Kostenlose Krankenbehandlung:Sprechstunde für Patienten ohne Versicherung

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Untersuchung und Erstversorgung: Bei "Open Med", einer Einrichtung der "Ärzte der Welt", werden Patienten behandelt, die keinen gesetzlichen Versicherungsschutz genießen.

Tanja Tricarico und Wolf Schmidt

Marija Milisic zögert. Ängstlich schaut die Frau, die darum bat, ihren Namen in der Zeitung zu ändern, durch das Fenster in der Eingangstür des Cafés, ihre Handtasche hält sie mit beiden Händen vor der Brust fest.

Die Ausrüstung bei "Open Med" reicht für eine erste Diagnose. (Foto: Foto: Pixelio)

Zweimal ist sie schon am Schaufenster vorbeigegangen. Bevor sie es sich anders überlegen kann, wird ihr geöffnet. "Wollen Sie zu einem Arzt?", fragt eine Mitarbeiterin von "Open Med". Milisic nickt nur.

Die Kroatin hält sich den Bauch, offenbar hat sie starke Schmerzen. Zu einem normalen Arzt kann sie aber nicht gehen. Der Grund: Sie ist nicht kranken-versichert, und aus eigener Tasche kann sie eine Untersuchung nicht bezahlen.

Deshalb ist sie an diesem Dienstagabend hier, wo man ihr auch ohne Kassen-karte und Bargeld hilft. Milisic setzt sich auf einen Holzstuhl, bekommt eine Tasse Tee gereicht und wartet, bis sie ins Untersuchungszimmer hinter der kleinen Teeküche gerufen wird.

"Wir sind natürlich kein Krankenhaus mit Totalversorgung", sagt Barbara Theml. "Aber die erste Not lindern können wir schon. Und dann schauen wir, wie es weitergeht." Theml ist eine von 15 Ärztinnen und Ärzten, die ehrenamtlich bei "Open Med" arbeiten, einer Einrichtung der Organisation "Ärzte der Welt".

Behandlung - anonym und kostenlos

Zweimal in der Woche bieten sie für drei Stunden im "Café 104" nahe dem Sendlinger Tor eine Sprechstunde an, zu der jeder kommen kann, der nicht krankenversichert ist. "Warum das so ist, interessiert mich nicht so sehr", sagt die pensionierte Ärztin Theml. Genauso wenig interessiert es sie, ob die Patienten ihren richtigen Namen angeben. "Wegen mir können sie auch sagen, dass sie Ixypsilon heißen", sagt die 68-Jährige.

Ursprünglich wollte Theml, nachdem sie ihre Praxis in Warngau aufgegeben hatte, in den Entwicklungs-dienst gehen, hat sich dann aber doch dagegen entschieden. "Jetzt mache ich irgendwie auch Entwicklungshilfe - aber eben zu Hause."

Das Untersuchungszimmer von Theml und ihren Kollegen ist schlicht. Auf engen 15 Quadratmetern haben die Liege, ein kleiner Tisch und der Medikamentenschrank gerade Platz. Die Ausrüstung reicht für eine erste Diagnose: Stethoskop, Reflexhämmerchen, Blutdruckmessgerät, Stirnlampe. Für akute Beschwerden können die Ärzte Schmerztabletten, Antibiotika oder Asthmamittel ausgeben, mit Apotheken und Laboren bestehen Kooperationen.

Oft werden die Patienten nach der ersten Untersuchung weitervermittelt an ein Netzwerk aus etwa 20 Münchner Fachärzten, die manchmal in der Mittagspause oder am Abend einen der Versicherungslosen versorgen.

So auch bei Marija Milisic. Nach der Untersuchung geben die "Open Med"-Ärzte ihr heute Schmerzmittel gegen ihre Bauchschmerzen auf den Weg. Und die Adresse eines Internisten, der sie in den kommenden Tagen gründlich untersuchen wird. Ebenfalls kostenlos.

Günstiger Kassen-Basistarif erst ab 2009

Milisic ist ein typischer Fall. Von den mehr als 100 Menschen, die in den ersten neun Monaten seit Bestehen von "Open Med" zur Behandlung gekommen sind, stammt die Hälfte aus Osteuropa. Die meisten sind Frauen. Sie putzen in Firmen, pflegen alte Menschen oder helfen in Privathaushalten aus. Als Selbständige müssen sie selbst für ihre Krankenversicherung aufkommen. Doch häufig können sie sich von ihren Löhnen die Privatversicherung nicht leisten.

Doch nicht nur Migranten kommen zu "Open Med". Etwa jeder zehnte Patient ist Deutscher. Eine davon nennen wir Herta Schneider, 57; ihr ist der Alkohol zum Verhängnis geworden. Weil sie 4000 Euro Schulden bei ihrer Krankenkasse hat, wird ihr im Herbst vergangenen Jahres gekündigt, sie verliert den Versicherungs-schutz. Im Februar bekommt sie Polyneuropathie, eine Nervenkrankheit, die durch Alkoholmissbrauch ausgelöst werden kann.

Sie kann nicht mehr gehen, ihre Hände werden taub. Über Bekannte erfährt Schneider von "Open Med" und wird schließlich von Barbara Theml behandelt. In ihrem Fall macht die Ärztin eine Ausnahme und besucht sie sogar zu Hause. Danach vermittelt sie Schneider an eine Neurologin weiter.

"Das war fünf vor zwölf", sagt Schneider im Rückblick. Sie hatte doppeltes Glück: Seit drei Monaten ist sie trocken und mittlerweile auch wieder versichert. Wegen der Gesundheitsreform, die zum April in Kraft trat, musste ihre alte gesetzliche Krankenkasse sie wieder aufnehmen. "Das ist das erste Mal, dass mir ein Gesetz etwas bringt", sagt sie.

Dass die Gesundheitsreform etwas gebracht hat, merken auch die Mitarbeiter von "Open Med". Doch von heute auf morgen verschwinden Probleme selten: Bundesweit sind nach ersten Zahlen bisher nur wenige Tausend der nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums rund 300 000 Versicherungslosen in die gesetzliche Krankenversicherung zurückgekehrt.

Bei den privaten Kassen besteht erst seit dem 1. Juli ein Rückkehrrecht, danach dauert es noch bis 2009, bis diese einen günstigen Basistarif anbieten müssen - und für alle Bürger eine Versicherungspflicht besteht. Bis dahin werden noch einige Menschen durch die Maschen des sozialen Netzes rutschen. "So lange wir gebraucht werden, machen wir weiter unsere Arbeit", sagt Ärztin Theml.

Zumindest eine Gruppe wird auch nach 2009 mit Sicherheit noch auf Einrichtungen wie "Open Med" angewiesen sein: Menschen ohne Aufenthalts-recht. So wie Manuela Rodriguez (Name geändert), die an diesem Dienstag-abend in die Sprechstunde kommt.

Die 53-jährige Ecuadorianerin ist seit vier Jahren in München untergetaucht und putzt schwarz Wohnungen und Büros. Sie plagen Schlafbeschwerden und Knieschmerzen, wie eine Studentin, die Rodriguez mitgebracht hat, übersetzt.

Ärztin Theml tastet den Bauch ab, misst den Blutdruck, horcht Rodriguez ab, checkt sie einmal gründlich durch. "Außer etwas Übergewicht scheint sie nichts Schlimmeres zu haben", sagt Theml nach der Untersuchung. "Aber es ist ja auch gut zu wissen, dass man sich keine allzu großen Sorgen machen muss."

Wegen der Knieschmerzen wird Barbara Theml einen Orthopäden anrufen. Vielleicht lässt dieser sich ja überzeugen, Rodriguez umsonst zu behandeln. Ansonsten wird "Open Med" die Kosten übernehmen.

(SZ vom 24.7.2007)

© Die Behandlungsräume von "Open Med" befinden sich in der Augsburgerstraße 13. Dort betreibt der Bayerische Flüchtlingsrat das "Café 104". Sprechzeiten sind dienstags von 17-20 Uhr und freitags von 10-13 Uhr. Eine Hotline ist täglich unter 0160-95921817 zu erreichen. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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