Münchner Autor Maximilian Dorner:"Oben Mensch, ab der Hüfte Marmorstatue"

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Dorners Bücher sind nicht kitschig. Sie sind lustig, traurig, ehrlich. (Foto: Catherina Hess)

In seinen Texten geht es um Steh-Partys und Windeln, um Behindertentoiletten und Behördengänge: Maximilian Dorner sitzt im Rollstuhl, er leidet an der unheilbaren Nervenkrankheit Multiple Sklerose. Seit dem Befund schreibt er - sechs Bücher in sechs Jahren. Und die sind schonungslos ehrlich.

Von Anna Fischhaber

Kann ein Leben im Rollstuhl ein Abenteuer sein? Wer Maximilian Dorner zuhört, könnte das denken. Dann erzählt er, wie er nach einer Club-Nacht einmal quer durch Berlin gefahren ist. Zehn Kilometer. Ohne Licht, ohne Karte, gegen die Fahrtrichtung. Wie er einen Betrunkenen getroffen hat, der noch schlechter laufen konnte als er. Nun sitzt der 39-Jährige in einem Café in München und sagt stolz: "Ich bin vielleicht der erste Rollstuhlfahrer, der Berlin nachts durchquert hat."

Natürlich gibt es auch andere Momente in Dornes Leben. Wenn er morgens mal wieder mit der Hose kämpft. Wenn die DVDs oben auf dem Regal unerreichbar erscheinen. Oder wenn der Schnee in München zur unüberwindbaren Barriere wird. Dann muss Dorner Freunde anrufen, weil er es nicht einmal mehr alleine in sein Stammcafé ein paar Meter weiter in Haidhausen schafft. "Dann nehme ich mich manchmal als Behinderter wahr", sagt Dorner.

Einige Jahre lief er am Stock, inzwischen sind selbst ein paar Meter an Krücken zu anstrengend. Dorner ist krank. Schwer krank. Die Wahrscheinlichkeit, dass es schlechter wird, ist groß, auch wenn man das dem Mann mit den schwarzen Locken und dem jugendlichen Lachen nicht ansieht. Vor sechs Jahren wurde bei Dorner MS diagnostiziert, Multiple Sklerose, eine unheilbare Nervenkrankheit.

2,5 Millionen Menschen leiden nach Schätzungen der Multiplen Sklerose Gesellschaft weltweit an der Krankheit, etwa 130.000 in Deutschland. Unter ihnen Maximilian Dorner und Malu Dreyer, seit kurzem Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz. "Das hat mich schon beeindruckt, dass sie sich das zutraut", sagt Dorner. Ansonsten redet er nicht gerne über MS. Er findet die Krankheit langweilig.

Lieber spricht er über sein Leben im Rollstuhl und wie das seinen Blick auf die Welt verändert hat. Über die Angst vor dem körperlichen Verfall, die jeden früher oder später trifft. "Und mich eben im Zeitraffer", wie Dorner das ausdrückt. Seine Behinderung ist für ihn wie ein Spiegel, der die Schwierigkeiten und Ängste seines Gegenübers zeigt. Seit er im Rollstuhl sitzt, werde er ständig angesprochen, sagt er. In der Tram, im Café, auf der Straße. Seine Geschichte wollen die Menschen selten hören, lieber erzählen sie ihre eigene. Oft fängt das Gespräch dann so an: Bei mir ist es ja die Hüfte. Dorner lacht. Er kommt den Menschen gerne nahe, analysiert ständig sich und seine Umwelt. Denn er ist eben nicht nur Rollstuhlfahrer, er ist auch ein messerscharfer Beobachter. Sechs Bücher hat er in sechs Jahren geschrieben.

Sein Debütroman "Mein Dämon ist ein Stubenhocker" über den Ausbruch seiner Krankheit wurde zum Überraschungserfolg. Die FAZ lobte ihn als "begnadeten Sprachjongleur", der Spiegel schrieb: "Dorner ist als Behinderter Anfänger, im Umgang mit der Sprache ein Könner."

Nun ist mit "Mein Schutzengel ist ein Anfänger" sein sechstes Buch erschienen. Ein Buch über seltsame Heiler und die Suche nach echtem Trost. Hauptfigur ist der Autor selbst oder wie er schreibt: Max, "oben ein Mensch und ab der Hüfte eine Marmorstatue". Das klingt nach rührseliger Selbsthilfe. Doch Dorners Bücher sind nicht kitschig. Sie sind lustig, traurig, ehrlich. Schonungslos ehrlich. Es geht um Steh-Partys und Windeln, um Behindertentoiletten und Behördengänge und immer wieder um die großen Fragen: Wieso fällt es uns so schwer, Hilfe anzunehmen? Und was heißt eigentlich gesund sein? Man muss nicht krank sein, damit einen Dorners Bücher zum Nachdenken bringen.

Freunde und Bekannte fragen den 39-Jährigen oft, wie es ihm geht. Sagt er gut, glaubt ihm niemand. Sagt er schlecht, bekommt er Ratschläge. Für sein neues Buch hat Dorner diese Tipps alle befolgt. Er war beim Chi Gong und hat seine Ernährung umgestellt, hat sich hypnotisieren lassen und die Hände aufgelegt bekommen. Sogar seine Leber hat er massiert, bis ihm die Tränen kamen. "Erst vergangene Woche hat mir ein Yogi erzählt, er habe schon viele Leute aus dem Rollstuhl aufstehen sehen", erzählt Dorner. "Ich frage mich manchmal, woher diese Selbstgewissheit kommt." Für einen kurzen Moment wirkt er ärgerlich.

Auch wenn man den 39-Jährigen nach dem Moment fragt, in dem sich sein Leben verändert hat, verschwindet das Lächeln auf seinem runden, freundlichen Gesicht. Er schweigt kurz. 34 Jahre war Dorner damals alt. "Ich verstehe nicht, warum ich immer nach der Diagnose gefragt werde", sagt er dann. "Am Anfang weiß man doch gar nicht, was das ist, was da auf einen zukommt. Es war dramatisch, aber irgendwie auch spannend", erzählt er. "Schmerzlich war es erst, als ich gespürt habe, dass mein Alltag so beeinträchtigt ist." Er zeigt auf den Rollstuhl.

Fast hätte man das schwarze Ungetüm vergessen. Lautlos ist Dorner in das Café geglitten, plötzlich saß er einfach da. Behindert sein, das hatte man sich irgendwie anders vorgestellt. Komplizierter, trauriger. Vielleicht ist es das auch. Vielleicht merkt man das nur nicht sofort, weil Dorner weder Held noch Opfer sein will. In erster Linie ist er ein neugieriger Mensch, der ständig neue Projekte hat: eine Reise nach Israel, ein Aufsatz über die Klischees, die über Sex mit Behinderten verbreitet werden, sein Beruf als Lektor, ein neues Buch. Er tanzt Ballett, nimmt Gesangstunden, macht Krafttraining. "Mein derzeitiges Projekt heißt Bikinifigur", sagt er und grinst.

Dorner freut sich über seine Eitelkeit. Auch das ist so eine Sache, die er mit der Krankheit wieder neu lernen musste. "Es kommt schon darauf an, wie man aus dem Rollstuhl herausschaut", sagt er dann.

Ein Leben im Rollstuhl - also doch ein Abenteuer? Dorner überlegt. "Ich frage mich oft, was mein größter Wunsch wäre", sagt er. "Wäre das wirklich: Raus aus dem Rollstuhl und wieder 20 Kilometer laufen können?" Er schaut zweifelnd. "Oder wünscht man sich nicht doch mehr Zufriedenheit." Er nickt. "Doch, das ist es. Ich will gehört zu werden. Als Autor. Als Mensch. Das ist mein größter Wunsch."

© SZ vom 13.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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