Jüdisches Zentrum in München:Rückkehr zu Ohel Jakob

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Al Koppel ist vor mehr als 60 Jahren den Nationalsozialisten entkommen - wie er die Einweihung der neuen Synagoge erlebt.

Anne Goebel

Später wird Al Koppel sagen, wie kann das alles für mich jemals abgeschlossen sein? Dabei sieht es in diesem Moment tatsächlich aus wie eine Heimkehr, ein heiterer Erinnerungsbesuch am Ort der Kindheit. Ein alter Mann steht im geöffneten Flügel einer herrschaftlichen Haustür, draußen braust der Verkehr über die Maximilianstraße, er deutet auf die Klingeln und sagt: "Hier war es. Zweiter Stock."

Er geht über die kleine Grünanlage, nicht so wendig wie damals, als er hier mit den Geschwistern zwischen den Kastanienbäumen herumtobte, aber trotz seines Gehstocks doch so schnell, dass das Laub raschelt unter seinen Schritten. "Wir haben uns aus den Blättern immer Zigaretten gemacht. War natürlich verboten", sagt Al Koppel und lacht.

Die Sonne scheint, ein klarer Herbsttag, ideales Wetter für einen Besuch der besonderen Art. Al Koppel, 80 Jahre alt, aus Colorado, USA, ist in der Maximilianstraße 46 aufgewachsen. Wäre ihm 1941 nicht mit seinem Bruder Walter die Flucht nach Amerika gelungen, hätten ihn die Nazis ermordet. Seine Mutter Carla, die Geschwister Günther, Hans, Ruth, Judis haben es nicht mehr rechtzeitig geschafft.

Sie wurden aus dem "Judenhaus" in der Thierschstraße deportiert und in Litauen erschossen. Al Koppel ist zurückgekommen in die Stadt, um die Einweihung der neuen Synagoge am Jakobsplatz mitzufeiern. Eine Heimkehr ist es trotzdem nicht.

Dass die Israelitische Kultusgemeinde ihre früheren Mitglieder eingeladen hat aus dem europäischen Ausland, aus Übersee zur großen Feier am Donnerstag, macht deutlich, dass mit dem zentral gelegenen Bau von Synagoge und Gemeindezentrum nicht nur der neue Stellenwert aktuellen jüdischen Lebens in München Ausdruck finden soll. Es geht am 9. November 2006 auch um eine Anknüpfung an den Punkt, an dem die Existenz der Juden in der "Hauptstadt der Bewegung" angegriffen, bedroht, schließlich vernichtet wurde.

Wer es damals schaffte, die Stadt zu verlassen, im Exil zu überleben, soll nun zurückkehren können an einen Glaubensort, der kein verbarrikadierter Hinterhof mehr ist wie das Quartier in der Reichenbachstraße, sondern ein großzügiges, sichtbares Begegnungszentrum mitten in der Stadt - in "ihrem Herzen", wie die Präsidentin der Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, sagt.

Bei den Erkundungsfahrten immer allein

Für Al Koppel hat der Tag zusätzlich besondere Bedeutung: Der Name der neuen Synagoge "Ohel Jakob" - das Zelt Jakobs - ist identisch mit dem des Gotteshauses, das er als Kind mit seiner Familie besuchte.

Auch die Synagoge an der Herzog-Rudolf-Straße hieß Ohel Jakob und war, im Unterschied zur großen Synagoge am Stachus, orthodox. Die aufwändig gestaltete Einladung zur Einweihung der neuen Synagoge hat Koppel sorgfältig in eine Mappe mit Papieren geheftet, damit sie nicht verloren geht. "Es ist wichtig für mich, dabei zu sein", sagt er. Deshalb hat er sich auf die lange Reise gemacht, die beschwerlich ist für einen 80-Jährigen.

Nicht zum ersten Mal, Koppel kennt die Stadt seiner Kindheit ganz gut, er ist geschäftlich hin und wieder hier gewesen und dann, seit der Pensionierung, auf Erkundungsfahrten, um sich seiner eigenen Geschichte anzunähern. Dabei war er immer allein unterwegs. "Meine Kinder kommen nicht nach Deutschland. Sie können es nicht."

Er hätte ihnen viel zu zeigen. Die Wohnung an der Maximilianstraße sieht innen gar nicht so verändert aus. Der knarzende Boden, die Türbeschläge, der schmale Gang - heute ist hier eine Kanzlei zuhause, die Empfangsdame kennt Mr.Koppel von früheren Besuchen und lässt ihn in Ruhe durch seine Kindheit wandern. "Hier war die Küche"; "das Wohnzimmer ging nach vorne auf die Straße".

Auf der Terrasse macht er eine ausholende Armbewegung, "hier hatten wir schöne Stunden. Alle zusammen, die Familie." Die Empfangsdame nickt betreten. Koppels Deutsch ist immer noch gut, nur ein leichter Akzent. Es kommt nicht oft vor, dass er ins Englische wechselt. "Memories", sagt er und sieht weg, als habe er Angst, jemandem ein schlechtes Gewissen zu machen.

"Wie kann ich das alles jemals für mich abschließen?"

Später im "Café Roma" bestellt Al Koppel eine Tasse Kaffee und zeigt Fotos seiner Familie. Er blättert in seinen Unterlagen, amüsiert sich über zwei riesenhafte Doggen unter dem Nebentisch und nimmt große Schlucke. "So gut, der deutsche Kaffee!" Ob sich mit der Feier der neuen Synagoge für ihn ein Kreis schließe? Koppel sieht aus dem Fenster, draußen flanieren die Menschen über die Maximilianstraße, und er sagt, wie kann ich das alles jemals für mich abschließen?

Vorher bei der Bestellung hat er mit dem Kellner gescherzt, "das konnte ich früher nicht, mit den Menschen hier Scherze machen". Inzwischen geht das, er kommt gerne her, er geht in Schulen, um Vorträge zu halten, er warnt dort vor den Neonazis, er sagt aber auch, dass die Jungen keine Schuld an dem haben, was war. Auf die Frage, ob er seinen Frieden gemacht hat mit München, das einmal seine Heimat war, macht Al Koppel eine lange Pause. Dann sagt er, "ich bin froh, dass ich in Amerika lebe."

© SZ vom 7.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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