Mordfall Böhringer:Der Angeklagte und die Zweifel

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Vor genau einem Jahr begann der Prozess um den Mordfall Böhringer, und es gibt noch immer viele Unklarheiten.

Stephan Handel

Auf den Tag genau seit einem Jahr läuft am heutigen Freitag der Prozess um den Mordfall an Charlotte Böhringer. Nach 70 Verhandlungstagen lässt sich weder sagen, wie lange er noch dauern wird, noch, dass klarer geworden wäre, was geschehen ist am 15. Mai 2006 im Penthouse über der Parkgarage in der Baaderstraße.

Benedikt T. sitzt seit genau einem Jahr auf der Anklagebank. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Die selbstbewusst vorgetragene Anklage der Staatsanwaltschaft jedenfalls hat Kratzer bekommen, Risse, Unklarheiten. Das liegt zum einen am kämpferischen Einsatz der beiden Verteidiger Peter Witting und Stefan Mittelbach, die von der Unschuld ihres Mandanten Benedikt T. - eines Neffen des Mordopfers - überzeugt zu sein scheinen. Zum anderen aber auch daran, dass die Strategie von Staatsanwalt Martin Kronester immer wieder durchkreuzt wurde, unvorhersehbar ebenso wie selbstverschuldet.

Eine Unzahl von Beweis-, Befangenheits- und Haftprüfungsanträgen haben Witting und Mittelbach gestellt und dadurch auch die Schwächen des Anklagesatzes herausgearbeitet: Es gibt einige wenige, schwache Indizien gegen Benedikt T., und es gibt ein Motiv. Die Tante soll vorgehabt haben, ihn zu enterben, weil er sein Jura-Studium abgebrochen hat. Doch darf niemand verurteilt werden, weil er die Tat begangen haben könnte. Peter Witting sagt: "Nicht mein Mandant muss seine Unschuld beweisen, der Staatsanwalt muss ihm die Schuld nachweisen."

Und das fällt schwerer und schwerer. Die Blutflecken auf einem Geldschein, der nach der Tat bei Benedikt T. gefunden wurden? Können auf vielerlei Art dorthin gekommen sein. Das Blut auf seiner Hose? Kann er sich beim Auffinden der Leiche zugezogen haben. Der immer wieder ausbrechende Streit zwischen ihm und seiner Tante - ein Grund, sie zu ermorden?

Und dann ist da noch die Sache mit der DNS-Spur. Am Tatort wurde genetisches Material gefunden, das merkwürdigerweise identisch ist mit einer Spur aus dem Mordfall Ursula Herrmann, der seit 1981 auf Aufklärung wartet. Natürlich ist es möglich, dass sie durch eine Unachtsamkeit im Polizeilabor erst sehr viel später dorthin gekommen ist. Natürlich ist es möglich, dass der Verursacher der Spur nicht mehr ermittelt werden kann nach so langer Zeit. Aber sie einfach als "unerheblich" einzustufen, wie Kronester das getan hat - das widerspricht dem Prinzip "im Zweifel für den Angeklagten".

Und wenn es wirklich so war, wie die Anklage meint? Wenn Benedikt T. ein abgefeimter Schauspieler ist, der der Justiz, seiner Familie und der Öffentlichkeit seit zwei Jahren das Unschuldslamm vorspielt? Der nicht einmal davor zurückschreckt, in der Untersuchungshaft in Hungerstreik zu treten, seit bald zwei Wochen jetzt?

Selbstverständlich ist es richtig, dass Manfred Götzl, der Vorsitzende Richter, sich davon nicht beeindrucken lässt, sondern weiterverhandelt, solange Benedikt T. dazu in der Lage ist. Ob es jedoch gelingen wird, alle vernünftigen Zweifel an der Schuld des Angeklagten auszuräumen - die Voraussetzung für eine Verurteilung -, das kann ein Jahr nach Prozessbeginn, 70 Verhandlungstage später, niemand sagen.

© SZ vom 2.5.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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