Bisher saßen sie mehr oder weniger gelangweilt auf der Anklagebank, doch gestern schien ihr Interesse plötzlich geweckt: Die wegen des geplanten Bombenanschlags auf das Jüdische Zentrum angeklagten vier Neonazis drängten sich um den Richtertisch, um kein Wort zu verpassen.
Auch der bislang schweigsame Chef der "Kameradschaft Süd", Martin Wiese, begann Fragen zu stellen. Das unverhoffte Interesse galt dabei einem Mann und seinem Spezialgebiet: Sprengstoff und seine Wirkung.
Sprengstoff von polnischem Militär-Übungsgelände
Alexander Kraatz, Chemiker im Bayerischen Landeskriminalamt, war gestern als Gutachter geladen. Am Richtertisch breitete er seine Unterlagen aus und gab Auskunft über jedes Detail der unterschiedlichen Sprengmittel, die von der Polizei bei der Neonazi-Gruppe sichergestellt worden waren. Dabei handelt es sich um 12,2 Kilogramm "schwarz-braunes Material", das sich die Angeklagten aus Panzerminen von einem Militär-Übungsgelände in Polen beschafft hatten.
Dass es sich dabei nur um eine gipshaltige Bitumenmasse handelte, die nicht explosiv ist, entging ihnen damals. Als weitaus gefährlicher dagegen erwiesen sich 1242 Gramm eines Gemisches aus TNT und Hexogen, das aus einer Panzerfaust stammt. Nach Angaben von Kraatz handelt es sich dabei um "hochexplosive" Stoffe, mit denen Stahlpanzerungen mit einer Stärke von 30 bis 50 Zentimeter durchschlagen werden könnten.
"In einem solchen Raum gibt es kein Überleben"
Bei Sprengversuchen in einem geschlossenen Gebäude mit einem Kilogramm dieses Gemisches wurden enorme Zerstörungen erzielt. In dem Testhaus wurden die Wände herausgesprengt, der Boden eingedrückt und die Dachkonstruktion abgedeckt. "In einem solchen Raum gibt es kein Überleben", bestätigte der Gutachter auf Nachfrage
Neben den Sprengstoffen hatten die Neonazis auch noch Röhren mit Treibladungspulver gehortet, sowie eine scharfe Handgranate aus dem Bestand der Armeen des ehemaligen Warschauer Paktes (Splitterradius rund 30 Meter) und eine selbst gebastelte Rohrbombe, die aber noch nicht gefüllt war.
Es ginge auch ohne Zünder
Gutachter Kraatz betonte, dass die sichergestellten Sprengmittel grundsätzlich zum Bombenbau geeignet gewesen seien. Allerdings hätte es zur Auslösung der Detonation in jedem Fall eines Zünders bedurft, der nicht gefunden worden war. Unter Umständen hätte dafür aber auch die Zündvorrichtung der Handgranate ausgereicht.
Kraatz erinnerte in diesem Zusammenhang auch an das Attentat auf dem Oktoberfest 1980, bei dem 13 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt wurden. Der Neonazi Gundolf Köhler hatte damals eine mit 1,39 Kilogramm TNT gefüllte Mörsergranate verwendet.
(SZ vom 21.1.2005)