Melody Gardot im Circus Krone:Sax in der Nacht

Lesezeit: 3 min

Erstaunlich, diese Klänge: Die junge Jazz-Diva Melody Gardot macht Musik, die man vermutlich nur machen kann, wenn man im Leben einmal völlig ausgebremst wurde.

Hans von der Hagen

Wenn da nicht der Stock wäre, könnte man sich diese Geschichte über den Tag im November 2003 auch mal schenken. Zu oft wurde sie schon erzählt. Doch Melody Gardot macht an diesem Abend im tadellos verkommenen Ambiente des Circus Krone ohne diesen Stock kaum einen Schritt.

Halt in der Musik und in der Dunkelheit: Melody Gardot. (Foto: AP)

Die Gehhilfe, ein altes italienisches Modell, ist dabei keineswegs eine Hommage an Dr. John, den großen alten Blues-Mann aus New Orleans, der seit Jahren die Bühnen nicht ohne seinen federgeschmückten Stab betritt. Sie ist auch kein naseweises Accessoire, mit dem Gardot um Aufmerksamkeit ringen müsste, selbst wenn sie an diesem Abend einen trotzigen Kontrast zu den unendlichen langen, unendlich spitzen Absätzen ihrer Schuhe bildet.

Der Stock hilft Gardot bei der Suche nach dem Gleichgewicht. Das wurde ihr vor sechs Jahren genommen, als sie von einem Jeep Cherokee, einem dieser Trutzburgen auf Rädern, überrollt wurde und ein ganzes Jahr um Wiederherstellung rang.

In dieser Zeit im Bett lernte sie etwas, was sie vorher nicht zu können glaubte: Musik erfinden. Improvisieren. Komponieren. Ihre erste Platte hieß Some Lessons: The Bedroom Sessions. Das ist wörtlich gemeint.

Gardot, die zuvor allenfalls für eine Handvoll Dollar im Nebenerwerb musikalische Fremdware am Barklavier darbot und die nach dem Unfall nicht einmal mehr ihre Muttersprache beherrschte, hatte plötzlich etwas zu sagen.

Weil das so ist, verbieten sich auch die oft bemühten Vergleiche mit den Norah Jones', Diana Kralls und Madeleine Peyrouxs dieser Welt. Gardot hat ihre eigene Sprache. Erst recht live auf der Bühne, wenn sie das von ihr Gewohnte sorgfältig zerstört, um es umso verführerischer wieder aufzubauen.

Der Beginn des Konzerts ist musikalisches Tohuwabohu, Gardot beugt sich über den Korpus ihres Steinway-Flügels und wühlt in seinem Innenleben, dazu sirenengleiches Geheul, Bass, Querflöte, Sax und Getrommel im Hintergrund der nachtschwarzen Bühne.

Fast fünf Minuten hardbopt es vor sich hin, bevor Gardot in The Rain reinrutscht, einen Song, der aufreizend leblos auf der Stelle tritt, der zu einem ebenso endlosen wie aufregenden Vorspiel gerät, das sich, ohne je auch nur in die Nähe des Höhepunkts zu kommen, wieder im Nichts auflöst. In diesem Vakuum haben die sonst so wollüstigen Harmonien von Your Heart is as Black as Night keine Chance: Dieses Lied verspielt Gardot.

Doch hernach setzt eine pulsierende Spannung ein, die bis zum Ende des Konzerts nicht mehr verlischt, selbst dann nicht, wenn Gardot zuweilen verstörend mit der Langsamkeit spielt. Bei ihren musikalischen Dehnarbeiten helfen ihr die Musiker mit geradezu extravagantem Können. Charnett Moffett, der mit seinem eigens für ihn angefertigten akustischen Baby Bass einen einzigen Klangkörper bildet, Irwin Hall, der mühelos zwei Saxophone gleichzeitig spielt, Chuck Stabb, der am Schlagzeug angesichts der sorgfältig kontrollierten Gesamtlautstärke die Beherrschung wahren muss, und Stephan Braun am Cello, an dem sich noch nicht einmal Gardot satthören kann.

Die Band hält sich dabei überwiegend in den weniger adstringierenden Harmonien des Jazz auf, wildert aber auch in Spielarten des Rock, holt sich verstohlen Hilfe bei Bach, spielt mit Bossa-Nova-Rhythmik und streift auch noch die Gypsy-Tonleitern.

Das macht das Konzert ungewöhnlich und aufregend, selbst wenn die Tempelwächter des Jazz zuweilen verstört mit dem Kopf wackeln.

Und dann ist da noch Bertil Mark, der Lichtmeister. Er verwandelt die Musiker in Schatten der Nacht, die mal auf dem Flügel zu tanzen scheinen, mal im Schwarzlicht fluoreszieren, mal im einsamen Rot lodern. Wenn dann Gardot auch noch im Dunkel mit dreibeiniger Silhouette umherstöckelt, bekommt die Show etwas Halluzinierendes.

Nie wird es hell auf der Bühne, selbst dann nicht, wenn die beiden eigenwilligen Designlampen am Rand der Bühne vor sich hin leuchten: Sie strahlen nur in sich hinein. Mit ihnen verwandelt sich die Bühne ist ein Fotostudio, in dem laufend die Bilder der Nacht produziert werden. Vielleicht ist das die größte Kunst der Gardot, die sich vor ihrem Unfall zuerst als Malerin und dann als Musikerin gesehen hatte: die Inszenierung.

Sie selbst gibt sich darin seltsam vamphaft, mit ihrem langen geschlitzen Kleid, der den Verletzungen geschuldeten Sonnenbrille, den alles verdeckenden blonden Haaren und dem betont lasziven Sprech, mit dem sie sich wiederholt ans Publikum wendet.

Doch wenn sie sich vor dem Flügel hinter einem Berg von Haaren gleichsam verknotet, verliert sie diese Vamphaftigkeit, wärmt ihre Stimme an und macht wieder diese Musik, die man nur machen kann, wenn man im Leben einmal völlig ausgebremst wurde. Ihr Stock ist dabei lässig an den Steinway gelehnt. Die Tasten geben genug Balance.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: