Kritik:Sehnsucht nach Freiheit

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Premierenbesetzung: (v. l.) Ekaterina Godovanets (Roxane), David Yim (Hirte) und Kay Stierfermann (Roger). (Foto: Ludwig Olah)

Die Oper "Król Roger" von Karol Szymanowski in Nürnberg

Von Klaus Kalchschmid, Nürnberg

So spannend wie die Premiere kann also auch eine Folgevorstellung sein: Eine Stunde vor dem offiziellen Beginn der dritten Aufführung von Karol Szymanowskis selten gespielter Oper "Król Roger" in Nürnberg um 19 Uhr war der prominente Ersatz für Ekaterina Godovanets (die zwar spielen, aber krankheitsbedingt nicht singen konnte) gerade am Flughafen Zürich gestartet. Kurz nach acht, als das stumme Spiel einer schwarz gekleideten Trauergemeinde auf der Bühne schon begonnen hatte, stellte sich Olga Pasichnyk vor ihr Notenpult in der rechten Proszeniumsloge, nahm noch einen Schluck Wasser - und es konnte losgehen.

Die Doppelung der Roxane, Gattin des sizilianischen König Roger, die beide - sie enthusiastisch, er eher widerstrebend - einem geheimnisvollen Hirten verfallen, der sich als Anhänger des Dionysos entpuppt, irritierte kaum mehr bei der höchst rätselhaften Inszenierung von Lorenzo Fioroni im nicht minder assoziativen, vieldeutigen Bühnenbild von Paul Zoller. Denn Flüchtlingsdramen im Mittelmeer von heute überblendeten die schwülstige Handlung und ihre nicht minder schillernde Musik samt ihrer Einflüsse zwischen orthodoxem Kult und orientalischer Prägung.

Die faszinierende (Einheits-)Bühne bildet das Deck eines surreales Schiffs, dessen Planken aussehen wie vulkanische Erde, die durch Trockenheit aufgerissen ist, bemalt mit der Andeutung eines alten Gemäldes. Zwischen den drei Akten in pausenlosen 80 Minuten werden Tagebuchnotizen verschiedenster Emigranten auf den Vorhang projiziert. Der Hirte, der den Sehnsüchten der Menschen nach Freiheit eine Stimme gibt, stellt ihnen auch die Pässe für die Überfahrt aus. David Yim spielt ihn als einen hippen Typen von heute in Militärhose, Kapuzenshirt und bedrucktem T-Shirt, singt ihn darüberhinaus mit leuchtendem, verführerischem Tenor.

Am Ende erklimmt der fast nackte Roger (ungeheuer intensiv und stimmgewaltig: Mikolaj Zalasinski), der gerade seine tote Frau hereingetragen hatte und vor den Trümmern seines Reiches steht, einen der umgeknickten Lichtmasten und betet die Sonne an, während Edrisi, sein Berater und arabischer Gelehrter (Hans Kittelmann) sich mit Flügeln aus Pappe ins Meer stürzt. Hat Roger wirklich in diesem Augenblick erneut zu sich selber gefunden?

Fragen über Fragen am Ende dieses Abends in polnischer Originalsprache, den Jacek Kaspszyk mit der Staatsphilharmonie Nürnberg immer wieder gewaltig aufrauschen lässt und dabei manchmal die klangliche Raffinesse der Partitur der Lautstärke unterordnet. Wie gut, dass Olga Pasichnyk sich ohne jede Verständigungsprobe mit dem Dirigenten behaupten konnte. Aber da half wohl, dass die beiden "Król Roger" schon in Warschau zusammen gemachten. Ein Live-Mitschnitt von 2014 zeugt davon.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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