Jacqueline Bisset:Der Körper muss die Worte verstehen

Lesezeit: 3 min

Jacqueline Bisset über Filmemachen in Amerika und Europa - und den Umgang mit der Zeit

Interview: Fritz Göttler und Susan Vahabzadeh

(SZ vom 6.7.2001) - Man kennt sie als jungen Star aus der "Amerikanischen Nacht", der Liebeserklärung ans Filmemachen von François Truffaut - wo sie sich in Jean-Pierre Léaud verliebt und in eine hektische Ehekrise gerät. Die Sensibilität, die Verunsicherung, die Jacqueline Bisset in dieser Rolle entwickelt, spürt man auch, wenn man ihr begegnet - und sie hat, scheint es, gelernt, souverän mit ihr umzugehen, mit ihr gar zu spielen. Sie will Eindeutigkeit, aber sie ist auch bereit, sich infrage zu stellen.

Jaqueline Bisset (Foto: Foto: Stefan M. Prager)

Eine ungewöhnliche Mischung also von Intelligenz und Schönheit. Am Dienstag hat Bisset den CineMerit Award des Filmfests erhalten, einen Tag später den Film "The Sleepy Time Gal " des jungen Regisseurs Christopher Münch vorgestellt: die Leidens- und Liebesgeschichte einer sterbenden Frau.

SZ: Das Ende in "Sleepy Time Gal" ist grausam, das Gesicht einer Sterbenden, von Schmerzen gepeinigt: waren Sie sich dessen bewusst, was von Ihnen verlangt wurde, als Sie die Rolle übernahmen?

Bisset: Ja natürlich, das wusste ich. Es begann vor langer Zeit, es müssen fünf Jahre gewesen sein, dass Christopher mich fragte - wir haben dann insgesamt drei Jahre gebraucht, um den Film zu drehen, wir machten es in drei großen Teilen.

SZ: Wie ist Münch auf Sie gekommen?

Bisset: Ursprünglich wollte er mich für ein anderes Projekt. "The Sleepy Time Gal" basiert auf der Geschichte seiner Mutter; sie spukte ihm durch den Kopf, er musste wohl eine Art Exorzismus machen, um davon freizukommen. Es ist nicht direkt autobiografisch, aber es ist eine komplexe Beziehung.

SZ: Wie haben Sie sich auf die Sterbeszene vorbereitet?

Bisset: Wenn ich mir ein Script anschaue, dann gucke ich immer nach den Fallgruben, nach den komplizierten Sachen, über die ich dann in Panik gerate - und auf die bereite ich mich als erstes vor. Sachen, die mich erschrecken, in meinem Leben, in einem Script. So muss ich dann alles zweimal durchleben.

SZ: Haben Sie die Geschichte der Reihenfolge nach gedreht?

Bisset: Überhaupt nicht, komplett out of sequence. Erst kam San Francisco, dann kamen L. A. und Philadelphia, dann das Amish-Land. Dazwischen lag immer ein Jahr - meistens drehten wir im Herbst. Das Schwierigste war, eine Amerikanerin zu werden - und das, obwohl ich dreißig Jahre dort lebte. Das hängt mit meiner Herkunft, dem Lebenslauf zusammen. Man fragt: Fühlen Sie sich als Amerikanerin, und ich muss sagen: Nein, ich fühle mich als Engländerin. Aber nein, ich fühle mich nicht als Engländerin. Fühlen Sie sich als Französin. Nein, ich fühle mich nicht französisch. Ich fühle mich - sagen wir - irgendwie menschlich.

SZ: Bei der Oscarverleihung vor ein paar Jahren übergaben Sie mit Candice Bergen den Oscar für den besten fremdsprachigen Film und machten sich darüber lustig, dass man Sie offensichtlich fürs "Fremde" prädestiniert fand ...

Bisset: Dabei ist Candice durch und durch amerikanisch. In "Sleepy Time Gal" war ich erst erschrocken: Junge, ich klang schrecklich, so hart, keine Emotion in der Stimme. Ich bin nicht schlecht mit Akzenten, aber ich hatte Angst, die Femininität der Rolle zu verlieren. Ich konnte nicht mit dem Körper verstehen, was ich sagte. Es gibt Tage, da wird etwas plötzlich kompliziert, was eigentlich einfach wäre. Aber ich kannte diese Frau schließlich, sie blieb bei mir.

SZ: Sie haben auch viel in Frankreich gedreht. War das eine große Umstellung im Vergleich zur Arbeit in Hollywood?

Bisset: In Frankreich pflegt der Regisseur lange und viel mit den gleichen Mitarbeitern zu arbeiten, die Leute kennen sich, und man hat das Gefühl, man wäre ihnen immer einen Schritt hinterdrein.

SZ: Bei Truffaut zum Beispiel?

Bisset: Da war es ganz einfach. Er beruhigte mich erst mal, ich war so nervös, stotterte mein "B-b-bonjour". Anfangs fühle ich mich im Ausland immer elend, will nach Hause. Dann rede ich mit dem Regisseur, erkläre ihm, wie es um mich steht, ob ich ein wenig mehr proben und ein wenig langsamer machen könnte.

SZ: Wie war die Arbeit mit Maximilian Schell bei "Der Richter und sein Henker"?

Bisset: Maximilian Schell ist ganz anders. Er kommt vom Theater, probt lange, das bin ich nicht gewohnt. Ich war sehr beeindruckt, wenn er sich ans Klavier setzte. Seine Schwester Maria sagte: Du musst ihn behandeln wie einen Jungen. Das muss man mit allen Männern.

SZ: Mit George Cukor haben Sie "Rich and Strange" gedreht. Er war ein Mann des klassischen Hollywood?

Bisset: Ich glaube, der Film - ich habe ihn koproduziert - war seiner Zeit voraus, mit seinen zwei Frauen, ihrem knisternden Witz, ihrer Position in der Gesellschaft. Er hetzte uns emotionell, mit einem kleinen Stock: schneller, schneller. Er war von Tempo besessen. Wenn man eine Pause machte und Luft holte, sagte er: Ein Zug ist gerade durch dieses Loch gefahren. Ich warnte junge Schauspieler, die kleine Rollen hatten: "For God's sake, don't hang about, just keep it moving." Er murkst euch ab, wenn ihr versucht Extrazeit rauszuschinden.

SZ: Er war damals schon über achtzig.

Bisset: Aber er war voll präsent. Er war ein großer Geschichtenerzähler. Und er war furchtlos. Aber er hatte alles im Griff auf dem Set. Nur Liebesszenen mochte er nicht - das überließ er mir.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: