Kabarettisten aus der Region:Ratschereien und andere Inspirationsquellen

Lesezeit: 4 min

Alles Überacker, oder: Ein echtes Leben in einem echten Dorf mit echten sozialen Kontakten

Martina Schwarzmann

Vielleicht liegt es an den glücklichen Hühnern. Vielleicht ist es auch nur die Landluft, die lustig macht. Kurz: Das Münchner Umland ist ein guter Boden für Kabarettisten.

Michael Mittermeier ist im Landkreis Erding aufgewachsen, Monika Gruber wohnt noch immer dort. Jess Jochimsen hat seine ersten Witze im Gymnasium Vaterstetten erzählt, und auch Alexander Liegl hat seine Bühnenkarriere im Landkreis Ebersberg gestartet. Was macht ein Kabarettist da draußen? Und was macht das Landleben mit dem Kabarettisten? Wir haben nachgefragt, bei Martina Schwarzmann aus Überacker im Landkreis Fürstenfeldbruck.

Glück g'habt!

Oft werde ich nach der Vorstellung gefragt: ,,Gibt es dieses Überacker wirklich?'' Ja, Überacker gibt's. ,,Und da wohnen Sie noch?'' Was heißt da: noch? Wo sollt' ich denn sonst wohnen? ,,Würden Sie nicht lieber in der Stadt wohnen, wo mehr geboten ist? München oder Berlin?'' Nein auf keinen Fall, das kann für andere das Richtige sein, aber ich gehör' da nicht hin, weil ich ein echtes Leben führen möchte, in einem echten Dorf mit echten sozialen Kontakten.

Und das ist das Schöne an Überacker: Wenn ich jemanden zum Ratschen such', dann fahr' ich einfach eine Runde mit'm Radl um'd Ortschaft und da treff' ich dann schon jemanden - und man muss sich da nix dabei denken, die kennen mich ja alle.

Ich glaub' auch, dass man ein interessanteres und vielfältigeres Umfeld hat am Land. In der Stadt, wo mehr Menschen leben, kann man sich eher mit Gleichgesinnten treffen. Am Land muss man halt mit denen auskommen, die da sind. Das, glaub' ich, lässt einen toleranter werden. Und man kann auch voneinander profitieren - egal, was man braucht: Irgendeinen kennt ma' schon, der sich damit auskennt. Außerdem fühl' ich mich sehr inspiriert vom Leben der anderen, und es macht mir auch Spaß, die ganzen Ratscherei'n mitzukriegen.

Ein anderes beliebtes Argument, um mich in die Stadt zu locken: ,,Was willst'n da in Überacker, da is doch nix los!'' Ja muss denn immer was los sein?

Ist es nicht schön, einfach mal seine Ruhe zu haben - und wenn's einen stört, dass nix los is, dann muss man halt mal was machen, damit was los ist! Wir haben einen großen Sportverein mit den verschiedensten Abteilungen, wo viele Ehrenamtliche dafür sorgen, dass was geboten ist. Dann gibt's einen Schützen- und einen Theaterverein.

Ganz wichtig auch der für's Gartenfest und Maibaumaufstellen zuständige Burschenverein - und ich mach' zusammen mit der Gemeinde jedes Jahr den Kabarettherbst, da is scho' was los.

Außerdem bin ich in 35 Minuten mit dem Auto in München, solange sucht der Haidhauser durchschnittlich einen Parkplatz.

Die Rentner haben bei uns auch genug Unterhaltung, da immer irgendwo was gebaut wird, was von der erfahrenen Generation genauestens beaufsichtigt werden muss, damit da nix schief läuft. Unsere Jugendlichen überlegen sich halsbrecherische Aktionen, die sie mal im Fernseher gesehen haben und machen so was dann nach, zum Beispiel Fallschirmfliegen mit einem ans Auto gebundenen Fallschirm oder Schlittenfahren mit zehn aneinander gehängten Schlitten, die an einen Traktor gebunden sind.

Bis zum Krankenhausbesuch

Solche Aktionen dauern immer so lang, bis der erste ins Krankenhaus muss und dann ist der Erlebnisdrang mal wieder für ein paar Wochen gestillt, die Alten haben dann wieder was zu schimpfen, dass die Jungen immer dappiger werden, um im selben Atemzug und mit einem Glänzen in den Augen zu erzählen, was sie in ihrer Jugend so alles getrieben haben.

Den Kindern ist es auch nicht langweilig. Die treiben sich bei den Bauern 'rum und beschäftigen sich mit den Tieren oder fahr'n auf'm Bulldog mit, außerdem gehen einige von ihnen Schwarzfischen. Ich war als Kind einmal beim Schwarzfischen und wir sind sofort erwischt worden, seitdem schau' ich, dass ich keinen Ärger mehr mit der Polizei bekomme.

Es is' auch nicht schlecht, gleich in jungen Jahren schon mit den Regeln der Erwachsenen in Kontakt zu kommen, und wir wurden vom ganzen Ort beaufsichtigt, da hatten wir (ich war fünf) den einzigen Kaugummiautomaten noch gar nicht ganz aufgebrannt mit'm Feuerzeug, da hat die Nachbarin schon gerufen: ,,Ihr Sau-stier', ihr greislig'n, I ruaf d'Polizei o, de sperrt eich olle ei, ihr Hundsgrippen, ihr varecktn!'' Wir haben das geglaubt, was uns sicher für unsere weitere Entwicklung nicht geschadet hat, denn wenn wir gewusst hätten, dass wir mit fünf Jahren noch nicht strafmündig sind, dann hätten wir noch ganz andere Sachen gemacht.

Näher an der Realität

Ich hab' auch als Betreuerin bei Ferienfreizeiten immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Kinder vom Land einfach näher an der Realität sind, da kriegt man schon als Kind das Leben und Sterben mit, weil es einfach näher ist und weil es persönlicher ist. Und es ist eine wichtige Erfahrung als Kind zu merken, dass der erste eigene Hase gar nicht mehr so gut schmeckt wie die fremden vorher.

Ein weiteres Argument ist: Ich fühl' mich sicher in Überacker. Ich hab keine Angst vor Gammelfleisch, ich kenn' den Metzger ja, außerdem hab ich keine Angst vor Terroranschlägen. Erdbeben, Überschwemmungen und Vulkanausbrüche gibt's auch nicht. Ich würd' sagen, wer in Überacker wohnt, der hat noch mal richtig Glück gehabt!

Ich weiß das zu schätzen, weil ich in ganz Deutschland auf Tour bin. Und auch wenn ich die aus'm Bayrischen Wald um ihre Immobilienpreise beneide, oder wenn ich im Regionalexpress durch's Ruhrgebiet fahre mit unzähligen bedrohlichen Gestalten an Bord, von denen ich keinem im Dunklen begegnen möchte, oder wenn sie in Teilen Bayerns in Grenznähe bald die Kindergärten in Seniorenheime umfunktionieren müssen, weil ihnen die Jungen alle abwandern, weil's daheim keine Arbeit gibt, dann bin ich heilfroh, in Überacker geboren zu sein: Glück g'habt.

Und in die Stadt kriegt ihr mich nie! Ich will die Jahreszeit anhand der Natur erkennen und nicht an der Kaufhausmusik.

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