat die Münchner Werbeagentur "Serviceplan" schon einmal die Fassade ihrer Zentrale zum Glühen gebracht. Nicht nur das - eine Farborgie ist es gewesen, die sich - seltsam genug - den Stimmen der Welt verdankte. Ohne Frage, hier ging es um Kunst: Nicht weniger als die Menschheit war damals gewissermaßen aufgefordert, den widersprüchlichen Satz: "I am where I am not" in allen Sprachen und Stimmen über das Internet in die bayerische Landeshauptstadt zu schicken. Die Künstlerin Cornelia Büschbell fütterte mit dem eintreffenden babylonischen Sprach- und Stimmengewirr eine Menge Computer, die daraus fein sortierte Farb-Gehege bastelten - Sprachfarbseparees gewissermaßen - welche wiederum an die bunten Leucht Paneele der Hausfassade weitergegeben wurden.

So kam es, dass das Firmenhaus in Farbräuschen auf 63 Quadratmeter schwelgte - ganz nach dem Diktat der Länder.

Jetzt, ein Jahr später, hat man in Zusammenarbeit mit dem Lenbachhaus über eine andere Form von farblicher Visualisierung nachgedacht und den jungen Künstler Tim Otto Roth gewinnen können, eine ebenso beeindruckende wie spannende Versuchsanordnung an der Fassade zu wagen. Gezeigt wird jetzt: Das Raunen, Stöhnen, Schreien des Universums. Und einen Abglanz seiner Strahlen.

Zugegeben, die Titel dieser Veranstaltungen bleiben kryptisch - wenn auch in diesem Jahr ein wenig verständlicher als zuvor: "I see what I see not" heißt das Ganze jetzt. Tatsächlich "sieht" man nun tatsächlich, was man eigentlich ohne Spezialgerät nicht sehen könnte: hochaufgelöste Detailansichten von Spektralanalysen aus der Astronomie und Quantenphysik werden auf der Leuchtfassade dargestellt. Dazu hat sich Künstler Roth in diverse Observatorien begeben, wo Signale des Weltalls: Infrarotstrahlen, Mikro- und Röntgenwellen, über mächtige Tele- Spektroskope eingefangen und sichtbar gemacht werden. Roth fährt mit einem Scanner über die daraus entstandenen Karten und greift einen 10x10 Pixel breiten Datenstrom heraus, der an die Fassade weitergeben wird. So kommt es, dass das Haus zu einer Art Fenster des Universums und seiner Entstehungsgeschichte wird: Der Kosmos flimmert in der Brienner-Straße.

Jedes der insgesamt 76 Paneele auf der Fassade ist mit drei dimmbaren Neon-Röhren in den Farben Rot, Grün und Blau ausgestattet, die in etwa das Farbspektrum abdecken können, das ein Computermonitor mit einiger Farbtiefe produziert. Und darum können eben vielfarbige Licht-Muster an der Wand entstehen, Streifen, Mosaike, ja sogar Farbbewegungen und Ströme.

Ereignisse, die bis zu 13,5 Milliarden Jahre zurück liegen, lassen die Fassade damit zu einem changierenden Chamäleon werden, das mal das statische Muster der fernsten und ältesten Galaxien dokumentiert oder aber in Bewegtsequenzen mal von einem pulsierenden Neutronenstern im Crabnebel, mal vom Lockman-Hole im Großen Bären befeuert wird. Ab und an dann ein Schauer aus subatomarem Teilchenregen. Tief blau erscheint dagegen das Ensemble von sechs Sonnenmassen, 85 Lichtjahre von uns entfernt. Rotschwarzweiße Mosaiken zeichnen sich beim Doppelstern GJ263, eine Tick Lila zeugt vom Redshift 6.4 Quasar, dem weitest entfernten Quasar, der je entdeckt wurde.

Atem beraubend ist der Niederschlag der Ewigkeit und zudem ein Schauspiel, das frösteln macht - aber das nicht wegen der herbstlichen Kühle.

Wer die Fassade nicht persönlich bewundern kann, erhält mit der Live-Webcam im Internet (LINK unten!), die auf das abendliche Funkeln gerichtet ist, zumindest einen kleinen Trost.

Vom 12.11.2003-31.03.2004, Brienner Str. 45, täglich zwischen 17:00 Uhr und 20:00 Uhr

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