Mircosoft startet Streetside:Auf zum virtuellen Spaziergang

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Nahezu unbemerkt hat Microsoft in der Region München seinen Panoramadienst Streetside in Betrieb genommen. Während der Konkurrent Street View von Google vor einem Jahr noch heftige Debatten auslöste, sind die Menschen mittlerweile begeistert von den virtuellen Stadtrundgängen.

Lisa Sonnabend und Beate Wild

Der vornehme Münchner Stadtteil Solln: Riesige Vorgärten mit üppigem Baumbestand umgeben die Häuser, auf den Straßen fahren vorwiegend große Limousinen, hin und wieder sieht man spielende Kinder.

Bing Maps Streetside: Ein Kamera-Auto fotografiert die Gegend. (Foto: picture alliance / dpa)

Doch wer die Melchiorstraße bei einem virtuellen Spaziergang auf dem dreidimensionalen Stadtplan Google Street View besucht, wird enttäuscht: Statt herrschaftlicher Villen sind nur graue Flächen zu sehen. Fast alle Häuser sind unkenntlich gemacht. Oder wie man auch sagt: verpixelt. Ein völlig anderes Bild ergibt sich bei Bing Streetside, dem an den Weihnachtsfeiertagen gestarteten Panoramadienst des Softwareherstellers Microsoft. Mächtige Steinbalkone, bunte Markisen, Kleidungsstücke, die von den Bewohnern zum Trocknen aufgehängt wurden - selbst das kleinste Detail bleibt bei Streetside nicht verborgen. Gepixelt worden ist hier fast nichts.

Als Google im November 2010 mit Street View startete, kochte hierzulande die Empörung hoch. Bürger fürchteten den Verlust ihrer Privatsphäre, Datenschützer riefen dazu auf, sich gegen die öffentliche Darstellung von privaten Fassaden zu Wehr zu setzen. Politiker stellten vorformulierte Widerspruchsschreiben auf ihren Internetseiten zur Verfügung, Hausbesitzer und Mieter hatten Angst vor Einbrüchen. Gut ein Jahr später mag sich keiner mehr so recht über das Abfilmen und Ins-Netz-stellen von Straßenzügen aufregen. Widersprachen bei Google Street View im Vorfeld noch 245 000 Deutsche der Darstellung im Internet, gingen bei Microsoft bislang nur 80 000 Einsprüche ein.

"Google hat hier Pionierarbeit geleistet", sagt Manfred Ilgenfritz vom Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht in Ansbach. Die Bürger hätten mittlerweile Erfahrungen mit Street View gesammelt und gemerkt, dass es in der Praxis bei weitem nicht so schlimm sei, wie vorab befürchtet. Thomas Baumgärtner, Sprecher von Microsoft Deutschland, merkt an: "Wir sind natürlich nicht bewusst nach Google gestartet." Aber im Nachhinein könne er sagen: "Google hat es uns ein Stück weit leichter gemacht."

Seit Mai sind auch für Microsoft Autos auf hiesigen Straßen unterwegs. Auf den Dächern sind - ähnlich wie bei Google - 360-Grad-Kameras befestigt, die die Fassaden der Häuser fotografieren. Gut 50 deutsche Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern sollen so erfasst werden. München ist es bereits, auch andere bayerische Städte wie Nürnberg, Fürth, Erlangen oder Augsburg. Microsofts Hauptkonkurrent Google Street View, der Ende 2010 in Deutschland online ging, hat nur die 20 größten Städte abgebildet. Auch das Münchner Umland ist bei Google nicht verzeichnet, bei Microsoft dagegen schon - zumindest in kleinen Teilen. In Starnberg kann man einen Blick auf den See ergattern, in Dachau den Volksfestplatz ansehen. Der Ammersee in Herrsching oder das Schloss von Dachau sind dagegen bislang nicht im Internet zu finden.

In München selbst können bei Streetside noch lange nicht alle Straßen im Zentrum virtuell abgelaufen werden. Vor allem im Innenstadtbereich erscheint statt Fassaden und Passanten oft nur eine blaue Fläche. In den Außenbezirken im Münchner Osten oder in Grünwald dagegen können sich Nutzer schon auf einen virtuellen Stadtspaziergang begeben. "Bei Fotos von belebten Innenstadtszenen sind mehr Datenmengen zu verarbeiten", erklärt Microsoft-Sprecher Baumgärtner. "Deswegen werden diese Bilder erst nach und nach auf der Online-Karte eingespielt." Es wird wohl noch ein paar Wochen dauern, bis auch das Münchner Rathaus, der Stachusbrunnen oder die Reichenbachbrücke zu sehen sind. Einige Straßen wie die Schelling- und Adalbertstraße an der Uni müssen sogar noch abfotografiert werden, auch die Fußgängerzonen fehlen noch. Microsoft hat den Vorteil, dass seine Bilder aktueller sind; doch Google plant, sein Kartenmaterial sukzessive zu aktualisieren.

Anders als vor einem Jahr hat der virtuelle Stadtspaziergang inzwischen offenbar mehr Fans als Skeptiker. Invielen Fällen erweist sich die Online-Karte als praktisch: beispielsweise um zu sehen, ob das Hotel, das man buchen will, an einer ruhigen oder lauten Straße liegt. Wer einen Umzug nach München plant, kann sich im Vorfeld informieren, welches Wohnviertel ihm mehr zusagt: Bogenhausen oder Hasenbergl. "Auch Rettungsdiente oder die Feuerwehr nutzen die Panoramakarten", sagt Datenschützer Ilgenfritz. "Bevor sie ausrücken, können sie sich so ein besseres Bild vom Einsatzort machen." Das Feedback aus der Bevölkerung sei inzwischen vor allem positiv, sagt auch Google-Sprecher Stefan Keuchel. Zahlreiche Rollstuhlfahrer hätten sich beispielsweise begeistert gezeigt. "Sie nutzen Street View, um herauszufinden, ob sie barrierefrei zu einer Behörde oder in ein Restaurant gelangen können."

Auch die Polizei hat keine Sicherheitsbedenken mehr. Seit Google Street View seien nicht mehr Einbrüche zu verzeichnen, sagt der Münchner Polizeipressesprecher Gottfried Schlicht. Derzeit registriere die Polizei zwar vermehrt Dämmerungseinbrüche, doch mit dem virtuellen Kartendienst habe das nichts zu tun. Dieses Phänomen trete jedes Jahr zwischen Oktober und März auf. "Als Street View an den Start ging, hatte sich das mit den steigenden Einbrüchen in der öffentlichen Meinung festgesetzt", sagt Schlicht. "Doch die Statistik bestätigt das nicht."

Wer sein Haus trotzdem verpixeln lassen möchte, hat bei Google und Microsoft auch jetzt noch die Möglichkeit dazu, Anleitungen finden sich auf den Webseiten der Unternehmen. Einsprüche trudelten aber kaum noch ein, heißt es bei Microsoft. Und Google-Sprecher Keuchel sagt: "Die Aufregung hat sich extrem gelegt."

Die Angst scheint verflogen zu sein. Inzwischen würde mancher seine Hausfassade sogar gerne wieder entpixeln lassen, berichtet Keuchel. Doch das ist nicht möglich, da der Konzern den deutschen Datenschützern zugesichert hatte, das Rohmaterial unkenntlich zu machen. Auch bei Microsoft funktioniere eine nachträgliche Entpixelung nicht mehr, sagt Sprecher Baumgärtner. Mittlerweile erscheine für Kriminelle ein unkenntlich gemachtes Haus beinahe schon als interessanter, sagt Datenschützer Ilgenfritz. "Es könnte ja der Eindruck entstehen, hier gebe es etwas zu verbergen."

© SZ vom 31.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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