200 Jahre Viktualienmarkt (6):"Mama, warum hast Du den nicht geheiratet?"

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Für die einen ist er der Weihnachtsmann, für die anderen ein Prediger: Ein Nicht-Bayer inszeniert sich als wandelndes Rätsel mitten auf dem Viktualienmarkt.

Astrid Becker

Dieser Mann muss einem einfach auffallen. Sommers wie winters trägt er eine kurze Lederhose, ein weißes Unterhemd und darüber eine dicke wollene Weste. Mal in Grau, mal in Rot, je nachdem. Er hat weißblonde, lange Haare und einen ebenso langen Rauschebart. Nahezu täglich ist er auf dem Viktualienmarkt zu finden, meistens im Gespräch mit dem einen oder anderen bummelnden Menschen. Ist er einmal nicht da, wird er vermisst. Von Standbetreibern ebenso wie von den Marktaufsehern. Für sie alle gehört er ebenso hierher wie der Valentinsbrunnen oder der Maibaum.

"Kommunikation ist alles", ist indes auch sein erster Satz. Es ist eine der wenigen Antworten, die er auf Fragen gibt. Michael Behr erzählt lieber Geschichten. Wer zuhören kann, so scheint seine Devise zu sein, der wird seine Antworten darin finden. Dabei verrät sein Akzent, dass er kein Bayer ist, und schon gar kein Münchner. Woher er allerdings genau stammt, verrät er an diesem Nachmittag auf dem Markt bei Rotwein und "Salzfleisch", wie er geräucherten Schinken nennt, nicht.

Ein Bayernhasser?

Dafür erfährt man, dass ihn viele für einen Bayernhasser hielten, der er aber nicht sei. Im Gegenteil. Die Einheimischen hier würden aus Gründen ihrer Mentalität nur einfach zu wenig miteinander reden. Deshalb sei er da.

So zum Beispiel die beiden Oberbayern im Hofbräuhaus. Drei Maß lang sitzen die beiden nebeneinander, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Am Ende sagt der eine zum anderen: "Du hockst auf meinem Hut". Antwortet der andere: "Willst Du vielleicht schon gehen?" Mehr wird nicht gesprochen. Behr erzählt diese Geschichte ausführlich und in einer Art, die zeigt, warum er hier ist. Der Kommunikation wegen, der er sich verschrieben hat. Nicht, weil er einsam wäre. Nein, er nicht, einsam aber seien viele andere, die zum Markt kämen: "Schau Dich um, Mädel, lauter Menschen, die allein sind." Ein 87 Jahre alter Herr in hellem Sommeranzug taucht auf.

Behr begrüßt ihn, fragt nach seinem Befinden. Der Herr antwortet: "Ja mei, i mag nimmer leben." Behr beginnt zu predigen, trägt dem Herrn sein Kommunikationscredo vor. Da erblickt der Herr eine Frau, keine 40 Jahre alt. "Diese Dame da", sagt er, "die hat Ausstrahlung." "Ja, eben, da lohnt es sich doch", meint Behr. Als der Herr wieder geht, hat er ein Lächeln auf den Lippen.

Von Frauen umschwärmt

Es ist der Moment, in dem Behr beginnt, über Frauen zu sprechen. Eine junge Mutter habe ihn mal ganz fasziniert angestarrt, erzählt er. Ihr Kind habe sie dann irgendwann am Rock gezupft und gefragt: "Mama, warum hast Du den nicht geheiratet? Dann hätte ich jeden Tag den Weihnachtsmann daheim."

Ach ja, die Frauen, was gäbe es noch alles über sie zu berichten. Die meisten, so sagt er, würden sich gern mit ihm fotografieren lassen. Warum, das wisse er nicht. Aber es sei so. Kaum hat er das gesagt, ist er umringt von Müttern mit Kindern. Behr springt auf, tauscht die graue Weste gegen eine rote, holt aus den vielen Plastiktüten, die an seinem Fahrrad hängen, einen bunten Regenschirm und Bonbons für die Kinder, die er großzügig verteilt. Sogar an die Damen, die ihren Kindern ungern Süßigkeiten geben. Dann werden Fotoapparate gezückt. Und am Ende lächeln alle. Behr ist glücklich. Er hat seine Aufgabe erfüllt. Wieder einmal.

© SZ vom 2.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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