Tenor Villazón:"Die Mona Lisa war mir als Puzzle näher als im Louvre"

Lesezeit: 6 min

Am Montag tritt er in der Münchner Philharmonie auf: Rolando Villazón über Zwischenrufe aus dem Publikum, seine Rolle als Botschafter Mexikos - und warum er in Deutschland nicht lustig sein will.

Egbert Tholl

Es ist der Tag nach dem Tournee-Auftakt. Am Abend zuvor sang Rolando Villazón in der Berliner Philharmonie Lieder aus seiner Heimat, begleitet von den Bolívar Soloists - südamerikanischen Musikern, zu denen sich einige deutsche Kollegen gesellten - am heutigen Montag tritt er in München auf. Danach gab es ihm zu Ehren einen Empfang in der mexikanischen Botschaft. Dort malte Villazón ein Bild, stellte es "Ein Herz für Kinder" zur Verfügung und war so lebhaft und munter, wie man ihn kennt und wie er nun beim Gespräch in seinem Hotel ist. Dem Gesprächspartner empfiehlt er erst einmal ein Mittel gegen Kater: scharfe Hühnersuppe mit Zitronensaft.

Rolando Villazón tritt am Montag in München auf. (Foto: dpa)

SZ: Sind Ihre Landsleute immer so unverblümt wie gestern im Konzert, als sie johlten, sangen und klatschten und auch mal riefen, sie würden nichts hören?

Rolando Villazón: Ja, ja, aber es waren nicht nur meine Landsleute, da waren auch Deutsche darunter. Ich will das ja ohnehin nicht - versuchen, die Unterschiede zwischen Deutschen, Mexikanern oder wem auch immer zu beschreiben. Dann generalisiert man sofort und limitiert die Wahrnehmung der Menschen. Das mag ich nicht. Aber: Wir kommen von einer bestimmten Kultur und nehmen bestimmte Dinge dieser Kultur auf, Dinge, die in der jeweiligen Kultur völlig normal sind. Also kann man sagen: Ja, die meisten Mexikaner sind sehr expressiv.

SZ: Eine sehr dialektische Antwort.

Villazón: War die zu viel für Ihren Kater? Die nächsten Fragen werde ich mit Ja oder Nein beantworten.

SZ: Gut. Ist Ihnen ein so exaltiertes Publikum lieber als ein distinguiertes Opernpublikum?

Villazón: Nun, ein Opernpublikum kann auch sehr enthusiastisch und aktiv sein. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, so ein Publikum, eines, das reagiert, ist mir zehn Mal lieber. Ein Publikum, das während eines Stückes klatscht - ja, wir wissen, das sollte man nicht tun - zeigt, dass es etwas spürt und fühlt. Als ich den Kalaf in "Turandot" in Los Angeles sang, passierte es, dass mich das Publikum nach dem Lösen des ersten Rätsels anfeuerte: Yes, Kalaf, go for it! He made the first one!'' Mitten in der Nummer. Oper war so, früher. Vielleicht ist es nicht schlimm, dass wir etwas von dieser populären Interaktion verloren haben, aber wir dürfen die Oper auch nicht in eine Flasche stecken und aufbewahren. Als ich das erste Mal im Louvre war, wollte ich die Mona Lisa sehen, aber alles was ich sah, war eine Glaswand, die die Blitze der japanischen Fotoapparate reflektierte. Da dachte ich, wow, Mona Lisa war mir näher, als ich sie einmal als Puzzle zusammengesetzt habe.

SZ: Und deswegen nehmen Sie bei Ihrem mexikanischen Programm ein Mikrophon in die Hand und erzählen etwas über die Lieder?

Villazón: Dieses Programm erlaubt es mir, über verschiedene Dinge zu reden, über die Lieder, ihre Komponisten. Diese Freiheit ist wunderbar, wir können Dinge ändern, reagieren, es geht nicht darum: Das ist das Programm - und so bleibt es.

SZ: Letztlich sind Opernsänger auf der Bühne, in einem bestimmten Rahmen natürlich, doch immer Entertainer.

Villazón: Es stimmt, wir sind Entertainer. Es ist ein Teil dessen, was wir tun. Darüber hinaus dienen wir einer Sache, die viel größer ist als wir. Die Symphonien von Brahms sind bedeutender als Brahms, "Don Quichotte" ist bedeutender als Cervantes. Es ist ein Triumph der Kunst, dass jeder weiß, wer Sherlock Holmes ist, aber niemand Conan Doyle kennt. Natürlich leben wir in einer Zeit, die Namen herausstellt, und ich bin Teil dieses Phänomens. Das ist der Entertainer. In der Scala in Mailand hängt ein altes Plakat von einer Aufführung von "L'elisir d'amore". Der Name Donizettis steht groß darauf, die Namen der Sänger sind ganz klein, irgendwo weiter unten. Weil sie am nächsten Tag geändert werden können. Dann singt ein anderer.

SZ: Dennoch wäre die Berliner Philharmonie nicht voll, wenn nicht Sie diese hier weitgehend unbekannten Lieder sängen.

Villazón: Wenn Shakira ankündigen würde, sie sänge mexikanische Lieder, würde die Philharmonie nicht ausreichen. Aber im Bereich der klassischen Musik haben Sie wohl Recht. Das ist diese Doppelrolle: Natürlich spielt es eine Rolle, wer ich bin, aber gleichzeitig bin ich eine Art Reflektor, der Licht auf Dinge wirft, die es wert sind, dass man sich mit ihnen beschäftigt. Dieses Projekt ist genau so, wie ich es mit erträumt habe. Normalerweise spielt man diese Musik mit einem symphonischen Orchester, das klingt dann wie Musik aus einem Film, man benutzt Pop-Arrangements - aber ich wollte, dass diese Musik so klingt, wie sie klingen soll, und nicht nach Ravel.

SZ: Sind diese Lieder in Mexiko wirklich so populär? Hört man "Bésame mucho" dort als Handyklingelton?

Villazón: Vermutlich ja. Aber "Bésame mucho" ist überall auf der Welt sehr populär.

SZ: Stimmt. Schlechtes Beispiel.

Villazón: Ja. Äh, nein, natürlich nicht. Aber nehmen wir "Despedida", das erste Stück gestern. Kein Mensch in Mexiko kennt das. Oder "Besos robados", das Stück nur mit Klavier und Trompete: mein Lieblingslied - komplett unbekannt. Aber "Solamente una vez" kennt jeder. Diese Lieder sind Klassiker.

SZ: Bei "Besos robados", diesem wundervoll traurigen Lied, hatte man den Eindruck, Sie empfinden Ihre Rolle in dem Klassikbetrieb mit, die des Sängers, der zum Lustigsein verurteilt ist, weil ihn die Leute so lieben.

Villazón: Sie meinen, dieses Lied bin ich, nicht die Maske, die ich aufsetze, damit jeder den Tenor liebt? Sehen Sie, dieses Lied bin ich. Aber der lustige Typ bin ich schon auch. Wenn Sie nach Frankreich gehen, werden Sie feststellen, dass die Leute dort ein ganz anderes Bild von mir haben als in Deutschland. Ich glaube, es hängt mit der Sprache zusammen. Da ich nicht so gut Deutsch sprechen kann, habe ich mich dafür entschieden, den Clown den Bus fahren zu lassen. So fühle ich mich sicherer. Es ist eine Art und Weise, mich selbst, meine Gefühle zu beschützen. Bevor ich das Publikum langweile und wie ein Idiot wirke, weil ich meine Gedanken nicht so vermitteln kann, wie ich es will, führe ich meine Blödheit lieber vor. Aber einen solchen Transfer macht jeder, der auf der Bühne steht. Jede Reaktion, jeder Angriff, jede Bewunderung, die wir erhalten, zielt nicht auf unsere Person. Für das Publikum, für die Gesellschaft, ist es wichtig, dass es seine Gefühle loswerden werden kann. Gegenüber der Figur, nicht der Person. Um zum Beginn zurückzukehren: In Frankreich würden mich die Menschen mit "Besos robados" viel eher verbinden als mit, beispielsweise, "La Cucaracha".

SZ: Machen Sie deshalb Ihre erste Operninszenierung in Frankreich, im Januar "Werther" in Lyon?

Villazón: Ich dachte auch darüber nach, es in Berlin zu machen. Sehen Sie, niemand engagiert mich einfach so als Regisseur. Ich musste meine Idee von "Werther" erarbeiten, die ganze Inszenierung durchdenken von vorne bis hinten, und dann konnte ich anfangen, jemanden davon zu überzeugen. In Berlin war man interessiert, aber durch den Umzug der Staatsoper wurde es schwierig. Ich fing schon vor vier, fünf Jahren an, mich mit "Werther" so zu beschäftigen - und die Leute waren eher skeptisch. Meine Vorstellung, wie ich das Stück machen will, ist nicht sehr traditionell, ist sehr kompliziert. Es kommen Clowns darin vor. Sobald ich das jemanden sagte, stöhnte der nur. Aber Serge Dorny, der Intendant von Lyon, war sofort begeistert.

SZ: Nochmal zurück nach Mexiko. Wie kamen diese Lieder in Ihrer Heimat an? Vermisste man nicht den Operntenor?

Villazón: Ich bin in Mexiko weniger bekannt als in Deutschland. Das klingt vielleicht seltsam, aber so etwas passiert auch nur in Mexiko. Aber bei diesem Programm war das Interesse hoch; wir mussten in eine größere Halle umziehen, wir spielten vor 10.000 Menschen. Ich glaube, das Publikum mochte es. Natürlich gab es auch Stimmen von Hardcore-Opernfans, die sich darüber beklagten, dass ich nach vier Jahren wieder nach Mexiko komme und dann keine Oper singe. Aber viele sangen mit während des Konzerts, und außerdem musste ich dieses Programm jetzt einfach machen. Es war zwei Jahre lang geplant. Nicht um Geld damit zu verdienen; wenn man so denkt, wenn man nur auf die Meinung anderer achtet, dann wächst man als Künstler nicht und verkauft auch nichts.

SZ: Erscheint diese CD bewusst zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Mexikos?

Villazón: Ja, das war der Anlass, neben meinem Wunsch, diese Lieder zu machen.

SZ: Sind Sie nun Botschafter des Landes?

Villazón: Manche sagen das. Angesichts der vielen schrecklichen Nachrichten, die aus meinem Land kommen, ist es auch meine Aufgabe zu unterstreichen, wie großartig mein Land sein kann - ohne die schlimmen Dinge zu verheimlichen.

SZ: Momentan denkt man ja bei Mexiko eher an Drogenkrieg und den Zaun an der Grenze zu den USA.

Villazón: Ja, das existiert alles. Das ist die dunkle Seite Mexikos. Aber wenn Sie an Deutschland denken, denken Sie auch nicht nur an die Nazis. Unsere Wahrnehmung funktioniert so. Die schlechten Dinge bleiben haften, um die schönen kümmert sich kein Mensch. Und obwohl es natürlich wichtig ist, dass die schlechten Nachrichten bekannt werden, weil man vielleicht etwas dagegen unternehmen kann, aber gleichzeitig gibt es eine Gier danach. Wenn es da draußen schlecht ist, geht es einem selbst besser. Aber es muss Hoffnung auf Menschlichkeit geben.

© SZ vom 15.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: