Jugendkriminalität:"Die Integration funktioniert nicht"

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Die Zahl jugendlicher Straftäter insgesamt ist gestiegen, vor allem aber der Anteil ausländischer Jugendlicher. Wiebke Steffen, beim LKA Leiterin des Dezernats Forschung, Statistik und Prävention, erklärt, warum.

Von Bernd Kastner

SZ: Sind Jugendliche heute krimineller als früher?

Steffen: Die Jugendkriminalität ist in ganz Bayern in den 90er Jahren stark gestiegen, wir hatten ein Plus von 50 Prozent. Seit 2000 stagniert sie auf diesem hohen Niveau. Bei den Kindern haben wir dasselbe Phänomen, da haben sich die Zahlen sogar verdoppelt. Nach absoluten Zahlen ist vor allem die Rate der auffälligen deutschen Jugendlichen stark gestiegen, aber: Jeder fünfte Verdächtige hat keinen deutschen Pass. Und während 2003 ¸¸nur" rund 5,5 Prozent der deutschen Jugendlichen von der Polizei registriert wurden, waren es bei den Nicht-Deutschen knapp zehn Prozent. Ausländische Jugendliche bleiben unsere größten Sorgenkinder.

SZ: Gibt es darunter besonders auffällige Gruppen?

Steffen: Vor allem die türkischen Jungen. Wenn wir Kriminalität als Hinweis auf dahinterliegende Probleme verstehen, dann heißt das: Die Integration funktioniert nicht. Denn diese Jugendlichen sind überwiegend bei uns geboren und aufgewachsen. Sie haben aber nach wie vor die schlechteren Schulabschlüsse, schlechtere Chancen auf Lehrstellen und so weiter. Die Perspektiven fehlen.

SZ: Was macht gerade junge Türken so anfällig für Kriminalität?

Steffen: Es dürfte an den Bedingungen des Aufwachsens liegen. Da ist die berühmte Macho- und Ehre-Kultur, ein Junge muss hinlangen können. Offenbar wird in türkischen Familien auch noch häufiger geschlagen als in deutschen. Das ist nicht gerade hilfreich, um selbst ein friedfertiger Mensch zu werden.

SZ: Offenbar machen nur die jungen Leute Probleme.

Steffen: Das Phänomen kennen wir aus allen Zuwanderungsländern: Die erste Generation ist strafrechtlich unauffällig, will vor allem Geld verdienen und schnell wieder zurück in das Heimatland. Dann bleiben sie doch, und die zweite und dritte Generation muss in zwei Welten leben: Zu Hause in der Heimatkultur, draußen müssen sie mit der deutschen zurecht kommen. Das schafft Konflikte.

SZ: Die U-Bahn-Schläger waren zu acht. Ist das typisch?

Steffen: Ja, bei Jugendlichen passieren Gewalttaten vor allem aus der Gruppe heraus. Der Einzelne würde so etwas wohl nie oder sehr viel seltener tun.

SZ: Einmal kriminell, immer kriminell?

Steffen: Im Gegenteil. Der größte Teil der Jugendkriminalität ist altersspezifisch. Jugendliche wollen und müssen Grenzen austesten, um ihre eigene Identität zu finden. Ganz wichtig ist deshalb die Reaktion auf solche Normbrüche, vor allem im privaten Umfeld. Es muss klar gesagt werden: Das dulden wir nicht! Und wenn die Freunde nicht gut finden, dass einer schlägert, hört der schnell wieder damit auf. Drei Viertel der jungen Täter wird nur einmal auffällig.

SZ: Also ist das Gerede von der kriminellen Jugend übertrieben.

Steffen: Es gibt einen kleinen, harten Kern von etwa zehn Prozent, der ist für fast die Hälfte aller Straftaten dieser Altersgruppe verantwortlich. Bei diesen Intensivtätern liegt der Anteil Nicht-Deutscher bei 30 bis 40 Prozent. Aber auch von denen schaffen es die meisten, keine Delikte mehr zu begehen - weniger durch Strafen, als durch Erfolgserlebnisse: Sie finden eine Freundin, eine Arbeitsstelle.

SZ: Müssen sich Eltern in einer Großstadt wie München mehr Sorgen machen als auf dem Land, dass ihr Kind abgleitet?

Steffen: In den Städten ist die Kriminalitätsrate deutlich höher. Das liegt auch an der sozialen Kontrolle, die ist auf dem Land einfach besser. Die Gefahr abzurutschen, ist in der Stadt viel größer. Wobei München noch eine Insel der Seligen ist, verglichen mit Städten außerhalb Bayerns.

Generell haben sich aber die Bedingungen, unter denen Jugendliche aufwachsen, sehr zum Nachteil verändert. Und dafür sind die Erwachsenen verantwortlich. Wenn es immer heißt: Die hängen den ganzen Tag vorm Fernseher rum - wer produziert denn die Gewaltvideos? Doch nicht die Jugendlichen!

© SZ vom 11.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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