Kriminelle Karrieren:Schulsystem verstärkt Jugendgewalt

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Studie zur Jugendgewalt: Christian Pfeiffer sieht mangelnde Bildungschancen von Migranten als Hauptursache für kriminelle Karrieren.

Christian Rost

Ausgerechnet München, das in Sachen Sicherheit als deutsche Vorzeigestadt gilt, schneidet in der Studie des renommierte Kriminologen Christian Pfeiffer zur Jugendgewalt am schlechtesten ab. Der zeigt in seiner Analyse auf, dass die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen in der bayerischen Landeshauptstadt weiter relativ hoch ist, während in anderen deutschen Städten wie Hannover ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen ist.

Ausschlaggebend für die Entwicklung sei insbesondere die Situation der jungen Migranten in den Städten. Wenn die Jugendlichen kaum integriert seien und nur über unzureichende Bildungschancen verfügten, tauchten sie weit öfter in der Kriminalitätsstatistik der Polizei auf - wie in München.

"Bei jungen Türken ist die Mehrfachtäterquote in München seit 1998 von sechs auf zwölf Prozent gestiegen", führt Pfeiffer aus, und die Zahl der Gewaltopfer unter Neuntklässlern habe sich von 18,5 auf 19 Prozent erhöht. Die Zahlen beruhen auf einer Umfrage unter jeweils 2000 Schülern in mehreren deutschen Städten. In Hannover, wo die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen um ein Viertel abgenommen hat, klappt laut Pfeiffer die schulische Integration besser: Anders als in Bayern, wo die Eltern der Schulempfehlung der Grundschule folgen müssen, sind in Niedersachsen "die zweifelhaften Empfehlungen" nicht bindend.

Auch deswegen hat der Anteil türkischer Jugendlicher an Gymnasien in Hannover seit 1998 zugenommen - und in München abgenommen. Hier besuchen unterdessen mehr als 60 Prozent der Schüler türkischer Abstammung die Hauptschule und nur neun Prozent ein Gymnasium. An den Hauptschulen schaffen dann 17 Prozent der Jugendlichen überhaupt keinen Abschluss mehr. Diese Schulart mit ihrer fehlenden Perspektive für Jugendliche habe sich zu einem "Verstärkungsfaktor" der Jugendgewalt entwickelt, stellt Pfeiffer fest und spricht damit den Kritikern des bayerischen Bildungssystems aus dem Herzen.

Als Präventivmaßnahme gegen Jugendgewalt schlägt Pfeiffer den Ausbau der Ganztagsschulangebote vor. Die bessere Förderung an langen Schultagen, die insbesondere Kindern aus sozial schwachen Familien zugute kommt, fordern nicht nur Lehrer- und Elternverbände seit langem. Vor Jahren hatten auch schon die Kriminologen der Bayerischen Polizei Ganztagsschulen als probates Mittel gegen kriminelle Karrieren angeregt.

In einer Langzeitstudie des Landeskriminalamtes zur Entwicklung der Jugendkriminalität in den Jahren 1988 bis 2000 heißt es: "Der Ausbau von Ganztagesangeboten für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen ist dringend erforderlich. Nicht nur um die mangelnde oder nicht vorhandene Unterstützung in den Familien wenigstens teilweise auszugleichen, sondern auch um mehr auf den Sozialisationsprozess im Kindes- und Jugendalter Einfluss nehmen zu können."

Ganztagsangebote an den staatlichen Schulen in Bayern sind bislang aber die Ausnahme. Erst vom neuen Schuljahr an sollen an 21 der insgesamt 44 Münchner Hauptschulen Ganztagszüge eingerichtet werden. An den staatlichen Grundschulen ist eine angekündigte Ganztagsoffensive ins Stocken geraten, und an den Gymnasien ist kein umfassender Ausbau der Angebote geplant. Einen größeren Stellenwert haben Ganztagsmodelle im rot-grün regierten München. Entsprechende Angebote gibt es an den 20 städtischen Realschulen und 14 Gymnasien. Zwei Gymnasien wurden komplett auf Ganztagsbetrieb umgestellt.

© SZ vom 24.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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