Leben in Furcht:Prostituierten-Beratung erreicht Illegale nicht

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Während die Zahl osteuropäischer Prostituierter rasant ansteigt, sind Hilfsorganisationen die Hände gebunden.

Anne Goebel

Wahrscheinlich könnten gerade die "Illegalen'' Unterstützung am nötigsten brauchen - sie kommt bei ihnen aber nur selten an: Frauen, die unerlaubt der Prostitution nachgehen, haben kaum Kontakt zu den Münchner Hilfsorganisationen.

"Diese Frauen können wir nicht aufsuchen'', sagt Carmen Jörg von der Beratungsstelle "Mimikry''. Denn: "Sie werden für uns erst sichtbar, wenn sie zu uns kommen.'' Und das sei selten der Fall.

Freizügigkeits-Regelung

Die Mitarbeiterinnen von Mimikry bemühen sich um Kontakte zu Prostituierten, "Streetworking'' ist Hauptbestandteil ihrer Arbeit - aber eben nur außerhalb des Sperrbezirks. Dabei geht es vor allem um Hilfe bei der Wohnungssuche, beim Ausstieg aus der Prostitution - und bei Migrantinnen um die Vermittlung von Sprachkursen.

Das gilt auch für osteuropäische Prostituierte, deren Zahl rasant gestiegen ist. Deren Zusammenhalt ist nach Jörgs Beobachtung mäßig. "Da kommt sehr schnell die Konkurrenz durch.''

Den jungen Frauen aus Tschechien, Ungarn, Polen oder der Slowakei ermöglicht, sofern sie freiberuflich tätig sind, die Freizügigkeits-Regelung innerhalb der EU ein Aufenthaltsrecht von fünf Jahren.

Lieber in der Fremde anschaffen als zuhause in Armut leben - dieses Motiv könnte hier naheliegen. Dass sich Frauen aus wirtschaftlich benachteiligten östlichen Nachbarstaaten öfter als ihre deutschen Kolleginnen unter Zwang prostituieren, kann Carmen Jörg aber nicht bestätigen. "Die Frauen, mit denen wir zu tun haben, sind in der Regel freiwillig hier. Sie sind selbstbewusst und wissen, worauf sie sich einlassen.''

"Sie leiden unter dem Lügengestrüpp"

Allenfalls hätten die jungen Tschechinnen oder Polinnen falsche Vorstellungen vom schnell verdienten Geld im Wunderland Deutschland. "Die Illusion zerbricht rasch an der Realität, wenn sie sehen, dass das erarbeitete Geld kaum zum Leben reicht.''

Und beileibe nicht die erträumte Summe heimgeschickt werden kann zur Familie. Carmen Jörg: "Viele Frauen haben Kinder, oft auch Eltern zu versorgen.'' Dass zuhause keiner eine Ahnung hat von ihrer wahren Tätigkeit, sei belastend für die Frauen: "Sie leiden unter dem Lügengestrüpp.''

Dass ein Leben in der Prostitution immer von Furcht begleitet ist, merkt man bei Mimikry auch, wenn der Kontakt zu Illegalen zumindest versucht wird. Einmal in der Woche, so Jörg, seien Mitarbeiterinnen am Hauptbahnhof unterwegs.

"Sie sprechen Frauen, die ihnen auffallen, an und gehen vorsichtig dazu über, ob es sich um Prostitution handeln könnte.'' Abgesehen von sprachlichen Barrieren eine schwierige Mission: "Die Frauen streiten es oft ab, weil sie Angst haben'' - in ihren Heimatländern gebe es "keine Sozialarbeit, die ihnen wohlgesonnen ist'', so Jörg. "Sie halten uns für Polizistinnen.''

Dabei täte Beratung not: Neben gesundheitlicher Aufklärung informiert Mimikry, wenn denn ein Dialog zustande kommt, die Frauen darüber, dass sie sich im Sperrbezirk befinden ("Das ist ihnen oft gar nicht bewusst'') und wo sie legal der Prostitution nachgehen können.

Und bei einem eingehenderen Gespräch in der Beratungsstelle würde es dann auch um die Frage gehen, "warum sie sich prostituieren. Denn wir wollen erreichen, dass eine Frau das nur macht, weil sie selbst es so entschieden hat''.

© SZ vom 13.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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