Kurzkritik:Kein lautes Wort

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"Prinz von Homburg" bei "Radikal jung"

Von Egbert Tholl, München

Im "Tierreich", der Quatsch-Aufführung vom Schauspiel Leipzig, die am Sonntag bei "Radikal jung" im Volkstheater zu sehen war, probt eine Schultheatergruppe Heinrich von Kleists "Prinz von Homburg". Einer der Schauspieler sitzt im Rollstuhl. Der, der den Homburg spielt. Aber der, der da im Rollstuhl sitzt, spielt nur Bewegungslosigkeit. Nun sitzt wieder ein Homburg im Rollstuhl. Aber erstens nimmt die "Prinz von Homburg"-Inszenierung von Juliane Kann Kleist sehr ernst und benutzt ihn nicht als Vehikel für wenig zielführende Albernheit, und zweitens kann der Homburg hier gar nicht anders. Ihn spielt Samuel Koch, und Koch ist querschnittsgelähmt. Millionen Menschen haben den Grund dafür gesehen: den Unfall in der "Wetten dass"-Show.

Ist es Koinzidenz oder eine Hommage, was die Leipziger da machen? Die Beantwortung der Frage bringt wahrscheinlich wenig. Interessanter ist das, was das Staatstheater Darmstadt versucht, in dem es Schauspieler wie Samuel Koch fest engagiert. Das Haus versteht ihn einfach als Schauspieler. Der sich halt nicht so bewegen kann wie andere. Man mag das "Inklusion" nennen. Vielleicht sollte man aber besser das Ostentative dieses Begriffs vergessen und sich der Möglichkeit annähern, im Engagement Kochs etwas ganz Normales und keinerlei Sensation zu sehen.

Samuel Koch ist ein toller Schauspieler, dessen Gesicht faszinieren und dessen schöne, wohlklingende Stimme betören kann. Wie geschaffen ist diese Stimme für Kleists rhetorische Volten, die sich im "Homburg" bei aller Ernsthaftigkeit auch langsam Richtung Lustspiel bewegen. Diese Bewegung mag Juliana Kann fasziniert haben; jedenfalls zoomt sich ein projizierter Bühnenprospekt langsam durch einen höfischen Garten, und in der lieblichen Wohlgefälligkeit, mit der hier alle sprechen, fällt kaum ein lautes Wort. Irgendwie erwacht die Aufführung nie aus dem Tagtraum, in dem sich Homburg zu Beginn befindet. Da mag vieles klug gedacht sein - die Gesellschaft um den Kurfürsten herum ist in ihrer Überständigkeit gezeichnet als verstaubte Statuen, Homburg steht mit glänzendem Gesicht für einen goldenen Morgen des Neuen. Hübsch, doch geht hier alles bemerkenswert undringlich vonstatten. Krieg? Schlaf!

© SZ vom 24.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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