Isar-Renaturierung:Joggen oder Blümlein pflücken?

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Die Rückführung der Isar erregt weiter die Gemüter: Die Anwohner favorisieren einen anderen Entwurf als den in einem Wettbewerb ermittelten Sieger. Nun setzen sich etwa 100 Fachleute unter Mitwirkung eines Mediatoren zusammen, um einen Kompromiss zu finden.

Von Doris Näger

Das Betonstück dürfte in zwei Jahren nicht mehr mitten im hohen Gras liegen. Jan Harksen hat ein dünnes Sitzkissen darüber drapiert und ein Handtuch drauf gelegt. Es ist der Stammplatz des 61-Jährigen. Bevor er sich aber hier gegenüber der Museumsinsel am Isar-Ufer niederlässt, muss er noch eine Weile diese verwilderte vereinsamte Kies-Insel beobachten, gleich gegenüber. Manchmal bewegen sich Vögel im Gestrüpp, fliegen Schwäne vorbei. "Das ist ein richtiges Naturidyll", sagt der 61-Jährige.

Die Isar auf ihrem Weg durch die Stadt (Foto: Foto: ddp)

Was aus diesem Naturidyll wird und aus den Isarufern hier mitten in der Stadt, aus all den Stammplätzchen und Lagerstätten für Mittagspäusler, Grillfans und Sonnenbadende, das wird sich am kommenden Wochenende entscheiden. Etwa 100 Menschen werden in zweitägiger Sitzung im Technischen Rathaus mit Hilfe eines Mediators den idealen Isarplan entwickeln. Mit dabei sind Natur- und Vogelschützer, Kanuten und Angler, der Alpenverein, die Wasserwacht, das Wasserwirtschaftsamt und Vertreter von fünf Bezirksausschüssen.

Naturnah oder sportbetont? Das ist die Frage. Die Stadt hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben und die Jury einen Sieger erkoren. Doch viele Anwohner waren entsetzt von dem "Betonmonster", für das die Jury votiert hatte. Viel besser gefiel ihnen der Entwurf des zweiten Siegers.

Zur Schlichtung bat die Stadt beide Architekturbüros, ihre Pläne zu überarbeiten. Nun lässt sich die Debatte rationaler führen: Aus dem Entwurf der Architektengruppe um Irene Burkhardt - ursprünglich der Stein des Anstoßes - wurde ein Freizeit-orientiertes Modell. Die Gruppe um Winfried Jerney setzt im Wesentlichen den Stil der südlichen Abschnitte der Isar fort. Beide bringen in puncto Natürlichkeit und Sport Vorteile und Nachteile mit. Der Mediator Frank H. Schmidt dürfte keine leichte Aufgabe haben, hier einen Kompromiss zu finden, der im Herbst dem Stadtrat als Beschlussvorlage dienen soll.

Die zwei Entwürfe

Der Entwurf der Gruppe um Irene Burkhardt (Foto: Alle Simulationen: Büro Schober)

Die beiden Entwürfe in Kürze: 1. Architektengruppe um Irene Burkhardt: Dieser Entwurf behält in starkem Maße das heutige Bild: breite Wiesen, gerade Uferlinie zwischen Reichenbach- und Wittelsbacher Brücke. Das Wehr vor der Museumsinsel bleibt bestehen. Zwischen Reichenbach- und Wittelsbacher Brücke wird es fortgesetzt in Form mehrerer Sandstein-Platten.

Sie trennen von der großen, an dieser Stelle sehr reißenden Isar eine kleine ab. Da hier die Isar weniger schnell fließen wird, ist der Seitenarm für Kleinkinder geeignet. An den Inseln sollen Boote anlegen können. Auf den breiten Wiesen ist weiterhin Fußball möglich. Eine Insel vor der Museumsinsel bleibt - da unzugänglich - quasi Naturschutzgebiet. Vorteil: mehr Sport- und Freizeitmöglichkeiten. Nachteil: etwa zwölf Bäume müssen gefällt werden. Bei - seltenem - Niedrigwasser könnte der Seitenarm verschlammen. Kosten: 11,1 Millionen Euro.

2. Bürogemeinschaft Winfried Jerney: Aus der geraden Uferlinie wird eine geschwungene. Eine größere Insel entsteht. Das Wehr wird abgerissen. Auch an dessen Stelle entstehen mehrere nutzbare Inseln. Vorteil: wirkt natürlicher.

Nachteil: Etwa sieben Bäume müssen gefällt werden. Die Grenze zwischen Hauptstrom und ungefährlichen Badebereichen ist unklar. Bojenleinen und Schilder müssten vor der reißenden Isar warnen. Die bisher unberührten Inseln vor der Corneliusbrücke werden stärker genutzt, das kann eventuell Tiere und Pflanzen stören. Kosten: 11,6 Millionen Euro.

"Es ist nicht richtig, ein derart starkes Naturthema so weit in die Stadt hineinzutragen". Die junge Frau, die das sagt, ist mit ihrem Kollegen zur Mittagspause an die Isar gekommen. Wenn es nach ihr ginge, würde der Entwurf des ersten Siegers verwirklicht. Nach dem vielen Regen ist sie froh, auf dem Betonriegel des Streichwehrs sitzen zu können. "Wir verdammen die Natur nicht", sagt sie weiter. Aber das könne man eben im südlicheren Teil finden. Für Picknick, Grillen und den Spaziergang am Wochenende zieht sie auch den Flaucher vor. Zwischen Wittelsbacher- und Corneliusbrücke müsse aber etwas Städtischeres hin. "Wir hätten dann mehr Vielfalt", findet die 32-Jährige.

Städtischer ist gleich sportlicher ist gleich badetauglich - die 25-jährige Silvia ist damit gar nicht einverstanden: "Ich brauche hier kein Badeparadies. Schwimmen gehen kann man woanders." Sie trifft sich regelmäßig nach der Schule mit ihren Freundinnen an der Isar, zum Ratschen, Lungern, Faulenzen. "Das geht hier prächtig", findet sie. Im Englischen Garten dagegen seien die Leute immer so aktiv. Das Gefühl, mitmachen zu müssen, überfällt sie wenigstens an der Isar nicht. "Hier kann man auch mal faul herumliegen." Wenn aber am Flussufer Buden und Badeplätze entstünden, "ist es vorbei mit der Ruhe".

Egal, wie das Beteiligungsverfahren ausgeht: Von Winter 2005 an werden jedenfalls Erdhügel wachsen und Lasterstraßen entstehen, wo sich jetzt Münchner ausruhen. "Ich werde das aufmerksam beobachten, wie sich die Baustelle entwickelt", sagt die 32-jährige Frau. Und Jan Harksen dürfte sein Naturidyll vorübergehend vermissen. Zum Glück kennt er noch einen anderen Lieblingsplatz - unter einem Baum auf der anderen Seite der Reichenbachbrücke.

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